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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende: Marathon

Von Pastorin Karin Krug

Vor Monaten, als wir uns noch mancherlei Illusionen machten, dass Pandemie und Quarantäne in absehbarer Zeit hinter uns liegen werden, las ich einen Satz, der mir hilfreich war: „Das Ganze ist ein Marathon.“

Der Marathonlauf hat seinen Ursprung in der Schlacht zwischen Persern und Griechen im Jahre 490 vor Christus. Marathon war ein Dorf im antiken Griechenland nordöstlich von Athen. Es lag auf einer von Bergen, Sumpflandschaft und Meer umgebenen Ebene. Die angreifende persische Armee unter Darius I. wurde von den Athenern unter Miltiades besiegt. Nicht wenige Historiker gehen davon aus, dass diese Schlacht und der Sieg der Griechen auch für die Entwicklung der gesamten europäischen Kultur von entscheidender Bedeutung war. Um den Sieg im knapp 40 Kilometer entfernten Athen zu vermelden, wurde ein Bote geschickt: Pheidippides rannte die Strecke ohne anzuhalten in voller Kampfausrüstung und verkündete in Athen: ,Nenikékamen’ („Wir haben gesiegt“). Dann brach er tot zusammen, heißt es - ob es nun wirklich so war oder eine Legende ist bleibt dahingestellt. Der heute als olympische Disziplin ausgetragene Marathonlauf über 42,195 Kilometer erinnert an die sagenhafte Leistung dieses Boten, der die frohe Borschaft nach Athen trug.

In allen Städten der Welt, auch hier in Buenos Aires, werden Marathonläufe veranstaltet, nun nicht mehr mit dem Ziel, Spitzenzeiten zu erreichen, sondern man läuft ein Viertel, die Hälfte oder die ganze Kilometerzahl aus Lust am Laufen und für einen guten Zweck.

Wer an einen Wettkampf denkt, der muss natürlich schon lange vorher mit dem Trainieren anfangen. Man sagt, dass ein Läufer oder eine Läuferin mindestens ein Jahr, besser noch zwei Jahre regelmäßig gelaufen sein sollte, bevor er oder sie sich an einem Marathon versucht. Man fängt langsam an mit einem wöchentlichen Pensum bis dann die Streckenlänge mit zunehmender Leistungsfähigkeit ausgebaut werden kann. Einige sagen, dass man während eines Marathonlaufs ein möglichst gleichmäßiges Tempo halten sollte. Andere, dass man die Strecke in Phasen aufteilen sollte: die Anfangsphase mit einem eher gemütlichen Tempo, dann der Mittelteil mit der angestrebten Durchschnittsgeschwindigkeit und am Ende wird die Geschwindigkeit nochmals erhöht.

Ah ja, und da gibt es eine wichtige Einrichtung: ein Fahrzeug, das die Teilnehmer aufnimmt, die das Rennen aufgegeben haben auf Grund von Erschöpfung, Krankheit oder einer Verletzung. Dieses Fahrzeug nennt man den Besenwagen...

Meinen Sie ja nicht, dass ich das alles aus Erfahrung weiß, ich habe mich einfach nur erkundigt.

Die Coronakrise ist kein kurzer Ausnahmezustand, sie ist ein Marathon. Am Anfang wurden wir hin und her gezerrt zwischen Hektik und Lethargie. Die Ungewissheit hat alles noch schwerer gemacht, und tut es noch. Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien verunsichern und polarisieren. Wir haben in irgendeiner Weise dem weisen Sokrates zustimmen müssen, dessen bekannter Satz lautet: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ In dieser Unsicherheit handeln und leben zu müssen, ist das wohl Schwierigste.

Nun sind wir in diesen Marathonlauf hineingeraten ohne Training. Aber das stimmt nicht ganz. Wir Älteren sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die schweren Zeiten in unserem Leben uns vorbereitet haben. Das ist eine befreiende Erkenntnis und gibt so manchen schweren überstandenen Situationen in unserer persönlichen Geschichte einen Sinn. In der Retrospektive sieht es so aus, dass wir, ohne es zu merken, Widerstandsfähigkeit im Sinne von Resilienz aufgebaut haben. Viele Menschen erzählen, dass der Glaube an Gott, ihnen dabei geholfen hat. Wir lernen jeden Tag Neues dazu. Wir lernen zum Beispiel mit unseren Kräften zu haushalten und mit uns selber barmherzig zu sein. Und mit anderen, hoffentlich. Was geschieht mit Menschen, die es nicht gelernt haben, ein Schicksal anzunehmen, wenn eine unabänderliche Situation über sie kommt? Ich mag es mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für sie sein muss.

Vielleicht ist es momentan unser Auftrag, Besenwagen zu sein, jenes Fahrzeug, das diejenigen aufnimmt, die das Rennen aufgegeben haben oder in Gefahr sind, es aufzugeben. Aus unserer persönlichen Geschichte wissen wir, dass kein Zustand, so verzweifelnd er im Moment aussieht, ewig dauert. Oder wie meine Oma sagte: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Erst kommt der Winter, dann kommt der Mai.“ Das ist eine Binsenwahrheit, stimmt aber trotzdem. Im Winter stehen die Bäume kahl da, wie tot. Aber sie sammeln Kraft und Saft für einen neuen Frühling. Und das lässt sich nicht aufhalten.

Ich persönlich möchte gerne mit dem Besenwagen Gottes rechnen. So oft schon hat er mich aufgenommen bis ich wieder zu Kräften gekommen bin. Und meist hat er das durch meine Mitmenschen getan, die mir zu Engeln wurden. Und wenn es früher so war, gibt es keinen Grund zu denken, dass es nicht immer wieder so sein kann.

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