Von Pastorin Karin Krug
Im April 2019 hat der „Spiegel“ das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht zu der Frage, wie viel Deutsche an Gott glauben. Nach der Umfrage sind es etwa 55%. Interessant finde ich, dass bei einer erstaunlich hohen Zahl der Befragten, die nicht an Gott glaubten, ein ausgeprägter Hang zum Wunderglauben, zur Horoskop-Gläubigkeit oder den Glauben an Engel vorhanden ist. In der angeführten Studie im „Spiegel“ heißt es - und es stimmt mit meiner Beobachtung überein -, dass heute das spirituelle Interesse eher zunimmt.
Man kann tatsächlich sehr religiös sein - ohne Gott. Trotzdem finde ich es erstaunlich, dass nicht-gläubige Menschen an Wunder glauben, während bei vielen Gottgläubigen gerade die Wundergeschichten der Heiligen Schrift ein Problem sind. Beim Auslegen dieser Texte verrenken wir Theologen uns manchmal direkt akrobatisch und suchen allerlei Anhaltspunkte, sie plausibel zu machen, sie vernünftig zu erklären. Dabei versuchen wir eine Kanne voll Wasser mit dem Metermaß zu messen.
Mir scheint, dass wir der Zeit hinterher hinken und dass uns noch eine Verunsicherung aus der Zeit der Aufklärung anhaftet. So schlägt man sich heute noch oftmals mit dem Satz herum, dass man nicht glauben kann, was man nicht zu beweisen vermag. Das ist ein logischer Kurzschluss. Tatsächlich glauben wir an viele Dinge, die wir nicht beweisen können, weil sie logisch nicht beweisbar sind. Wenn mein Freund mir sagt, er liebe mich, und ich ihm sagen würde, das könne ich nicht glauben, wenn er es mir nicht beweise, bin ich wahrscheinlich bald meinen Freund und die Beweise los.
Tatsache ist, dass wir die verschiedenen „Gegenstände“ mit unterschiedlichen Methoden angehen. Wenn ein Schüler sagt, er wird sich bei der Matheprüfung ganz auf sein Gefühl verlassen, dann wird er wahrscheinlich eine Überraschung erleben. Mathematik erfasst man nicht mit Gefühlen und Emotionen, so wie man der Liebe nicht mit logischem Denken beikommt. Gott als „Gegenstand“ unserer Erkenntnis erfasst man nicht mit wissenschaftlichem Denken und nicht mit Gefühlen, sondern mit einer ganz anderen „Methode“, eben mit dem Glauben. Ich denke, Glauben ist eine Sehweise, die hinter der sichtbaren Realität mit einer anderen, unsichtbaren Wirklichkeit rechnet und sich ihr anvertraut. Er ist von dieser Wirklichkeit ergriffen, in seinem Denken, Fühlen und Leben. Da will ich nochmal auf die Liebe zurückgreifen. Liebe macht nicht blind, wie man sagt. Liebe macht sehend. Der Glaube auch.
Ein Mann flüsterte: „Gott, rede mit mir!“ Und der Baum sang. Aber der Mann hörte nicht. Dann bat er: „Gott, rede mit mir!“ Und ein Blitz überquerte den Himmel. Aber der Mann sah nichts und rief: „Gott, lass mich dich sehen!“ Und ein Stern leuchtete auf in großer Pracht, aber er bemerkte es nicht. Dann schrie er: „Gott, zeig mir ein Wunder!“ Und in diesem Moment wurde ein Baby geboren. Aber der Mann nahm es nicht zur Kenntnis. Schließlich verlangte er verzweifelt: „Berühre mich, Gott, und lass mich wissen, dass es dich gibt!“ Und Gott kam herab und berührte den Mann. Aber er verscheuchte den Schmetterling, der sich auf seiner Hand niedergelassen hatte. Und er ging weiter... Er hörte nicht, er sah nicht, er bemerkte es nicht, er fühlte nichts.
Weil Wissenschaft Wunder nicht erklären kann, glaubte man bis vor etwa 50 Jahren nicht an Wunder. Naturwissenschaft ist ja der Versuch, die Welt mit Mitteln der Physik zu erklären, und das führte zur Überzeugung, es sei möglich, die ganze Welt und alles was darinnen ist, physikalisch erklären. Im Laufe des naturwissenschaftlichen Fortschritts sind Wissenschaft und Glaube in einen scharfen Gegensatz geraten. Die moderne Physik - und ich bin in keiner Weise Spezialistin in diesem Thema - ist irgendwie viel vernünftiger geworden und hat die Grenzen ihrer Deutungsversuche anerkannt. Von der modernen Naturwissenschaft her gesehen ist ein Wunder nichts anderes als ein Phänomen, das außerhalb der Grenzen der Physik liegt, also mit ihren Mitteln nicht erklärt werden kann. Früher sagte man, es sei ein Phänomen das im Widerspruch mit der Physik stehe. Das stimmt nicht mehr. Es liegt eben nur außerhalb der Sphäre der Naturwissenschaften.
Das gilt aber auch umgekehrt. Auch die Kirche hat mit dem Glauben Dinge zu erklären versucht, die mit Glauben nicht erklärt werden können oder sollen. Sie hat über Jahrhunderte hinweg mit die Bibel Erkenntnisse unterdrücken wollen, die sie im Widerspruch zu einer fundamentalistischen, wortwörtlichen Deutung der Bibel empfand. So hat sie Galileo zwingen können, seine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Scheiterhaufen zu widerrufen. Auch so ein Versuch, eine Kanne voll Wasser mit dem Metermaß zu messen.
Besser, wir bleiben bei den Maßeinheiten, die jedem Gegenstand angemessen sind.
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