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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Überlegungen zum Freihandelsabkommen Mercosur-EU

Von Juan E. Alemann

Der Abschluss des Freihandelsabkommens des Mercosur mit der Europäischen Union wurde, wie zu erwarten, in Argentinien zunächst stark politisiert, was besonders in einer Periode der Wahlkampagne nicht anders sein konnte, umso mehr als die zwei großen Gegner grundsätzlich entgegengesetzte Auffassungen über die Beziehung der argentinischen Wirtschaft zur Weltwirtschaft vertreten. Macri tritt für Öffnung und Integrierung in die Weltwirtschaft ein, Cristina und ihre Leute für Abschottung und begrenzte Öffnung, mit viel Protektionismus. Macri will das Zahlungsbilanzproblem mit höheren Exporten und Auslandsinvestitionen lösen, Cristina mit Substitution von importierten Produkten durch solche lokaler Fabrikation, und durch Verhinderung der Kapitalflucht.

Im Prinzip hat Macri recht. Der internationale Handel trägt zur Zunahme des Bruttoinlandsproduktes der einzelnen Staaten bei, wobei diejenigen, die sich mehr geöffnet haben, stärker gewachsen sind als andere. Das ist eine Tatsache. Der Welthandel ist in den letzten Jahrzehnten stärker gestiegen als das weltweite Bruttoinlandsprodukt, was ein schlagender Beweis für die These ist, dass der Handel zum Wachstum beiträgt. Allein, der Übergang von einer geschlossenen Wirtschaft auf eine offene ist traumatisch, weil kurzfristig große Probleme entstehen und es sogar zunächst in diesen Fällen einen BIP-Rückgang geben kann. Politisch wirkt die kurzfristige Aussicht stärker als die langfristige Perspektive.


Änderungen in den letzten 20 Jahren

Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Mercosur-EU wurden vor 20 Jahren eingeleitet. Inzwischen hat sich sehr viel geändert. In diesen Jahren sind China u.a. Länder des fernen Orients als große Käufer von Getreide, Ölsaaten und Rindfleisch aufgetreten, so dass die Abhängigkeit Argentiniens von Europa stark abgenommen hat. Auch ist es so, dass die ehemalige Sowjetunion Weizen früher in hohen Mengen importierte, und dabei der Hauptkunde von Argentinien war, während die Staaten, die nach der Spaltung der Sowjetunion auftraten, jetzt Weizen in hohen Mengen exportieren.

Auch wenn die argentinische Wirtschaft zu den geschloßensten der Welt gehört, hat sich viel geändert. An erster Stelle sei bemerkt, dass die Schließung, gemessen am Koeffizient des Außenhandels im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, zu falschen Schlüssen führt. Argentinien verfügt über eine große Diversität bei der Landwirtschaft, die dadurch bedingt ist, dass das Land sehr unterschiedliche klimatische und andere Bedingungen aufweist. Das führt dazu, dass das Land sich mit allerlei Produkten versorgt, die andere Länder, die diese Diversität nicht aufweisen, importieren. In keinem anderen Land tritt dieser Umstand so betont auf wie in Argentinien. Zum zweiten hat Argentinien in den vielen Jahrzehnten einer stark geschlossenen Wirtschaft eine Industrie entwickelt, die vielfältig und in vielen Fällen nicht viel anders ist, als analoge Industriebetriebe in fortgeschrittenen Staaten.

In den letzten drei Jahrzehnten hat sich Argentinien schon weitgehend geöffnet. Das Importvolumen hat sich mehr als verdoppelt, was u.a. dazu geführt hat, dass ein Problem mit den vielen Containern am Hafen von Buenos Aires aufgekommen ist. Diese Öffnung hat schon dazu geführt, dass viele lokale Industriebetriebe aufgeben mussten. Bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der lokale Bedarf an Textilien fast vollständig mit lokaler Fabrikation gedeckt. Heute ist über die Hälfte importiert. Ähnlich ist es bei Sportschuhen und vielen anderen Produkten. Die lokale Brillenerzeugung wurde ganz aufgegeben, ebenfalls die Fabrikation vieler Zubehörteile für Kfz. Auf der anderen Seite haben sich die Grundindustrien stark entwickelt, zum Teil schon ab 1970 und dann betont ab 1976 und noch mehr ab 1995, was sich auf Stahl, Aluminium, Petrochemie und Zellulose bezieht. Die Industrie hat somit gegenwärtig eine andere Struktur als vor 20 Jahren, und noch mehr als vor 30 und 40 Jahren.

