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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Keine braune RAF

Von Stefan Kuhn

Um es vorwegzunehmen, es gibt keine braune RAF in Deutschland. Es gibt braune Mörder, und dies nicht erst seit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Durch rechtsextreme Gewalt starben in Deutschland seit der Wiedervereinigung rund 200 Menschen, zehn davon ermordete allein der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) um die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Das aus Thüringen stammende Terrornetzwerk wurde zudem für 43 Mordversuche und 15 Banküberfälle verantwortlich gemacht. Der größte rechtsextreme Mordanschlag fand 1980 in der alten Bundesrepublik statt. Bei einem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest starben 13 Menschen. In der DDR kamen 1979 bei pogromartigen Ausschreitungen in Merseburg zwei kubanische Vertragsarbeiter ums Leben.

Neu ist zunächst gar nichts, nicht einmal, dass man bei den meisten Taten rechtsextreme Hintergründe verharmlost oder zunächst ausschließt. Im Fall der NSU-Morde kam man erst mehr als ein Jahrzehnt nach dem ersten Mord durch Zufall auf die Täter. Zuvor waren die Opfer zu Tätern gemacht worden. Man ermittelte wegen Bandenkriminalität. Bei der Ermordung von Walter Lübcke wurden rechtsextreme Motive zunächst ebenfalls ausgeschlossen. Dies, obwohl es Morddrohungen gegen den Politiker gegeben hatte. Lübcke hatte sich 2015 für Flüchtlinge eingesetzt und Pöblern geraten, Deutschland zu verlassen, wenn ihnen die christlichen Werte des Landes nicht passten. Von da ab war er Zielscheibe Rechtsextremer und ein rotes Tuch für Kritiker der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Lässt es sich nicht mehr leugnen, dass ein Anschlag oder ein Mord rechtsradikale Hintergründe hat, kommt die Einzeltäterhypothese zum Tragen. Der Oktoberfestanschlag? Von einem rechtsradikalen Spinner verübt. Der NSU? Drei Neonazi-Freunde, denen ein paar Neonazi-Freunde geholfen haben. Der Mord an Walter Lübcke? Ein gewaltbereiter rechtsextremer Einzeltäter.

Glaubt man diesen Hypothesen, schließt sich ein Vergleich mit der RAF, der Roten Armee Fraktion, die zwischen 1971 und 1993 33 Menschen ermordete, scheinbar aus. Man schätzt, dass zum engeren Kreis der RAF in drei Generationen etwa 60 bis 80 Mitglieder gehörten. Die RAF betrachtete sich als Guerrilla, war in Kommandos organisiert und wollte das „Schweinesystem“ der Bundesrepublik beseitigen. Sie hatte Sympathisanten: Aktive Unterstützer, die dann und wann Unterschlupf gewährten, oder Menschen, die sich lediglich für eine Verbesserung der Haftbedingungen für RAF-Gefangene einsetzten. Dies suggeriert, dass man es bei der RAF mit einer Terrororganisation zu tun hat, und der Rechtsterrorismus ein Einzeltäterphänomen ist.

Das ist falsch. Es verhält sich beinahe umgekehrt. Beinahe, weil im Falle der RAF keine Einzeltäter, sondern kleine Kommandos mordeten. Aber die RAF-Terroristen waren im Vergleich zu den heutigen rechtsextremen Mördern isolierte Spinner. Nach den Morden am Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto, dem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dem Arbeitgeberpräsidenten und ehemaligen SS-Mann Hanns-Martin Schleyer, gab es in ultralinken Kreisen zwar noch „klammheimliche Freude“, aber nach dem Mord an dem liberalen Diplomaten Gerold von Braunmühl 1986 war die RAF selbst bei den letzten Sympathisanten erledigt. Die Morde am Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen (1989) und Detlev Rohwedder (1991), dem Chef der Treuhand, waren so absurd, dass es berechtigte Zweifel an einer RAF-Urheberschaft gibt.

Der rechte Terror scheint von Einzeltätern auszugehen, aber im Vergleich zu den RAF-Jahren steht heute eine weitaus größere Bewegung hinter den Tätern. Mag sein, dass dies in Zeiten der globalen Öffentlichkeit durch soziale Netzwerke sichtbarer geworden ist, aber im Netz gab es Aufrufe zum Mord an Walter Lübcke und nach seinem Tod erschreckend viel Genugtuung und Häme. Es gibt in Deutschland tatsächlich jede Menge „Menschen“, die der Ansicht sind, der Politiker habe den Tod verdient. In ultrarechten Netzwerken galt er als „Volksverräter“. Die Quantität von Sympathie und Verständnis für derartige Taten sind wohl die größten Unterschiede zwischen der RAF und den Rechtsterroristen. Ein etwas kleinerer ist auch nicht bedeutungslos. Für die RAF war die Polizei ein Hauptfeind. In der hessischen Polizei gibt es wohl ein rechtsextremes Netzwerk. In dem Bundesland sind fast 40 Strafverfahren gegen Polizist/innen am Laufen.

Mag sein, dass der RAF-Vergleich aufgekommen ist, weil plötzlich Politiker im Zentrum des rechten Terrors stehen. Bisher wurden, scheinbar wahllos, vorwiegend Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. Das bringt wenig Sympathien, die Opfer sind Väter, Söhne, Brüder und Freunde. Verhasste Politiker zu ermorden, hat breitere Akzeptanz. Dass der rechte Terror damit eine andere Qualität bekommen hat, kann schon sein. Der Mordanschlag auf Walter Lübcke war auch nicht der erste auf einen migrationsfreundlichen Politiker. Es war der erste, der Erfolg hatte. An die RAF muss man dabei nicht denken. In der Weimarer Republik ermordeten Rechtsterroristen Politiker wie Matthias Erzberger und Walther Rathenau.

Man kann nur hoffen, dass der Mord an Walter Lübcke eine Art Braunmühl-Effekt hinterlässt. Hoffen, dass Viele ihre Abscheu über die Tat ausdrücken. Dem steht allerdings der Hauptunterschied zwischen RAF und Rechts entgegen. Die Linksterroristen folgten einer wirren Ideologie, die in Theorie und Praxis scheiterte. Die rechten Mörder sind vom Hass geleitet, und der ist fast unheilbar.

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