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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Zum Tag der Versicherung

Die totale Umwandlung des argentinischen Versicherungssystems: 1983 bis 1999

Von Juan Alemann

Das argentinische Versicherungswesen war in der Periode nach dem 2. Weltkrieg, unter der ersten Regierung von General Juan Domingo Perón, vollständig reguliert worden, im Rahmen eines staatswirtschaftlichen und nationalistischen Konzepts. Die Rückversicherung erfolgte nur über ein staatliches Institut, benannt INDER (“Instituto Nacional de Reaseguros”), der Staat setzte die Tarife fest, und ausländische Versicherungsgesellschaften wurden offen diskriminiert und konnten am lokalen Markt somit nur sehr beschränkt auftreten. Das INDER schloss dann Rückversicherungsverträge mit ausländischen Gesellschaften ab, wenn es um Objekte ging, deren Risiko sehr groß war, wie z.B. ein großes Jumbo-Flugzeug.

Die Monopolstellung des INDER hatte zur Folge, dass das INDER keinen Rückversicherungsantrag einer lokalen Versicherungsgesellschaft ablehnen konnte, und die gleichen formellen Kriterien für alle anwenden musste. Das bedeutete, dass es auch allerlei Rückversicherungen übernehmen musste, die ein effektives Risiko darstellten, das weit über dem lag, auf dem die Rückversicherung berechnet war. Eine Brandversicherung ist für ein gut gebautes Gebäude aus Eisenbeton und Ziegeln, das diese Gefahr beim Bau berücksichtigt hat, eine Sache, und bei einem Holzgebäude etwas anderes.

Bei der Rückversicherung bestand ein absurdes System: die Versicherungsanstalt, die einen Schaden zahlen musste, den sie zum (großen) Teil rückversichert hatte, war für die Festsetzung des Umfangs des Schadens verantwortlich, ohne Mitwirkung des INDER, der dann nur zahlte, was auf ihn entfiel. Wenn der Schaden aufgebläht wurde, machte die Versicherungsanstalt dabei ein Geschäft. Das INDER war dabei ein völlig passiver Partner. Ein privater Rückversicherer hätte bei der Bestimmung des Schadens bestimmt mitgewirkt oder den Fall unter die Lupe genommen.

Als 1983 mit Raul Alfonsín als Präsident die neue demokratische Epoche begann, traten sofort zwei Umstände auf, die die Versicherungswirtschaft direkt betrafen. Einmal wurden Gewerkschaftsanwälte zu Arbeitsrichtern ernannt, und dann nahm die Zahl der Automobildiebstähle explosiv zu. Bei Arbeitsunfällen und -krankheiten setzten diese Richter absurd hohe Entschädigungen fest, was in den Versicherungsprämien nicht berücksichtigt worden war. Die einzelnen Gesellschaften übertrugen das Risiko durch Rückversicherung zum allergrößten Teil auf das INDER. Normalerweise fordert ein Rückversicherer von der Versicherungsgesellschaft, dass sie einen viel höheren Anteil am Risiko trägt, so dass sie ein Interesse hat, das Risiko zu minimalisieren. Das war hier nicht der Fall. Bei der Kraftfahrzeugversicherung war es auch so: dem INDER wurde ein Risiko aufgebürdet, das er nicht kalkuliert hatte. Wären private Rückversicherer zugelassen worden, dann hätten diese das INDER auf die neue Konstellation aufmerksam gemacht. Das INDER wurde schliesslich Opfer seiner Monopolstellung und der staatlichen Starrheit.

Das INDER erlitt somit ab 1983 hohe Verluste, die das Kapital übertrafen. Da es 1978 in eine Staatsgesellschaft umgewandelt worden war, also eine Aktiengesellschaft mit dem Staat als einzigem Aktionär, galten somit für das INDER die allgemeinen Regeln des Handelsgesetzbuches. Nachdem der Verlust das Kapital übertraf, musste das INDER aufgelöst werden. Doch 1987 verfügte der damalige Schatzsekretär Mario Broderson, dass das Schatzamt eine Kapitalerhöhung zeichnen werde, um dies zu verhindern. Doch der Beschluss bestimmte gleichzeitig, dass die effektive Einzahlung erst erfolgen werde, wenn das Schatzamt über einen Überschuss verfügen würde. Offensichtlich war Broderson ein Mann mit viel Humor. Es ist, wie wenn ich sage, dass ich vom 10. Stock aus dem Fenster springen werde, aber erst wenn ich fliegen gelernt habe.

Das INDER musste somit die Zahlungen an die Versicherungsgesellschaften einstellen, und das bedeutete für viele Gesellschaften, die auf die Zahlungen des INDER angewiesen waren, dass sie pleite gingen. Ausländische Versicherungsgesellschaften, die schon lange gemerkt hatten, um was es hier handelte, gingen keine Rückversicherungen mehr mit dem INDER ein, und einige lokale verringerten die Rückversicherungen beim INDER auf ein Minimum. Wenn ein großer Schaden eintrat, den die lokale Tochtergesellschaft nicht verkraften konnte, gab es einen Kapitalzuschuss des Mutterhauses, der im Wesen einer Rückversicherung entsprach. Einige lokale Firmen lösten das Problem mit einem Kapitalbeitrag, und/oder einer verkappten Rückversicherung im Ausland.