Außerdem hat sich bei der Industrie inzwischen ein anderes Konzept durchgesetzt, nämlich die Integrierung mit importierten Teilen. Kraftfahrzeuge wurden bis in die 90er Jahre zu über 80% mit lokaler Wertschöpfung produziert, während es jetzt zwischen 30% und 40% sind. Automobile, Nutzfahrzeuge und Landwagen sind dabei im Verhältnis zu gleichen Modellen, die in in den Industriestaaten erzeugt werden, viel billiger geworden, und die Qualität hat sich der internationalen angeglichen. Das gleiche Phänomen ist auch bei Eisschränken (die importiere Kühlanlagen haben) und etlichen anderen Produkten eingetreten.

Das ist nicht nur ein argentinisches Phänomen: weltweit hat sich die Industrie viel stärker verflochten, ganz besonders seit China u.a. Staaten der Region als große Fabrikanten aufgetreten sind. Schließlich hat die technologische Revolution, besonders die Computertechnologie und alles was dazugehört, die Industrie auch grundsätzlich verändert. Hier sei bemerkt, dass Argentinien auf diesem Gebiet einen besonders großen Fortschritt verzeichnet und auch “Software” exportiert, weil viele Menschen ein besonderes Talent für diesen Wissensbereich aufweisen, der ein hohes Niveau beim abstrakten Denken erfordert.


Argentiniens Konkurrenzvorteile

Dass Argentinien bei der Landwirtschaft gut steht, mit viel niedrigeren Kosten als die EU, ist bekannt. Aber auch bei vielen Industrien steht Argentinien gut da. Die Löhne, und auch die Arbeitskosten, liegen in Argentinien weit unter denen der EU, ganz besonders unter denen Deutschlands. Auch wenn die Löhne in Argentinien real stark zunehmen, und es keine Änderung bei der Belastung der Löhne durch Sozialabgaben gibt, liegen die Arbeitskosten weit unter denen der EU. In Deutschland verdient ein Arbeiter E 35 pro Stunde, was umgerechnet $ 1.575 wären. Der EU-Durchschnitt liegt bei E 27. In Argentinien verdient kaum ein Arbeiter über $ 300 pro Stunde. Somit sollte Argentinien bei arbeitsintensiven Industrien eine gute Möglichkeit haben, mit der EU zu konkurrieren. Z.B. bei Lederschuhen sollte Argentinien besonders konkurrenzfähig sein.

Das Abkommen schafft angeblich auch die Differenzialzölle ab, die zwischen einem landwirtschaftlichen Rohstoff und dem aus ihm gefertigten Produkt bestehen, also zwischen Sojabohne und Sojaöl, Weizen und Mehl (und Teigwaren), Rinderhäuten und Leder, u.s.w. Das wäre für Argentinien besonders wichtig, und würde der Speiseölindustrie, den Gerbereien u.a. Industriebranchen einen großen Impuls geben. Die Frage ist hier, ob es auf diesem Gebiet wirklich eine Öffnung und Abschaffung der Diskriminierung gibt, oder ob Hindernisse verbleiben, die eventuell nicht im Zollsatz bestehen.


Die Mercosur-Problematik

Während bei der Europäischen Union schon ein effektiver gemeinsamer Markt mit einer einheitlicher Währung und Geldpolitik besteht, ist der Mercosur, der formell 1991 geschaffen wurde, immer noch eine sehr unvollständige Zollunion, mit unterschiedlichen Zöllen gegenüber Drittländern, allerlei Ausnahmeregelungen und einer sehr differenzierten wirtschaftlichen Lage der einzelnen Mitglieder, also an erster Stelle Argentinien und Brasilien. Dabei stellt das Freihandelsabkommen mit der EU für die einzelnen Länder unterschiedliche Probleme. Uruguay und Paraguay dürften kein Problem mit der Öffnung haben, Argentinien und Brasilien hingegen sehr viele.

Bei Maschinen und Anlagen hat Brasilien eine vielfältige Industrie, Argentinien hingegen nur bei Maschinen für die Landwirtschaft und wenigen anderen Fällen eine. Brasilien hätte bei der Öffnung ein besonderes Problem, weil die Maschinenindustrie technologisch weit hinter der europäischen zurückgeblieben ist, Argentinien hat hingegen auf diesem Gebiet kein Problem, nachdem schon in den 90er Jahren der zollfreie Maschinenimport zugelassen wurde, und die lokalen Fabrikanten eine Subvention erhielten.

Das Freihandelsabkommen Mercosur-EU erfordert somit auch eine Verhandlung unter den Mercosur-Partnern, die nicht einfach ist. Denn sonst werden die Mercosur-Staaten bei der Verhandlung mit der EU unterschiedliche Positionen einnehmen, und das schafft noch mehr Probleme, als sie ohnehin schon bestehen.

