Jeden Tag werden Tonnen Papier, Stunden im Radio und Fernsehen verwendet - eine Lawine von Wörtern und Informationen, und es ist oft schwierig, herauszufinden, was wahr ist. Vor 40 Jahren noch schloss mein Vater Verträge per Handschlag. Das gegebene Wort war gültig, als wäre es geschrieben, es war unantastbar. Heute beraten wir uns mit Anwälten, bevor wir irgendetwas unterschreiben. Und fühlen uns trotzdem nicht sicher.
„Verba volant, scripta manent“, sagten die alten Römer; Wörter verfliegen, Geschriebenes bleibt. Als Kind fragte ich mich: „Wohin geht alles, was wir sagen? Verweht es in der Luft wie ein Parfüm?" Und ich stellte mir vor, dass alles an einem Ort im Universum landet, an einem Schuttabladeplatz von Wörtern. Stellen Sie sich vor, was für eine riesige Menge Wörter, so viel dummes Zeug, so viel Unsinn, so viel leere, unnötige Worte, bombastische Versprechungen und magische Rezepte. Heute scheint mir diese kindliche Phantasie wie ein Albtraum. Das Problem ist aber nicht, dass die Wörter vom Wind weggeblasen werden. Das Problem ist, dass sie zuvor etwas ausrichten und anrichten. Oft sind sie eine Erleichterung und eine Liebkosung für die Seele; andere Male sind sie Pfeile, die schwer heilbare Wunden zufügen.
Wenn man einem Kind von klein auf einredet, es sei nichts wert, es sei unnütz und dass es irgendwann in der Kriminalität und den Drogen landen wird, wird das mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich geschehen. Andrerseits kann das Kind sich gesund entwickeln und leichter seinen Platz im Leben finden, wenn man ihm gute Worte schenkt, die seinen Wert und sein Vertrauen aufbauen. Es kann leichter lernen, dass es nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen hat. Wer seinen eigenen Wert nicht erkennen kann, der wird schwerlich den Wert anderer anerkennen. Respekt, Toleranz, Freundlichkeit und Solidarität kann man nur lernen, indem man sie erlebt hat. Und das fängt mit dem Gebrauch des Wortes an. Denn auf Worte können Taten folgen. Worte wirken. Immer.
In unserem Land - aber auch weltweit - verroht die Sprache zunehmend, zumindest scheint es mir so. Das beginnt mit der Abqualifizierung anderer Meinungen und derer, die diese Ansichten aussprechen. Das kann man im politischen Geschehen beobachten, aber auch im täglichen Miteinander. Die Sozialen Medien bieten durch ihre Anonymität geradezu ein ideales Feld, andere herabzusetzen, sie mit den rohesten Titeln zu belegen.
Man gewöhnt sich dran, und das ist das Schlimme. Denn Verrohung beginnt immer in der Sprache. Es ist nicht möglich, gewalttätige Worte zu verwenden und dann liebevoll zu handeln. Kampfbegriffe machen sich im Sprachgebrauch breit, die Grenzen des Sagbaren verschieben sich. Diskriminierende Witze werden mit Beifall bedacht, Lügen oder Halbwahrheiten verbreitet, Übertreibungen und Verallgemeinerungen sind gang und gäbe; da werden andere überschrien, lächerlich gemacht, bedroht, belogen, emotional erpresst, manipuliert, verleumdet. Und etwas bleibt immer hängen.
Es wäre sinnvoll, wenn sich alle, die mit Worten und Wörtern „arbeiten“, sich immer wieder die Geschichte von den drei Sieben ins Gedächtnis rufen: Einst wandelte Sokrates durch die Straßen von Athen. Plötzlich kam ein Mann aufgeregt auf ihn zu. „Sokrates, ich muss dir etwas über deinen Freund erzählen, der...“ „Warte einmal,“ unterbrach ihn Sokrates. „Bevor du weitererzählst - hast du die Geschichte, die du mir erzählen möchtest, durch die drei Siebe gesiebt?“ „Die drei Siebe? Welche drei Siebe?“ fragte der Mann überrascht. „Lass es uns ausprobieren,“ schlug Sokrates vor. „Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Bist du dir sicher, dass das, was du mir erzählen möchtest, wahr ist?“ „Nein, aber ich habe gehört, wie es jemand erzählt hat.“ „Aha. Aber dann ist es doch sicher durch das zweite Sieb gegangen, das Sieb des Guten? Ist es etwas Gutes, das du über meinen Freund erzählen möchtest?“ Zögernd antwortete der Mann: „Nein, das nicht. Im Gegenteil...“ „Hm,“ sagte Sokrates, „jetzt bleibt uns nur noch das dritte Sieb. Ist es notwendig, dass du mir erzählst, was dich so aufregt?“ „Nein, nicht wirklich notwendig,“ antwortete der Mann. „Nun,“ sagte Sokrates lächelnd, „wenn die Geschichte, die du mir erzählen willst, nicht wahr, nicht gut und nicht notwendig ist, dann vergiss sie besser und belaste mich nicht damit!“ Das achte Gebot spricht das an: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ In seinem Kleinen Katechismus legt Martin Luther das so aus: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“
Da wird viel verlangt, nicht wahr? Aber die Liebe zur Wahrheit schafft Vertrauen und ein Klima der Sicherheit. Mit der Lüge, dem Betrug und falschen Versprechungen besteht keine Chance, eine bessere Welt aufzubauen.
Pastorin Karin Krug
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