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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende: Sturm

Von Pastorin Karin Krug

Im Altertum galt das Wasser und das Meer als Symbol für das Chaos, für all das, was dem Menschen bedrohlich ist. „Mir steht das Wasser bis zum Hals“, klagt der Beter des Psalms in höchster Not, „die Wogen überrollen mich“. Und das Leben stellt sich dar als ein Boot, das im Sturm hin und her geworfen wird. Seit Beginn der weltweiten Krise durch die Corona Pandemie haben wir immer wieder die Sturm-Geschichten in der Bibel gelesen. Man kann in diese Geschichten hineinschlüpfen, weil sie etwas von dem ausdrücken, was man erlebt und manchmal gar nicht benennen kann. Wir leihen sie uns aus, sie fassen unsere Sorge und Ungewissheit in Worte. „Sie sind wertvoll, weil Glaubensgeschwister über Jahrtausende hinweg sie gewaschen haben mit ihren Tränen und Hoffnungen. Bibeltexte sind wie ein abgegriffener Stein, durch viele Hände gegangen und schön geworden durch die Wärme der Geschwister.“ (Fulbert Steffensky)

In der Apostelgeschichte wird im Kapitel 27 von einer Fahrt übers Mittelmeer, von Kleinasien nach Rom, erzählt. 276 Menschen sind an Bord. Touristen, Händler, die ihre Geschäfte abgeschlossen hatten und nach Hause fuhren; andere, die in Rom Geschäfte machen wollten. Militärs und Funktionäre, und eine Reihe von Gefangenen, die in Rom vor Gericht gestellt werden sollen. Unter denen war auch der Apostel Paulus, der in Rom sein Urteil über Leben oder Tod empfangen soll.

Sie kommen in einen fürchterlichen Sturm.

An dieser Geschichte können wir ablesen, wie sich Menschen in den Stürmen ihres Lebens verhalten. Zunächst wird alles getan, vielleicht sogar hektisch - und dann heißt es: „wir ließen uns treiben“. Auch in der Pandemiekrise haben manche zunächst höchste Aktivität entwickelt und dann ließen sie sich treiben. Sie wurden pessimistisch und unzufrieden und steckten andere mit Vermutungen und düsteren Aussichten an. In unserer Geschichte heißt es „sie verloren die Hoffnung auf Rettung und sie hören auf zu essen“. Sie hatten nichts mehr, woran sie sich halten könnten. Die Verzweiflung und die Angst sind aber keine guten Ratgeber. Paulus sagt zu den verängstigten Menschen: „Seid unverzagt, ich glaube Gott.“

Dann, als der Sturm auf dem Mittelmeer mehrere Tage anhielt, fingen sie an, Ladung ins Meer zu werfen. Das haben viele von uns auch getan, wir haben manches in unserem Leben oder unseren Häusern gesichtet und weggetan, was nicht mehr dient. Und wir haben erlebt, wie gut es tut, sich von Dingen zu trennen, die nicht mehr nötig sind. Nicht nur materielle Dinge, auch alte Geschichten, Ressentiments und Vorurteile. Manche haben erkannt: es ist der Moment aufzuräumen, außen aber auch innen, und Ballast abzuwerfen.

In jenem Sturm auf dem Mittelmeer ging es Tage und Nächte weiter in höchster Angst. Die Seeleute haben dann die Schiffsgeräte über Bord geworfen. Das war eine sehr schwere Entscheidung. Schiffsgeräte sind für die Schifffahrt absolut nötig. Da geht es um Anker und Notanker, um Bootshaken und Masten, um dicke Seile und wohl auch Segel. Das war die Erkenntnis: Wir haben nicht mehr die Kontrolle über unser Schiff. Das ist wohl das schwerste Eingeständnis in stürmischen Zeiten: Wir haben die Kontrolle nicht mehr. Und das verstört, ja beleidigt uns zutiefst. Denn Menschen müssen im Chaos eine Kontrolle behalten, sonst werden sie vom Chaos überrollt.

Eine weitere Verhaltensweise der armen Menschen in Seenot damals dort auf dem Mittelmeer: Einige versuchen vom gefährdeten Schiff zu fliehen, sie wollten die wenigen Beiboote ins Wasser lassen und sich retten. Es klingt geradezu modern als Paulus sagt: „Wir können uns nur gemeinsam retten, oder keiner wird davonkommen“. Sich alleine zu retten, ohne an die anderen zu denken, das ist immer eine Versuchung. Auch heute. Eine wichtige Lektion war und ist, dass wir nicht nur für uns selbst Verantwortung tragen, sondern auch für die anderen. Wann werden wir es als Menschheit lernen, dass wir alle in einem Boot sitzen und wir uns nur gemeinsam retten werden? Alle sind wir miteinander verwoben, was die einen betrifft, hat seine Auswirkungen auf die anderen. Rette sich wer kann... Das ist keine gute Parole.

Das Ende der Erzählung aus der Apostelgeschichte ist, dass sie alle gerettet ans Land kamen. Das Schiff konnten sie nicht retten, es zerbrach. Auch Pandemie und Quarantäne mögen das schaffen: Verlust und Traumata, Neu-Anfangen-Müssen an dem neuen Ufer wohin uns der Sturm treibt. Ohne Gottvertrauen geht es nicht. Allein geht es nicht. Am neuen Ufer werden wir einiges neu aufbauen müssen. Aber auch da gilt, wie es in einer der Ostergeschichten heißt: „Am anderen Ufer steht der Herr.“


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