Die brasilianische Regierung hat ihre Mercosur-Partner schon unterrichtet, dass sie eine bilaterale Klausel mit der EU anstrebt, bei der das Abkommen schon für Brasilien gilt, auch wenn es von den anderen Partnern und den EU-Parlamenten noch nicht genehmigt worden ist. Präsident Bolsonaro erwartet, dass der Kongress das Abkommen bald positiv verabschiedet. Das klingt jedoch merkwürdig und dürfte zunächst nur ein frommer Wunsche des Präsidenten sein.


Die landwirtschaftliche Problematik

Argentinien produziert landwirtschaftliche Produkte nicht nur viel billiger als in der EU, sondern auch in zunehmend höheren Mengen. Als die Verhandlungen über das Abkommen begannen, lag die Produktion von Getreide und Ölstaat bei 50 bis 60 Mio. Jato, und jetzt sind es um die 140 Mio. Mit normalen Preisen, die nicht durch Exportzölle u.a. Maßnahmen gedrückt werden, und zunehmendem Einsatz der schon vorhandenen Technologie (plus derjenigen, die noch kommt), kann Argentinien bestimmt 200 Mio. Tonnen produzieren. Beim Rindfleisch ist die Lage prinzipiell ähnlich, aber nicht entfernt so ausgeprägt wie bei Getreide und Ölsaat.

Argentinien ist auf genetisch verändertes Saatgut übergegangen, die EU kaum. Argentinien hat einmal eine extensive Produktion, auf größeren Landgütern, und dann werden kleinere Landgüter von Unternehmen bearbeitet, die die Saat, die Pflege und die Ernte mit großen modernen Maschinen durchführen, so dass dann kleinere Landbetriebe genau so wirtschaftlich sind, wie die großen. In der EU sind die Flächen der Landwirte viel kleiner, und die gemeinsame Verwendung von Maschinen ist begrenzt. Außerdem sind die Löhne für Landarbeiter viel höher.

Wenn es zu einem wirklich freien Import von Getreide, Ölsaat, Rindfleisch u.a. landwirtschaftlichen Produkten kommt, dann hat die EU-Landwirtschaft ein großes Problem. Dann muss die landwirtschaftliche Produktion eingeschränkt werden. Im Prinzip sollten viele EU-Landwirte ihre Güter in Golfplätze, Fußballplätze, Tennisplätze und für andere Sporttätigkeit bereitstellen, für die in Ländern mit hohem Wohlstand bestimmt eine hohe Nachfrage besteht. Wenn z.B. ein Golfplatz pro Hektar die gleiche Subvention erhält, wie ein Weizenfeld, dann sollte die Rechnung leicht aufgehen, Die Zahlung, die von den Benutzern gefördert würde, sollte durchaus tragbar sein, und der Landwirt sollte dabei auch ein Einkommen wie jetzt haben. Doch diese Umwandlung wird in der EU genau so als Ketzerei verdammt, wie in Argentinien der Hinweis auf Industriebetriebe, die wegen des Abkommens schließen müssen.

Was Landwirtschaft betrifft, so bietet das Abkommen Argentinien auch andere Möglichkeiten. Argentinien produziert Äpfel und Birnen von besserer Qualität als Europa, und könnte diese Produkte, und auch Apfelsaft, in größeren Mengen nach der EU liefern. Ebenfalls ist Argentinien bei Pfirsichen und Pfirsichkonserven sehr konkurrenzfähig, auch bei Trauben für den direkten Konsum, die für diesen Zweck besser sind als die europäischen (die hingegen besser für Wein sind).

Hinzu kommen dann noch Holz und Holzprodukte. Argentinien hat dank der Förderung der Aufforstung, die ab 1956 und dann noch intensiver ab 1978 eingesetzt hat, eine hohe und zunehmende Holzproduktion, die ohne weiteres weiter zunehmen kann. Auch Tabak, Baumwolle und Gemüse kommen noch hinzu. Spargeln werden schon exportiert, aber es könnten auch Artischocken u.a. Gemüsenarten hinzukommen, wie Erbsen (Porotos), Linsen u.a.

Ein besonders Problem stellt sich bei Oliven und Olivenöl, die EU-Produktion verdrängen würden. Auch bei Zucker taucht ein großes Problem auf. Bei effektiv freiem Import würde die argentinische Zuckerproduktion, und noch mehr die brasilianische (die über 10 Mal so hoch wie die argentinische ist), die europäische vollständig verdrängen. Die EU hat beim Zucker ein eigenartiges Subventionssystem, bei dem ein Aufschlag auf den Zuckerpreis erhoben wird, mit dem die Fabrikation subventioniert wird. Es hat lange gedauert, bis die EU aufgehört hat, auch den exportierten Zucker zu subventionieren, und in diesem Sinn die Produktion durch Schließung mehrerer Fabriken zurückgefahren hat. Aber der nächste Schritt ist sehr konfliktiv.

