Von Pastorin Karin Krug
Seit fast zwei Jahren bestimmt das Corona-Virus unser Leben. Die Pandemie betrifft alle und alles. Sie war und ist eine riesige Herausforderung für Politik, Gesundheitswesen, Demokratie, Zivilgesellschaft, Schulen und Familien - und auch für die Kirchen. Haben sie, haben wir die Bewährungsprobe bestanden? Eine schwierige Frage angesichts der Dinge, die wir dieser Tage landes- und weltweit erleben. Es beunruhigt mich, wenn ich das Klima des Misstrauens wahrnehme, ein Suchen nach Schuldigen. Für alles muss ein Schuldiger gefunden werden, und die Suche danach treibt oft die seltsamsten Blüten.
Die vergangenen Monate haben uns viel abverlangt, sie haben uns aber auch viel gelehrt. Dinge, die wir niemals für möglich gehalten hätten sind eingetreten - wir wissen jetzt um unsere Verwundbarkeit, um unsere Verletzlichkeit. Wir wissen aber auch, was alles möglich ist. Dieses Wissen sollte nicht ohne Folgen bleiben: Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir überlegen müssen, ob wir dorthin zurückkehren wollen, wo uns ein winzig kleiner Virus aus unserem gewohnten Lebensrhythmus geworfen hat und ob wir die positiven Erfahrungen, die die vergangenen Monate auch mit sich gebracht haben, schnell wieder ad Acta legen. Es bleibt die Frage, ob sich „die alte Normalität“ wieder herstellen lässt – und ob das überhaupt wünschenswert ist.
In den letzten Monaten habe ich immer wieder Menschen getroffen, die in der Krise auch Positives für sich persönlich ausmachen konnten. Sie haben sich gefragt: Was ist mir wirklich wichtig? Welche Prioritäten möchte ich in meinem Leben setzen?
Hier kann ein Satz aus der Bibel sehr hilfreich sein: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ Kraft, Liebe und Besonnenheit ergänzen einander, sie entsprechen der Ganzheit des Menschen als Leib, Seele und Geist. Alle drei zusammen schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens und des Respektes - Eigenschaften, die gerade jetzt sehr notwendig sind.
Die meisten Menschen sehnen sich nach Kraft genauso wie nach Liebe. Der chinesische Philosoph Laotse hat es so auf den Punkt gebracht: „Pflicht ohne Liebe macht verdrießlich, Verantwortung ohne Liebe rücksichtslos; Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart, Freundlichkeit ohne Liebe heuchlerisch; Klugheit ohne Liebe macht grausam, Ordnung ohne Liebe kleinlich; Besitz ohne Liebe macht geizig, Ehre ohne Liebe hochmütig; Glaube ohne Liebe macht fanatisch.“
Die Besonnenheit dagegen hält sich in unserem Leben eher im Hintergrund. Sie ist ein schüchterner Geist. Um sie besser kennenzulernen, habe ich in einem schlauen Buch nachgeschlagen. Da lese ich, dass es mit der Besonnenheit etwas kompliziert ist. Aber man geht wohl davon aus, dass sie in ihrem Grundwesen etwas mit ‚dem richtigen Maß‘ zu tun hat.
Das richtige Maß? In vielerlei Hinsicht ist das tatsächlich eine aktuelle Frage. Haben wir heute das richtige Maß? Haben wir überhaupt den nötigen Abstand, das richtige Maß zu finden? Man fühlt sich ja manchmal so, als sei man im Mixer, jenes Küchengerät, das wir zur Mischung flüssiger oder halbfester Zutaten oder zum Pürieren von Speisen verwenden. Das ist bestimmt nicht der beste Ort, Abstand zu finden und Besonnenheit.
Wenn ich auf mein Leben schaue, stelle ich fest, dass es Zeit braucht, bis ich ‚das richtige Maß‘ gefunden habe und mein Leben (neu) ins Gleichgewicht kommt. Unsere Aufgabe scheint es zu sein, der Besonnenheit einen Platz in unserem Leben zu geben. Sie wird - so scheint es - aktuell in unserer Gesellschaft am dringendsten gebraucht. Mit anderen Worten: Es geht darum, umsichtig, vernünftig, ruhig, gelassen zu handeln. Oft genug geschieht genau das Gegenteil.
Selbstbewusstsein ist nötig, um gegen den Geist der Furcht bestehen zu können. Der Glaube bedeutet nicht, keine Angst mehr zu haben. Aber nicht der Angst gehört das letzte Wort, sondern der Ermutigung. Wir sind unserer Angst nicht hilflos ausgeliefert. Vieles im Leben, in der Welt, ist buchstäblich zum Fürchten. Aber Gottvertrauen ist eine Gegenkraft, die zum Leben hilft. Von ihr spricht der Dichter Georg Neumark in seinem Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, vor allem in der letzten Strophe:
Sing, bet' und geh auf Gottes Wegen,
verricht' das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu;
denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
Комментарии