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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Worte zum Wochende: Gelingen

Von Pastorin Karin Krug

Zunächst zwei Texte von zwei Dichtern, die zur gleichen Zeit gelebt haben und sich kannten: „Täglich zu singen“ von Matthias Claudius (1740-1815):

„Ich danke Gott, und freue mich wie’s Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz habe.“

Und: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“, verkünden drei Engel das Urteil über Faust am Ende des zweiten Teils des „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832).

Zwei gegensätzliche Einstellungen, will mir scheinen. „Ich danke Gott und freue mich wie‘s Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz habe“ - der Mensch, der dieses sagt, benimmt sich nicht so, wie wir das von einem Erwachsenen erwarten. So überschwänglich außer sich zu geraten angesichts des bloßen Daseins! Man ist hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und einem Gefühl der Peinlichkeit über einen, der so unbefangen zufrieden ist mit sich selbst und seiner Welt.

Ich glaube, in unserer ganzen Lebenseinstellung hat sich Goethes Wort durchgesetzt. Sich strebend bemühen, das erscheint einem nobler, verantwortungsbewusster als die fast naive Freude am bloßen Dasein. Natürlich, der Spruch der Engel enthält auch die Begründung für Fausts Errettung: Weil er sich strebend bemüht, könne er erlöst werden.

Wann kann man sagen, dass das Leben kostbar ist? In unserer Gesellschaft, wo Streben und Leistung das höchste Wort haben, ist Leben kostbar, wenn es Erfolg hat. Natürlich ist es der verständliche Wunsch aller Menschen, sich nicht mit ihrer Unzulänglichkeit zufrieden zu geben, sondern das Beste aus ihrem Leben zu machen, Ziele zu erreichen und kleine oder größere Träume zu erfüllen.

Aber die andere Seite der Medaille dieser Lebenseinstellung ist, dass unser Leben scheinbar NUR dann etwas wert ist, wenn wir etwas „daraus machen“. Das setzt uns unter großen Druck, erfolgreich sein zu müssen: Wir müssen 100% gesund sein und bleiben, viel Sport treiben und möglichst im Wettbewerb, wir müssen glücklich in unseren Beziehungen sein, unsere Kinder perfekt erziehen, das heißt, dass auch sie sich immer strebend bemühen; im Beruf muss man Karriere machen und dabei: immer dynamisch, ausgeglichen, gelassen und exzellent sein. Und am Ende müssen wir sogar im Sterben erfolgreich sein, wenn möglich, soll der Tod uns alt und lebenssatt, aber mit intakten Sinnen erreichen, ohne dass wir es merken, ohne Krankheit und ohne irgendjemandem zur Last zu fallen.

Dieses Ausgerichtetsein auf Erfolg kann furchtbar gnadenlos sein und lebt von dem ständigen Vergleich mit anderen, die es „geschafft“ haben. Und die, die es so nicht schaffen? Zum Beispiel, alte Menschen werden diskriminiert dadurch, dass man nichts mehr von ihnen erwartet, oder sie selbst nichts mehr von sich erwarten. Und bei Behinderungen nach einem Unfall oder auch sonst, ist das Urteil manchmal schnell da: Das ist doch kein Leben mehr...

Ich glaube, die Einstellung, die Matthias Claudius ausdrückt, vermag Leben und Gnade zusammenzudenken. Was heißt das? „Gnade“ heißt, Leben ist erst einmal geschenkt, ohne Bedingungen. So wie Gottes Schaffen nach den Erzählungen der biblischen Tradition an keine Bedingungen gebunden ist, sondern aus nichts als Liebe und Erbarmen geschieht, so ist menschliches Leben geschenkt „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn' all mein Verdienst und Würdigkeit...“


Ich habe einen wunderbaren Aufsatz von Gunda Schneider-Flume entdeckt mit dem Titel: „Leben ist kostbar. Gegen die Tyrannei des gelingenden Lebens“. Die Autorin hat mich überzeugt, dass Gott nicht da ist, um unser erfolgreiches Leben zu garantieren. Wo immer die Bibel vom Segen spricht, geht es nicht um unser Leben als Projekt, das erfolgreich sein muss, wo alles gut wird, wenn wir alles gut machen. Die Autorin erklärt, wie rücksichtslos und unmenschlich das Modell eines erfolgreichen Lebens sein kann. Klar, die Rede von der Tyrannei des gelingenden Lebens kann und darf die Leistung nicht disqualifizieren. Leistung und Leistungsfähigkeit verdienen höchste Anerkennung und Lob: „Weil das Leben bedingungslos, unendlich kostbar ist, kann der Mensch viel aus seinen eigenen Mitteln und seiner eigenen Stärke erreichen.“ ABER: „Das Leben selbst, das Leben eines jeden Menschen, geht weit über das radikale Urteil über den Erfolg und Misserfolg hinaus.“

Das Leben ist nicht kostbar, weil es erfolgreich oder wenn es erfolgreich ist. Das Leben ist kostbar, weil es Geschenk Gottes ist. Es gibt kein misslungenes oder verschwendetes Leben, selbst wenn wir mit Brüchen und Gefährdungen umgehen müssen. Das Leben kann tiefen Sinn haben, auch wenn nicht alles machbar, planbar und kontrollierbar ist, wenn wir uns nur anstrengen. Ich glaube, in Zeiten der Pandemie und der ewig langen Quarantäne können wir das neu bedenken und verstehen.

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