Handelssekretär Roberto Feletti hat es bei seiner Preispolitik besonders auf die großen Supermarktketten abgesehen, obwohl diese nicht einmal ein Drittel des Konsums der Haushalte an Lebensmitteln, Reinigungsmitteln für den Haushalt und Artikel für die persönliche Hygiene decken. Bei der jüngsten Preiseinfrierung für 1.400 Produkte beklagt er sich, dass die Supermärkte dies auf die Lieferanten rückwalzen, also ihre Bruttomarge dabei nicht verringern. Und dann hat er entdeckt, dass die Bruttomarge angeblich 30% beträgt, was ihm zu hoch erscheint. Halten wir fest, dass die Marge auf die Einkaufspreise und nicht auf die Wiederbeschaffungspreise berechnet wird, die in Inflationszeiten höher zu sein pflegen. Wenn diese Preise nicht einkalkuliert werden, dann müssen die Supermärkte bei ihren zukünftigen Einkäufen Geld beisteuern, das sie bei ihrer Finanzkalkulation schon vorgesehen haben. Bankkredite kommen in Argentinien dabei kaum in Frage. Die Supermärkte müssen somit eine entsprechende Bruttogewinnmarge haben.
An zweiter Stelle muss man berücksichtigen dass etwa 10 Prozentpunkte auf Steuern entfallen: MwSt. von 21% auf die Bruttomarge, was 6,3 Prozentpunkte ausmacht; provinzielle Bruttoumsatzsteuer, die Gemeindegebühren, und die Schecksteuer. Und dann müssen sie noch die Ausgaben für Gehälter der Angestellten plus Sozialabgaben, Strom, Instandhaltung u.a. decken.
Es ist gewiss kein einfaches Geschäft. Die großen Supermärkte sind in den Vereinigten Staaten entstanden und erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Argentinien aufgekommen. Die erste Kette hieß Minimax, und war von einer US-Stiftung eingerichtet worden, um den Einzelhandel in Argentinien zu modernisieren und die Preise der Konsumgüter zu senken. Doch als der Terrorismus im Land aufkam, mit den Montoneros, dem ERP (”revolutionäre Volksarmee”) u.a., legten sie Bomben in Lokalen der Minimax-Kette, was die Käufer verunsicherte und dazu führte, das Minimax sich zurückzog. Geschädigt wurden dabei die Konsumenten. Die Terroristen haben gewiss kein Volksinteresse verteidigt.
Danach entstanden zahlreiche Supermärkte: Disco, Satélite, Gigante, Llaneza, Norte und mehrere andere. Gelegentlich gründeten auch die französische Carrefour und die chilenische Cencosud, die spanische DIA, die lokale Coto und die US-Firma Walmart Supermärkte. Carrefour kaufte dann die lokale Norte-Kette, und Cencosud die Disco-Kette. Walmart verkaufte an den lokalen Francisco de Narvaez, der vor Jahren die Kette Casa Tia besass, die er verkauft hatte. Carrefour hat danach außer den großen Lokalen zahlreiche mittlerer und kleiner eingeführt, und Cencosud hat außer den großen Jumbos die mittleren Discos und die kleineren Vea-Geschäfte eingeführt, zu denen noch die Easy-Geschäfte kamen, die Haushaltsausstattung und bestimmte Baumaterialien bieten. Die anderen Supermärkte verschwanden nach und nach, was zeigt, wie schwierig dieses Geschäft ist.
Ein großes Problem der Supermärkte besteht im Diebstahl. Das bezieht sich auf die Kunden, aber auch auf das eigene Personal, das vor allem beim Empfang der Waren die Möglichkeit hat, einen Teil beiseitezuschieben. Ebenfalls können die mit dem Einkauf betrauten Beamten ein Schmiergeld vom Lieferanten beziehen. Die großen Supermärkte brachten auch eine Kontrolltechnologie mit, die sehr raffiniert ist. Das geht in einigen Fällen so weit, dass die Lebensführung von Einkaufschefs u.a. Angestellten beobachtet wird, und sie auch entlassen werden, wenn sie “über ihren Verhältnissen” leben, also sich plötzlich ein Luxusauto oder eine sehr gute Wohnung kaufen. In einem der Supermärkte, die aufgegeben haben, wurde berechnet, dass die Diebstähle insgesamt 7% des Umsatzes ausmachten.
Als die Supermärkte aufkamen, verdrängten sie zunächst die traditionellen Kolonialwarengeschäfte (“almacenes”), aus drei Gründen: 1. Sie waren billiger; 2. Sie boten ein größeres Warensortiment; 3. Sie gaben dem Konsumtenten die Möglichkeit die Waren zu sehen, verschiedene Marken für ein gleiches Produkt zu vergleichen und eines zu wählen. Vorher mussten sie gleich ein Produkt fordern, und der “Almacenero” hat ihnen dann geliefert, was er wollte. Die Preise bei den Kolonialwarenläden waren höher als bei Supermärkten, nicht nur weil sie mit einer höheren Bruttomarge tätig waren, sondern weil sie teurer einkauften. Die Kolonialwarenläden hatten keine Möglichkeit, mit den Lieferanten zu verhandeln. Die Grossisten brachten ihnen die Ware und setzten die Preise einseitig fest, wobei sie sie oft auch zwangen, Waren zu beziehen, die schwer verkäuflich waren und zu Ladenhütern wurden.
