Kennen Sie das Gebet der Ungeduldigen? „Gott, gib mir Geduld, aber bitte sofort!“ Ich muss gestehen, ich bete es oft. Im Stau, in der Schlange vor dem Supermarkt, wenn bei der Videokonferenz die Internetverbindung aussetzt oder ganz zusammenbricht, eigentlich überall, wo ich warten muss. Da kommt einem jenes Gesetz des Murphy in den Sinn, wonach es in der Schlange nebenan immer schneller vorwärts geht. Das ist statistisch nicht erwiesen. Es heißt, dass es nur in zwei von zehn Fällen geschieht. Aber diese zwei Male erinnern wir natürlich eher als die anderen acht, wo es anstandslos klappt.
Im Buch der Sprüche Salomos heißt es: „Wer geduldig ist, der ist weise; wer aber ungeduldig ist, offenbart Torheit.“ Hier eine Geschichte, die man mir erzählt hat: Sie waren im Urlaub. Sie wollten im Gartenrestaurant Abendbrot essen. Aber die Kellnerin ließ auf sich warten. Der Mann stand auf und sagte: „Komm, wir gehen woanders hin.“ Die Gaststätte, die sie nun betraten, war voll. Der Kellner bat sie in den Vorraum auf einen Drink: „Nehmen Sie doch einen Moment Platz, gleich wird ein Tisch frei.“ Zehn Minuten später sprang der Mann auf und sagte: „Los, jetzt gehen wir!“ Sie wollte nicht: „Woanders müssen wir wieder warten!“ Aber er war schon draußen. Im dritten Lokal fanden sie zwar Platz, aber wieder mussten sie warten. Nach einer Weile stand er abrupt auf und ging hinaus. Sie blieb sitzen. Er kam zurück, und sie sagte: „Ich will jetzt hier essen!“ Da sie das Geld verwaltete, forderte er: „Dann gib mir Geld, damit ich woanders essen kann.“ Sie warf ihm den Geldbeutel hin und stürzte hinaus. Sie lief und lief, bis sie merkte, dass er ihr folgte. Sie gingen lange wortlos nebeneinander her. Später saßen sie auf ihrem Bett im Hotelzimmer und tranken Wasser. Der Abend hätte schön werden können - Ungeduld zerstörte ihn... „Wer ungeduldig ist, offenbart seine Torheit.“
Aber: Kann Ungeduld nicht auch „weise“ sein? Ich meine, Geduld hat ihre Zeit im Leben, Ungeduld aber auch. Geduld immer und überall ist doch so genauso wenig weise wie andauernde Ungeduld. „Sie ist ein geduldiger Mensch“ - dieses Urteil würde mir nicht gefallen, weil es heißen kann: „Sie lässt alles passiv über sich ergehen.“ Ebenso wenig würde mir das Urteil: „Sie ist ein ungeduldiger Mensch“ gefallen, denn dieses Urteil sagt: „Sie geht mit dem Kopf durch die Wand. Sie nimmt die anderen nicht ernst.“ Muss nicht derjenige weise genannt werden, der angesichts der Situation die richtige Entscheidung trifft: Ist Geduld jetzt notwendig oder hilft nur Ungeduld weiter?
Da sieht das plötzlich ganz anders aus. Es geht nun nicht mehr um meine eigene Person, sondern um die Frage, was jetzt gerade notwendig ist, was hilft, was den anderen hilft. Vieles wird uns in diesen Tagen abverlangt. Die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stellen eine Herausforderung dar, auf kollektiver wie persönlicher Ebene. Jede und jeder einzelne erträgt die Situation nicht nur für sich, sondern auch für alle anderen.
Keiner weiß, wann die Rückkehr zur Normalität erfolgen wird. In dieser Situation ist Ungeduld gefährlich. Geduldiges Warten ist daher das Gebot der Stunde, in dieser Art von Schwebezustand zwischen der Gegenwart und der ungewissen Zukunft. Leichter fällt die Geduld, wenn das Kommende möglichst vorhersehbar ist. Nicht einmal das ist derzeit möglich. Wir gedulden uns und hoffen auf das Beste.
Persönlich glaube ich, dass man diese „tote“ Zeit auch sinnvoll ausfüllen kann. Sich beschäftigen mit Dingen, die einem Freude machen. Kreativität und neue Aktivitäten einüben. Musik hören. In den Warteschlangen aktiviere ich in meiner Erinnerung eine Liste von Menschen, die ich mag, ich denke an sie, danke für ihr Leben und schicke gute Wünsche auf die Reise zu ihnen. Es gibt viele Möglichkeiten, die Selbstbestimmung wieder zu übernehmen und sich nicht nur ohnmächtig treiben zu lassen. Denn du kannst vor Ungeduld ins Lenkrad beißen, wenn dich ein Stau ausbremst. Du musst es aber nicht. Du kannst dich über Gott und die Welt ärgern, du musst es aber nicht. Du kannst dich verrückt machen (lassen), du musst es aber nicht. Du kannst dich den ganzen Tag ärgern, bist aber nicht dazu verpflichtet.
Eine Freundin antwortete auf meine Klage darüber, dass ich immer noch nicht gelernt habe, geduldiger und gelassener zu sein, ganz erstaunt: „Aber ihr Christen habt doch einen anderen Standpunkt als wir; ihr seid doch nicht hilflos verstrickt in das Gewühl der Welt wie wir.“ Und mir kam das Wort des Paulus in den Sinn: „Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“
Es war ganz gut, daran erinnert zu werden.
Pastorin Karin Krug
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