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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Worte zum Wochenende: Einsam oder gemeinsam?

Pandemie und Quarantäne haben Dinge ans Licht und ins Bewusstsein gebracht, die schon vorher als Problem erkannt worden waren, aber nicht die Aufmerksamkeit so auf sich gezogen haben wie jetzt. Die Armenviertel und Gefängnisse mit ihrer desolaten Infrastruktur und unerhörten hygienischen Zuständen sind seit vielen Jahren zur Genüge bekannt. Der Prozess der Vereinzelung und Fragmentierung der gesellschaftlichen Beziehungen hat schon vor langer Zeit angefangen. Schon vor der Pandemie mussten viele Menschen nicht mehr unbedingt aus dem Haus: Man arbeitet von zu Hause aus, macht die Einkäufe online, lässt sich das Essen per Lieferdienst ins Haus bringen und ins Kino oder ins Konzert muss man auch nicht mehr. Und nun gibt es auch Gottesdienste, zu denen man sich nicht aufmachen muss. Vor Jahren schon wurde auf dieses soziale Phänomen hingewiesen: Es macht sich langsam aber sicher eine soziale Erkrankung breit, die Einsamkeit. Die Pandemie und Quarantäne haben dem einen enormen Vorschub geleistet, gerade mit dem paradoxen Slogan, dass Einsamkeit uns schützt. Die Folgen sind noch gar nicht abzusehen.

Eine kurze Begriffsklärung: Ich rede nicht vom Alleinsein, sondern von Einsamkeit. Umgangssprachlich vermischen wir beides oft. Aber sie sind zu unterscheiden: Alleinsein wird von vielen Menschen freiwillig gesucht und wird oft als befreiend und wohltuend erlebt. Einsamkeit dagegen ist meist nicht Wahl, sondern Schicksal, wird Menschen ‚aufgezwungen‘. Es kann richtig schön und entspannend sein, mitunter allein zu sein, einfach Zeit für sich selbst haben. Es tut gut, sich mal eine Auszeit zu nehmen. Auf bestimmte Nachrichten in unserem Leben ist Alleinsein eine angemessene Reaktion. Ganz anders ist es mit der Einsamkeit. Einsam kann man mitten im Trubel, inmitten vieler Menschen sein. Wer einsam ist, dem fehlen nicht einfach Menschen. Dem fehlt vielmehr das Gefühl, von anderen beachtet, anerkannt, gebraucht und wertgeschätzt zu werden. Einsamkeit ist ein gefährlicher Zustand, weil dem Einsamen der Spiegel fehlt. Ihm fehlen Menschen, die ihn ermutigen und bestätigen, aber auch Freunde, die ihn kritisieren und korrigieren. Bis heute sagen Psychologen, dass Einsame nicht nur das Sprechen verlernen, sondern auch das Lachen. Oftmals versucht der einsame Mensch die Menschen, die er liebt, für sein Glück verantwortlich zu machen und alles von ihnen zu erwarten und das führt zu einer totalen Überforderung und so wieder zur Einsamkeit. Ein Teufelskreis. Großbritannien hat die Einsamkeit mittlerweile als massenhaftes Gesundheitsrisiko anerkannt und will das Problem politisch angehen. Seit 2018 gibt es ein Ministerium für Einsamkeit (‚ministry of loneliness‘).

Wenn wir einen Blick in die Bibel werfen, wird es uns kaum erstaunen, dass auch Menschen damals die Einsamkeit kannten: Ein Psalmbeter klagt: „Ich bin einsam und elend.“ Ein anderer: „Ich bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“ Jeremia sagt: „Nie saß ich fröhlich mit anderen Menschen zusammen, ich konnte nicht mit ihnen lachen. Nein, einsam war ich.“

Es gibt heute noch eine tiefere Dimension: Einsamkeit hat nicht nur mit dem Fehlen menschlicher Nähe zu tun, sondern auch mit dem Verlust einer tragenden Gottesbeziehung. Gott ist vielen Menschen heute unerkennbar und fragwürdig geworden. Viele fühlen sich heimatlos, als Staubkörnchen im unendlichen All.

Im Neuen Testament gibt es einen Bericht, der anschaulich beschreibt, was Einsamkeit ist, aber auch wie einer herausfindet (Johannes 5,2-7): Ein kranker Mensch lag seit 38 Jahren am Teich Bethesda (einer Art antikem Krankenhaus) in Jerusalem. Aber wichtiger als diese Zahl ist der verzweifelte Hilferuf: „Ich habe keinen Menschen.“ Jeder in Bethesda (und das kann überall sein!) ist auf sich allein gestellt, oftmals gerade an Orten, an denen menschliche Zuwendung wichtiger wäre als alles andere: In Krankenhäusern, Pflegeheimen, in Sterbezimmern. Auch in Kirchen.

Wie Jesus auf ihn zugeht, sich seiner annimmt, das bringt diesen Mann wieder auf die eigenen Füße und auf den Weg des Lebens. Der Teufelskreis wird durchbrochen. So kann man diesen Satz umformulieren, indem wir das „K“ streichen und nicht sagen: „Ich habe keinen Menschen!“, sondern: „Ich habe einen Menschen“: Jesus von Nazareth, der erfahren hat, was es heißt, von Menschen wie von Gott verlassen zu sein. Seither hat jeder, der sich in seiner Einsamkeit verloren fühlt, mindestens diesen einen Menschen an seiner Seite. Durch diesen Einen, durch dieses göttliche ‚DU‘, entdeckt der Mensch: „Trotz meiner Einsamkeit, meiner Verschlossenheit in mir selbst, bin ich doch nicht alleine! Ich kann aufrecht durch das Leben gehen. Nicht mehr einsam sondern gemeinsam“. Vielleicht gilt gerade bei diesem Thema das Zitat von Friedrich von Bodelschwingh: Eine Gemeinschaft ist der Ort wo ein Bettler dem anderen sagt, wo es Brot gibt.

Pastorin Karin Krug

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