Von Klaus Blume
Lange Haare, Strickpullover, Latzhosen, Turnschuhe und jede Menge „Atomkraft? - Nein Danke“-Buttons - so sahen sie aus, die Männer und Frauen, die sich im Januar 1980 unter dem Symbol der Sonnenblume in der süddeutschen Stadt Karlsruhe trafen. Im Westen Deutschlands regierte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), landauf, landab protestierten Umweltschützer und Pazifisten gegen Atomkraftwerke und Nato-Nachrüstung. In Karlsruhe gründete ein buntes Gemisch aus Ökologen, Pazifisten, Biobauern, Esoterikern und Ex-Maoisten eine Partei: Die Grünen.
Lange her sind die Zeiten, in denen man sie in Deutschland leicht herablassend als „Ökopaxe“ bezeichnete. Zum 40. Geburtstag präsentieren sich die Grünen als die führende Kraft der linken Mitte. Bei einem Festakt am Freitag wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen, ein Sozialdemokrat, dessen Parteimitgliedschaft während seiner Amtszeit ruht. Einst Juniorpartner der SPD, haben die Grünen die Genossen überflügelt. Bei der Europawahl 2019 wurden sie mit 20,5 Prozent zweitstärkste Partei hinter den Christdemokraten, in aktuellen Umfragen rangieren sie deutschlandweit bei 21 Prozent. Nach Jahren in der Opposition drängt es sie zurück an die Macht in Berlin.
Der Anfang vor 40 Jahren war mühselig. Zwar schaffte es die neu gegründete Partei 1980 in den Landtag von Baden-Württemberg, scheiterte aber bei der Bundestagswahl im selben Jahr mit nur 1,5 Prozent der Wählerstimmen klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Der Einzug ins nationale Parlament in Bonn gelang erst bei der vorgezogenen Bundestagswahl im März 1983.
Die Grünen verstanden sich nach den Worten ihrer Vorstandssprecherin Petra Kelly (1947-1992) als „Antipartei-Partei“, und so wollten sie auch im Parlament alles anders machen. Per „Rotationsprinzip“ verpflichteten sie ihre Parlamentarier, zur Hälfte der Wahlperiode ihre Sessel für „Nachrücker“ zu räumen. Im Plenarsaal ging es oft turbulent zu. Der aufstrebende Politstar Joschka Fischer wurde 1984 nach mehreren Zwischenrufen von Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen (CSU) des Saales verwiesen - und reagierte mit dem Satz „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch“.
Der Ausraster schadete Fischers Karriere nicht, schon ein Jahr später wurde er hessischer Umweltminister unter Ministerpräsident Holger Börner (SPD). Die erste rot-grüne Regierung in einem Bundesland zerbrach allerdings nur knapp zwei Jahre später.
Auch der Berliner Mauerfall 1989 und die deutsche Wiedervereinigung 1990 brachten den Grünen kein Glück. Bei der Bundestagswahl Ende 1990 scheiterten die westdeutschen Grünen, die zu guten Teilen gegen die Einheit waren, an der Sperrklausel. Nur das ostdeutsche „Bündnis 90/Grüne“, das getrennt antrat, schaffte es ins hohe Haus. Bald darauf schlossen sich „Wessis“ und „Ossis“ zum Bündnis 90/Die Grünen zusammen, bis heute offizieller Name der Partei.
Die nun gesamtdeutschen Grünen kamen bald wieder auf die Beine, ihre große Stunde schlug 1998: Kanzler Helmut Kohl (CDU) verlor nach 16 Amtsjahren die Bundestagswahl, SPD und Grüne bildeten die erste rot-grüne Bundesregierung. SPD-Mann Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler, Fischer Außenminister und Vizekanzler. Wenig später brach die Parteiführung mit der pazifistischen Tradition der Grünen, als sich die Bundeswehr 1999 am Kosovo-Krieg beteiligte. Radikale Pazifisten nahmen Fischer den Schwenk übel, beim Parteitag in Bielefeld wurde er mit einem Farbbeutel beworfen.
Gemeinsam setzten SPD und Grüne den - zeitlich gestaffelten - Atomausstieg in Deutschland durch. Die christlich-liberale Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machte ihn 2010 zwar rückgängig, setzte ihn aber schon 2011 nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima wieder in Kraft. Die letzten deutschen Kernkraftwerke sollen bis übernächstes Jahr vom Netz gehen. „Atomkraft? - Nein Danke“ ist heute in Deutschland weitgehend Konsens.
2005 verlor Rot-Grün wegen Schröders unpopulärer Sozialreformen („Agenda 2010“) die Bundestagswahl. Während die SPD seitdem in drei Koalitionen mit Merkel immer weiter schrumpfte, drücken die Grünen seit bald 15 Jahren die Oppositionsbänke. Eine rechnerisch mögliche „Jamaika“-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen scheiterte nach der Bundestagswahl 2017 schon in der Sondierungsphase.
Ein Führungswechsel brachte den Grünen Aufwind. Anfang 2018 wurden Robert Habeck und Annalena Baerbock zu Parteivorsitzenden gewählt - ein telegenes Duo, das bei den Wählern gut ankommt. Ende Februar hoffen die Grünen auf einen Sieg bei der Regionalwahl im Bundesland Hamburg. Wären jetzt Bundestagswahlen, würde Deutschland wohl eine Regierung aus Konservativen und Ökopartei wie in Österreich bekommen.
Manche Medien haben aber auch schon Habeck als künftigen Kanzler gehandelt. Für ein weiteres Erstarken der Grünen in Zeiten von Klimawandel und Fridays for Future spricht die Demografie: Ihren Sieg bei der Europawahl hatte die CDU/CSU allein der älteren Generation zu verdanken. Bei den jüngeren Wählern lag die Ökopartei weit vorne.
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