Die Supermärkte hingegen verhandeln mit den Produzenten der verschiedenen Waren, und sind dabei sehr hart. Die Lieferanten beklagen sich über diesen Druck, der sie gelegentlich zwingt, zu Verlustpreisen zu liefern. Während die Kolonialwarenläden mit ihrer passiven Haltung die Inflation begleiteten, stellen die Supermärkte eine Hemmung für die Inflationsübertragung dar. Sie wirken somit gegen die Inflation, und besonders das wird von den Regierungsbeamten nicht begriffen. Beiläufig bemerkt: dies wird auch von den Supermarktunternehmen nicht erklärt und hervorgehoben. Ohne Supermärkte würden wir bestimmt höhere Preise zahlen und mehr Inflation haben.
Außer den Supermärkten, die das allgemeine Publikum bedienen, sind noch Grossistensupermarktketten aufgekommen (Macro, Diarco u.a.). Das hat dem unabhängigen Einzelhandel bei Lebensmitteln u.a. Produkten des täglichen Haushaltskonsums erlaubt, sich billig zu versorgen, keine Ladenhüter zu kaufen und mit den großen Supermarktketten zu konkurrieren. Dabei sind unzählige Selbstbedienungsläden aufgekommen, von denen zahlreiche auf Chinesen und Koreaner entfallen, die die Wirtschaftlichkeit der Geschäfte auch auf einem großen familiären Einsatz aufbauen. Zunächst waren viele dieser Geschäfte nur mit Bargeld tätig: doch jetzt kaufen und verkaufen sie wie die Supermärkte. Viele dieser Verkaufsgeschäfte sind sehr groß, etwa wie die von Disco.
Es besteht somit eine intensive Konkurrenz, bei der auch unabhängige Metzger, Gemüse- und Obsthändler, Bäckereien u.a. Geschäfte hinzukommen, die zum Teil mit den Supermärkten konkurrieren. Die großen Supermärkte können keine Steuern hinterziehen. Dieser unabhängige stark verzettelte Einzelhandel hinterzieht hingegen Steuern in gewissem Umfang, gelegentlich ganz, was ihm einen Konkurrenzvorteil gegenüber Supermärkten gibt. Deshalb haben viele kleinere Supermarktgeschäfte den Gemüseverkauf eingestellt. Hinzu kommen noch Einzelhandelsgeschäfte, die frische Teigwaren verkaufen, und andere, die fertige Gerichte liefern, Der Kauf über Internet, und die Lieferung über Motorradfahrer (das sogenannte “delivery”) hat diesen Geschäften Auftrieb verliehen, so dass auch Lieferanten aufgekommen sind, die nur Lagerhäuser haben. Doch auch die großen Supermärkte verkaufen zunehmend auf diese Weise.
Schließlich werden Lebensmittel aller Art in Straßenmärkten verkauft, die täglich von einem Stadtviertel zu einem anderen wandern. Hier sind die Preise allgemein niedriger, was dazu führt, dass ein großes Interesse der Konsumenten auftritt, und oft Schlange gestanden werden muss.
Bei Industrielebensmitteln besteht scharfe Konkurrenz, so dass die Preiseinfrierung sinnlos ist. Bei Nudeln gibt es über zehn verschiedene Marken, und die Preise sind sehr differenziert, oft bei einer Topmarke mehr als doppelt so hoch wie bei einer weniger bekannten. Die Qualitätsdifferenz ist dabei kaum bemerkbar, und wenn der Käufer sie für groß hält, so beruht das auf intensiver Propaganda. Wer jedoch billiger einkaufen will, hat gewiss gute Möglichkeiten für dies. Und wenn er es nicht tut, so sollte das seine Sache sein, und nicht ein Problem der Regierung.
Bei Gemüse ergibt sich eine eigenartige Situation. Der Preis, der beim Einzelhandel gezahlt wird, liegt allgemein über fünf Mal so hoch, wie der, den der Landwirt erhält. Wenn das Verhältnis von eins zu fünf auf eins zu vier verringert würde, dann wäre der Preis für den Konsumenten um ganze 20% geringer. Es ist auffallend, dass sich im Handelssekretariat niemand um dieses Thema kümmert. Wir haben bisher keine Erklärung für so anormal hohe Transport- und Vertriebskosten gefunden. Aber wir sind überzeugt, dass es eine Lösung geben muss. Doch weder Feletti noch sonst jemand erwähnen das Thema.
Die Preiseinfrierung ist grober Unfug. Sie führt bestenfalls zu einem kurzfristigen Erfolg, weil die Unternehmen in einer Wahlperiode keinen Konflikt schaffen wollen, und somit auch Verluste hinnehmen. Aber gelegentlich platzt dies, und um so länger die Einfrierung andauert, desto höher wird die Preiszunahme dann sein. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Preispolitik gibt. Nur ist das Problem eben komplizierter als es sich die zuständigen Beamten vorstellen.
Das Gesetz, dass die Supermärkte zwingt, auch zweite Marken und weniger bekannte Marken auszustellen (“ley de góndolas”) und jetzt auch das Gesetz über die Angabe des Inhaltes von Produkten, die in größeren Mengen schädlich sein können (wie Zucker) gehen in diese Richtung. Und bei der Ernährung von armen Familien, die eventuell sogar Hunger leiden, bestehen auch Möglichkeiten, auf die wir schon hingewiesen haben.
ความคิดเห็น