Schlussfolgerungen

Die Probleme, die in der EU infolge des Freihandelsabkommens auftreten, sind so gewaltig und auch so vielfältig, dass man gewiss noch viel Diskussion erwarten kann. Beim Rindfleisch setzt das Abkommen ohnehin ein Kontingent fest. Aber es wurde bisher nicht gesagt, ob das absurde Importsystem mit einem variablen Zollsatz (der als Differenz zwischen einem Richtpreis und dem jeweiligen Importpreis berechnet wird) beibehalten wird. Angeblich soll es auch in anderen Fällen Quoten geben, also Mengenbeschränkungen beim Import. Das wäre eine pragmatische Lösung, und auf alle Fälle für die Mercosur-Staaten ein großer Fortschritt. In der heutigen Welt, in der Asien und eventuell auch Afrika für eine zunehmende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten sorgen, die Argentinien und auch die anderen Mercosur-Staaten erzeugen, ist es wichtiger, bei Lieferungen an die EU den vollen Preis zu erhalten, als viel zu exportieren.

Quoten sind in der Ordnung des Welthandels, die in der Welthandelsorganisation (WTO) verbrieft ist, prinzipiell verpönt und nur als vorübergehende Ausnahmen zugelassen, die allerdings in einigen Fällen automatisch verlängert werden. Es handelt sich um einen wichtigen Punkt, der auch eine Lösung für Importe von EU-Industrieprodukten im Mercosur, und besonders in Argentinien, bietet.

Die Vereinigten Staaten haben schon eine Reform der WTO-Ordnung gefordert, ebenso wie andere Staaten. Aber weder der Mercosur, noch Argentinien, haben sich dazu geäußert. Anlässlich des Abkommens mit der EU wird jetzt auch die WTO-Problematik in den Vordergrund gestellt. Für Argentinien sind bestimmte Änderungen besonders wichtig, wie einmal der Einschluss von internen Subventionen bei der Exportproblematik, und dann auch die Zulassung von Kontingenten, die in vielen Konfliktfällen Kompromisslösungen erlauben.

Schließlich wurde auch darauf hingewiesen, dass dieses Abkommen zu Investitionen der EU im Mercosur und dabei auch in Argentinien führen werde. Es ist gewiss möglich, dass sich EU-Industrieunternehmen überlegen, ihre Produktion mit einer Fabrik in Argentinien zu integrieren und in diesem Sinn hier investieren. Aber man soll sich keine übertriebenen Hoffnungen machen. Die Gewinnsteuer ist real, also auf den inflationsbereinigten Gewinn berechnet, in Argentinien sehr hoch, weit über dem EU-Durchschnitt und noch mehr als in den USA. Die nominellen 35% steigen dann auf 50% und auch mehr. Hinzu kommt noch die Vermögenssteuer. Und dann kommt noch das Problem der provinziellen Bruttoumsatzsteuer hinzu. All das wirkt abschreckend, wobei noch die Arbeitsgesetzgebung hinzukommt, die störend wirkt und bei Industriebetrieben, die die technologische Revolution aufnehmen, ungelöste Probleme schafft. Und nicht zuletzt kommt noch das Fehlen eines Kreditsystems hinzu. Der Bankkredit ist so beschränkt und so teuer, dass Unternehmen, die sich in Argentinien niederlassen, davon ausgehen müssen, dass sie von ihren Mütterhäusern oder Banken im Ausland finanziert werden. Und das ist nur ausnahmsweise möglich. Bei EU-Investitionen im Mercosur ist Brasilien viel attraktiver als Argentinien, so dass es eventuell zu Investitionen von EU-Unternehmen in Brasilien kommen kann, die dann dank Mercosur-Abkommen auch Argentinien versorgen.

Bis das Freihandelsabkommen Mercosur-EU effektiv in Kraft tritt fehlt noch viel, hoffentlich nicht wieder 20 Jahre, wie es bis zur Unterzeichnung des Rahmenabkommens der Fall war. Die argentinische Regierung sollte das Abkommen eingehend studieren und sich auf bestimmte Aspekte konzentrieren, die als wichtig betrachtet werden und bei denen der Freihandel in Kraft treten kann, auch wenn sonst noch unzählige Probleme verbleiben. Die Regierung sollte gut ausgebildete Ökonomen, über die sie in der Verwaltung verfügt, und eventuell auch private, für diesen Zweck einsetzen. Denn es ist keine Arbeit für Bürokraten, die prinzipiell nur Hindernisse schaffen, sondern für kreative und intelligente Fachwirtschaftler.

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