Von Stefan Kuhn
Überraschend war das Wahlergebnis in Thüringen nicht. Mal abgesehen davon, dass die FDP in den Landtag eingezogen ist, und sich der bundesweite Umfragenhöhenflug der Grünen in Erfurt und Umgebung noch nicht herumgesprochen hat. Gut, die Linke hat ein bisschen mehr Stimmen bekommen als die Umfragen andeuteten und die CDU etwas weniger, aber der Gesamttrend in der letzten der drei diesjährigen Landtagswahlen in Deutschlands Osten hat sich bestätigt. Die rechtspopulistische AfD konnte ihren Stimmenanteil überall verdoppeln. Und, etwas erfreulicher, die Parteien der Ministerpräsidenten blieben bzw. wurden die stärksten politischen Kräfte. Der große Unterschied: In Brandenburg musste die SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke Federn lassen, in Sachsen die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer. In Thüringen legte die Linkspartei von Ministerpräsident Bodo Ramelow zu, während sie in den anderen Bundesländern deutlich verlor.
Das sollte man zum Anlass nehmen, zumindest einen Mythos zu entzaubern. Bei der Landtagswahl in Thüringen wurden nicht die Ränder gestärkt, es wurde der rechte Rand gestärkt. Bodo Ramelows Linke befindet sich nur geometrisch am linken Rand. Ramelow hat in den vergangenen fünf Jahren eine pragmatische Politik verfolgt. Es ging ihm mehr um Thüringen als um das linke Parteiprogramm. Seine Koalition mit SPD und Grünen hat insgesamt 1,9 Prozentpunkte eingebüßt. Das reichte nicht mehr, denn die Regierung hatte nur eine Stimme Mehrheit im Landtag. Es lag auch nicht am Einzug der Liberalen ins Landesparlament: Rot-Rot-Grün hat rund 8000 Stimmen weniger als CDU und AfD. Vor fünf Jahren hatten die drei Regierungsparteien einen Vorsprung von 21.000 Stimmen.
Ein anderer Mythos ist der vom ostdeutschen Protestwähler, der halt sein Kreuzchen bei der AfD macht, weil er unzufrieden mit sich, der Welt, der Bundesregierung und vor allem mit Angela Merkel ist. In der Nachwahlbefragung kam ganz klar zum Ausdruck, dass der Hauptgrund für die Wahl der AfD die revisionistischen und „völkischen“ Positionen ihres Spitzenkandidaten Björn Höcke waren. Fast 40 Prozent der AfD-Wähler*innen gaben das als Grund an.
Warum in Deutschlands Osten ein Fünftel bis ein Viertel der Wählerschaft eine rechtspopulistische bzw. rechtsextreme Partei wählt, darüber gibt es viele Erklärungsversuche. Sicher ist, dass es schon zu DDR-Zeiten ausländerfeindliche Ausschreitungen gab. Ein Historiker zählt mehr als 700 seit den 70er-Jahren auf. 1979 sterben in Merseburg zwei junge kubanische Vertragsarbeiter, die von einem Mob zu Tode gehetzt wurden. „Völkerfreundschaft“ war eine Worthülse, man wollte unter sich bleiben. Das will man wohl auch heute noch. Deshalb hat das Schüren von Überfremdungsängsten im Osten mehr Erfolg als im Westen.
Die AfD sitzt auch in allen Ländern der alten Bundesrepublik in den Parlamenten. Am stärksten ist die Partei mit 15 Prozent in Baden-Württemberg. Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz kamen die Rechtspopulisten deutlich über die zehn Prozent. Am schlechtesten schnitt die AfD, mit Werten um die sechs Prozent, im Nordwesten ab. Im Westen spielt allerdings auch eine Rolle, dass die Partei sich wesentlich gemäßigter gibt. Ein Mann wie Höcke hätte dort kaum Erfolg. Dennoch vollzieht sich auch bei der „West-AfD“ eine Wende. Der rechtsextreme „Flügel“ mit der Galionsfigur Höcke, der unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, gewinnt allmählich die Oberhand. Das schlägt sich auch negativ in den Umfragen nieder. Selbst in Baden-Württemberg würde die AfD derzeit ein Drittel ihrer Wählerschaft einbüßen.
Man könnte bei den AfD-Erfolgen auch von einer normalen Entwicklung ausgehen. Der Osten der Republik, die frühere DDR, ist kein Sonderfall. In anderen Ostblockstaaten wie Polen oder Ungarn gibt es nationalistische Regierungen, die panisch reagieren, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen sollen, und nur deshalb noch in der EU sind, weil diese Geld überweist. In beiden Ländern fahren die rechtsnationalistischen Regierungsparteien Rekordergebnisse ein.
Im Westen Europas sind nationalistische oder rechtspopulistische Parteien auch stärker geworden, aber weit entfernt von einer Machtübernahme. Die beiden großen Ausnahmen sind die Schweiz und Österreich. In der Schweiz ist die rechtspopulistische SVP dank der Konsensdemokratie zusammen mit Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten in der Regierung, und in Österreich war die FPÖ bis vor einem Vierteljahr Regierungspartner der Konservativen. In manchen Ländern gab es auch schon Minderheitsregierungen, die von rechtsextremen Parteien unterstützt wurden.
Könnte das auch ein Modell für Thüringen sein? Eher nicht, auch wenn manche in der Thüringer CDU damit liebäugeln. Sie würden auch mit dem Teufel paktieren, wenn sie damit das fünfjährige Interregnum der Linken beenden könnten. Mehrheiten jenseits der AfD würden nur eine Erweiterung der Regierungskoalition mit der FDP geben, doch die steht in der Regel näher bei der AfD als bei der SPD, den Grünen und erst recht der Linken. Eine deutliche Mehrheit hätte eine Koalition von Christdemokraten und Linken. Doch dazu ist die CDU wohl noch nicht bereit. Viele Abgeordnete würden da wohl nicht mitmachen. Vermutlich wird es zu einer linksgeführten Minderheitsregierng kommen. Für Mehrheiten würden der bisherigen Regierung lediglich vier Stimmen der Opposition fehlen.
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