Das Endergebnis war, dass ausländische Gesellschaften ihren Anteil am lokalen Markt erhöhten, und die rein lokalen den ihrigen stark verringerten, wobei sehr viele, die einst bedeutend waren, aufgaben. Große ausländische Gesellschaften übernahmen auch lokale Unternehmen, die durch die INDER-Pleite finanziell geschwächt waren. Das INDER, das geschaffen wurde, um das Versicherungsgeschäft für Unternehmen von lokalem Kapital zu reservieren, hat schließlich das Gegenteil herbeigeführt.

Unter der Menem-Regierung hat dann der mächtige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo auch das Versicherungssystem dereguliert. Er hat zunächst formell die freie Rückversicherung im Ausland zugelassen, und auch ausländische Versicherungsgesellschaften in Argentinien den lokalen gleichgestellt. Dann hat er im Rahmen der allgemeinen Deregulierungspolitik bestimmt, dass die Tarife frei seien. Das hat dann dazu geführt, dass die Versicherungsgesellschaften den Tarif gegen Maßnahmen tauschen, die das Risiko entsprechend verringern. Wer z.B. mehr Feuerlöschgeräte in kritischen Orten hat und auch sonst die Brandgefahr verringert (zum Beispiel durch Rauchverbot in Räumen mit viel Papier), erhält einen niedrigeren Tarif. Das ist logisch: denn ein Versicherungssystem ist nicht nur dazu da, um Schäden finanziell zu decken, sondern auch, um sie zu verhüten. Das ist für die Wirtschaft von Vorteil.

Die direkte Rückversicherung bei den großen internationalen Firmen stellt für das lokale Versicherungssystem eine Verbilligung gegenüber den INDER-Tarifen dar, und auch eine technisch bessere Rückversicherung. Die Versicherungsgesellschaften werden dabei gezwungen, Risiken besser einzuschätzen und müssen sich bemühen, sie zu verringern. Und die krummen Geschäfte, die das INDER ermöglichte, haben aufgehört.

Bei der Versicherung von Arbeitsunfällen und -krankheiten, die faktisch abgeschafft worden war, weil sie wegen der Rechtsprechung der Richter, die im Sinne der Gewerkschaften handelten, unbezahlbar geworden war, wurde in den 1990er Jahren ein neues System geschaffen, mit besonderen Versicherungsgesellschaften für diesen Zweck, genannt ART (Aseguradoras de Riesgos del Trabajo). Der damalige Arbeitsminister José Armando Caro Figueroa, der vorher auch in Spanien tätig gewesen war, kopierte das spanische System, aber mit wesentlichen Verbesserungen. Auch hier wird dabei der Tarif gegen Maßnahmen zur Unfallverhütung ausgehandelt, so dass die Zahl der Unfälle und Krankheiten stark abnahm. Wesentlich dabei ist, dass die Unfälle und Arbeitskrankheiten definiert und tarifiert wurden, wobei der Arbeitnehmer die Wahl hat, entweder den festgesetzten Betrag sofort zu erhalten, oder einen Prozess einzuleiten. In den allermeisten Fälle verzichteten die Betroffenen auf einen Prozess, der lange dauert, wegen der Anwaltshonorare teuer ist und einen ungewissen Ausgang hat. Das führte dazu, dass es viel weniger Prozesse gab, was einen Einkommensverlust für die Arbeitsanwälte darstellte. Diese haben dann eine intensive Lobbytätigkeit vollzogen, und unter der Regierung von Néstor Kirchner erreicht, dass das Gesetz dahingehend geändert wurde, dass die Arbeitnehmer die Entschädigung erhalten und gleichzeitig vor Gericht klagen konnten. Damit begann das Problem von neuem. Bis dies unter Cristina wieder zum Teil und unter Macri ganz abgeschafft wurde, und das ursprüngliche System wieder hergestellt wurde.

Das argentinische Versicherungssystem hat sich durch die Entwicklung, die wir hier geschildert haben, gründlich saniert und ist viel effizienter geworden. Das bedeutet, dass es den Versicherten weniger kostet und gleichzeitig Unfälle verhindert, und im Fall der Arbeitsversicherung dazu führt, dass die Arbeitsbedingungen im Fall von Krankheiten, die durch die Arbeit bedingt sind, geändert werden, so dass der Arbeitnehmer nicht erkrankt.

Noch eine Bemerkung. Zur Zeit von Domingo Cavallo als Wirtschaftsminister war der gegenwärtige Präsident Alberto Fernández Leiter der Aufsichtsbehörde des Versicherungswesens (Superintendencia de Seguros de la Nación), und als er zurücktrat, übernahm der gegenwärtige Arbeitsminister Claudio Moroni das Amt. Beide haben somit die Entwicklung, die wir hier geschildert haben, zum großen Teil miterlebt. Haben sie begriffen, dass es sich bei dieser Reform im Wesen um ein Versagen des Staates als Unternehmer, in diesem Fall als Rückversicherer, und auch des extremen staatlichen Interventionismus, gehandelt hat? Oder haben sie nur passiv mitgemacht, was die Umstände herbeiführten und ihr damaliger Minister entschied, ohne zu verstehen, was wirklich geschehen ist?

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