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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende: Skandal

Von Pastorin Karin Krug

19 Jahre waren vergangen, seit Christoph Kolumbus mit seinen 3 Karavellen den neuen Kontinent „entdeckt“ hatte. Auf der Insel Hispaniola (heute Dominikanische Republik und Haiti) hatte man eine Stadt gegründet, Santo Domingo, mit einer schönen Plaza und einer schmucken Kathedrale als Zentrum. In der Adventszeit 1511 kamen Konquistadoren von den anderen Inseln in die Stadt, um Geschäfte abzuwickeln, alte Bekanntschaften zu erneuern, Heiratspläne zu schmieden und, by the way, etwas für ihre Seele zu tun, eine erbauliche Predigt zu hören, zu beichten und Absolution zu bekommen. Sie waren „Encomenderos“. Ihnen hatte die spanische Krone Encomiendas als Lehen übertragen, ausgedehnte Landgüter samt der dort lebenden Urbevölkerung. Die Übertragung schloss die Pflicht des Encomendero ein, „seine“ Indígenas zu taufen und zu schützen. Diese waren zur Arbeit und zu Tributen an ihren Herrn verpflichtet, jedoch rechtlich keine Sklaven. Die Praxis sah anders aus. Die Regel waren der Missbrauch des Encomienda-Systems, erbärmliche Verhältnisse, schlimmer noch: das Massensterben der Urvölker.

Nach ihrem Spaziergang auf der Plaza gehen sie also frohen Herzens in die Kathedrale und da erwartet sie eine böse Überraschung. Fray Antonio de Montesinos vom Orden der Prediger (Dominikaner) spricht über Johannes den Täufer: "Es ist die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn..."

Nichts ist‘s mit „erbaulicher Predigt“; Montesinos hält eine scharfe, bittere Anklage gegen die Versklavung der sogenannten „Indios“:

„Ihr seid alle in Todsünde und lebt und sterbt in ihr wegen der Grausamkeit und Tyrannei, die ihr gegen jene unschuldigen Völker gebraucht. Mit welchem Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr sie in einer so grausamen und schrecklichen Knechtschaft? Wie könnt ihr sie so unterdrücken und plagen, ohne ihnen zu essen zu geben, noch sie in ihren Krankheiten zu pflegen, die sie sich durch das Übermaß an Arbeit zuziehen, und sie dahinsterben lassen, oder deutlicher gesagt, töten, nur um täglich Gold zu graben und zu erschachern? ... Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen? Seid ihr nicht verpflichtet, sie zu lieben wie euch selbst? Das versteht ihr nicht? Was für ein tiefer Schlaf, welche Lethargie hält euch umfangen? Seid sicher, dass ihr in diesem Zustand, worin ihr euch befindet, genausowenig das Heil erlangen werdet wie Mauren und Türken.“

So ein Skandal! Das kann man nicht durchgehen lassen! Die Konquistadoren versammelten sich im Hause des Gouverneurs Diego Colón, des Sohnes des Entdeckers, und beschlossen, den Prediger einzuschüchtern, und verlangten, Montesinos „müsse alles widerrufen, was er gesagt habe; wenn nicht, so würden sie für entsprechende Abhilfe sorgen“. Doch in seiner Predigt am folgenden Sonntag nahm Montesinos nichts zurück, im Gegenteil, er wiederholte seine Erkenntnis: Sie können jede Hoffnung auf ihr Seelenheil aufgeben wenn diese Ausbeutung nicht aufhöre. Es könne in Zukunft geschehen, dass die Priester den Encomenderos die Beichte und Absolution verweigern.

Die Dominikaner haben beim König selbst Beschwerde eingelegt, es wurden daraufhin die „Gesetze von Burgos“ erlassen, mit gewissen Besserungen, die aber das System der Encomienda grundsätzlich nicht in Frage stellen.

Eines Tages kam ein junger Frater von Kuba nach Santo Domingo. Er hatte seinen militärischen Beitrag an der „Befriedung“ der Insel geleistet und war mit einer großen Encomienda belohnt worden. In Santo Domingo wollte er beichten, aber seine Glaubensbrüder verweigern ihm die Absolution! Dieser Mann hieß Bartolomé de las Casas. Für ihn bedeutete die Verweigerung der Absolution einen enormen Schock, so dass er - nach Kuba zurückgekehrt - sein ganzes Leben überprüfte. Aus dieser Krise und Bekehrung ging er als der bedeutendste Verteidiger der Rechte der Urbevölkerung hervor. Irgendwie erinnert mich diese Geschichte an Petrus, der seinen gefangengesetzten Meister Jesus verleugnete: „Ich kenne diesen Menschen nicht. Und alsbald krähte der Hahn. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich“, und war danach nicht mehr derselbe Mann. Möge die "Gnade des Hahnenschreis" in unserem Leben niemals fehlen.

Und Montesinos? Er wurde auf den südamerikanischen Kontinent versetzt. In Klein-Venedig, d.h. Venezuela, hatte König Karl V. ein Kolonisierungsprojekt an seine Bankiers vergeben, den Welsern aus Augsburg, bei denen er tief verschuldet war. In Venezuela verliert sich die Spur von Antonio de Montesinos. Es wird angenommen, dass er im Jahr 1540 dort den Märtyrertod erlitt. Immer wieder wird die Vermutung laut, dass es deutsche, eventuell sogar lutherische Söldner waren (spanische Truppen waren mit Soldaten aller Herren Länder des habsburgischen Reiches bestückt), die im Auftrag der Konquistadoren diese unangenehme Stimme zum Schweigen brachten.

Von Antonio de Montesinos sind nur wenige Predigten überkommen. So erlangte er nie die Berühmtheit seines Ordensbruders Bartolomé de Las Casas, dessen Gesammelte Werke 14 dicke Bände umfassen. Dass Las Casas, der als ein Konquistador und Siedler in die Neue Welt gekommen war, 1515 jene radikale Umkehr zum Verteidiger der Urvölker erfuhr, ist Gottes Gnade zu verdanken, aber auch dem Anstoß, den vier Jahre zuvor Montesinos Predigt gegeben hatte.

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