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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende: Und nun?

Von Pastorin Karin Krug

Wenn einer einen Unfall erlitt und einige Zeit außer Gefecht gesetzt wurde, sich einer großen Operation unterziehen musste oder etwas erlebt hat, das ihn erst einmal aus der Bahn geworfen hat, wünschen Freunde und Bekannte oft: „Werde ganz schnell wieder gesund“, „dass du bald wieder der alte oder ganz die alte wirst“. Man erwartet, dass man möglichst schnell wieder genau dort weitermachen kann, wo das Leben unterbrochen worden ist. Wir reagieren mit Unverständnis, wenn jemand das nicht so schnell schafft; wir gehen davon aus, dass man sich doch nur zusammenreißen und den Willen aufbringen müsse. Meines Erachtens funktioniert das nicht so. Nach einer traumatischen Situation kann man gar nicht mehr „ganz die alte“ oder „ganz der alte“ sein.

Die Situation, die wir durch die Pandemie erleben, ist ein großes Trauma. Vielleicht - und hoffentlich! - für manche eine mehr oder weniger große Unannehmlichkeit, weil wir eben eingesperrt waren, weil monatelang so gar keine persönlichen Begegnungen möglich waren und wir nicht reisen konnten. Aber für die Menschheit insgesamt ist sie ein enorm traumatisches Erlebnis. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen sind langsam abzusehen aber noch nicht voll begriffen. Und man mag sich gar nicht vorstellen, wie ungeheuer hart es die Familien getroffen hat, ihre Kranken und Sterbenden und Toten nicht begleiten zu können. Ich frage mich, wie eine Gesellschaft damit umgehen kann, dass Abertausende aus ihrer Mitte gerissen wurden.

Kann man später einfach daran anknüpfen wo man Mitte März 2020 aufgehört hat? Lebenshungrig und begierig, all das Verpasste nachzuholen?

Bestimmt war es wichtig, Versammlungen, Reisen und enge zwischenmenschliche Kontakte einzuschränken, um das Virus zu stoppen und Todesfälle zu verhindern. Gleichzeitig wurde die Trauer dadurch erschwert, dass so viele der traditionellen Wege, auf denen man üblicherweise trauert, wegfallen. Eine Trauerfeier über Zoom ist weit davon entfernt, wirklich mit anderen zusammenzukommen und den Trost einer menschlichen Umarmung zu erfahren.

Aber nicht nur der Tod eines nahen Menschen muss in einer Trauerarbeit bewältigt werden. Man hat den Eindruck, es wurden einem viele Monate des Lebens gestohlen. Wir sind verunsichert in unserem Lebensgefühl. Dieser Tage ertappte ich mich, wie ich in einem telefonischen Gespräch mit meiner Mutter sagte: „Ich glaube, ich werde mich nie mehr wieder richtig sicher fühlen.“

Wir müssen Trauerarbeit leisten, denn der Verlust ist vielfältig und groß. Wir müssen uns fragen: Was ist mit uns passiert?

Die Humanwissenschaften lehren uns, dass verhinderte oder unterdrückte Trauer einen Druck im Menschen anstauen lässt, der sich dann auf vielerlei Weisen Erleichterung schaffen muss. Da kann der Körper oder die Seele herhalten müssen in verschiedenen Leiden. Aber der angestaute Druck kann sich auch in Gewalttätigkeit, Aggression, Unmut, Polarisierungen, Schuldzuweisungen, Wut, irrationalen Ausbrüchen ausdrücken. Und das beobachten wir verstärkt.

Ich habe während der Pandemie so etwas wie einen tätigen Optimismus entwickelt. Das ist so meine Art, auch deshalb, weil ich nicht gerne jammere. Und der Optimismus ist ja auch irgendwie verwandt mit der Hoffnung. Nun habe ich das Gefühl, dass der Optimismus auch eine negative Seite hat. Er kann die schwierigen Tatsachen herunterspielen oder das enorme Leiden nicht ernst nehmen. Das ist nicht mein Ding, ganz gewiss nicht. Aber der Voluntarismus kann dazu verleiten, zu denken, man muss sich nur genügend anstrengen und dann wird es schon. Wenn ich früher mit meinen Kindern unterwegs war, und wir zu einer überschwemmten Stelle kamen, haben wir uns ermutigt: „Hindurch mit Gebrüll!“, und dann haben wir gebrüllt und sind hindurch. Dieses Rezept kommt mir jetzt nicht mehr passend vor. Leisere Töne sind angesagt. Wir müssen gemeinsame Wege finden, das Trauma nicht nur zu überbrüllen, sondern zu verarbeiten. Wie genau das gehen soll, weiß niemand so genau. Wir müssen es gemeinsam herausfinden. Es gibt einige intensive Ansätze, die Hilfe bieten können. Für den Anfang finde ich eine sichere Rückkehr zu Ritualen wichtig. Religiöse Rituale, Gottesdienst, Gebet, Singen, Loben und Klagen, Nächstenliebe und Konzerte haben einen enorm aufbauenden und stabilisierenden Charakter. Wir müssen es (wieder) lernen, dass wir eine Gemeinschaft sind. Das ist nicht nur eine Herausforderung für die Kirchen, sondern für alle Gemeinschaften, Gruppen, Vereine, Organisationen. Gemeinschaft ist überhaupt DER Ort des gemeinsamen Gedenkens und der heilenden Gespräche über den Verlust.

Am Ende unserer Gottesdienste singen wir oft:

„Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen,

sondern überall uns zu dir bekennen.

Nie sind wir allein, stets sind wir die deinen.

Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.“

Das ist nicht nur Optimismus, sondern Hoffnung.

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