Von Pastorin Karin Krug
Am Sonntag ist Ewigkeitssonntag, früher sagte man Totensonntag. In den Gottesdiensten erinnern wir uns an die, die während des letzten Jahres verstorben sind. Wir werden ihre Namen nennen in liebevollem Gedenken. Sie haben unser Leben hell gemacht. Deshalb werden wir für jeden, für jede eine Kerze anzünden.
Im Buch des Propheten Jesaja finden wir ein Bild, das ich persönlich eigentlich am liebsten mag, wenn von Tod und vom Leben die Rede ist. Ein junger König, der im Sterben lag, sagte: „Meine Wohnung wird abgebrochen und wie ein Hirtenzelt von mir weggeführt. Ich habe mein Leben ausgewoben wie ein Weber; er wird mich vom Kettgarn abschneiden.“ (Jesaja 38.12)
In einem Wegstuhl oder Webrahmen braucht man zweierlei Garn, um daraus einen Teppich, einen Wandbehang oder was auch immer zu weben. Ein Teil der Fäden wird fest gespannt im Rahmen. Diese Fäden nennt man Kette oder Kettfäden. Und zwischen diesen gespannten Kettfäden webt die Weberin oder der Weber andere Fäden, die Schussfäden, in verschiedenen Farben, je nachdem welches Muster man möchte: helle, leuchtende Farben, oder dunklere, bis dann das Kunstwerk fertig ist; sei es nun klein oder groß, ein Kunstwerk ist es auf jeden Fall.
Die gespannten, die Kettfäden geben dem Gewebe seine Struktur, den Halt und die Schussfäden sein Design, das einmalige Muster, die Schönheit.
Wenn wir dieses Symbol weiterdenken und auf unser Leben anwenden, dann kann man wohl sagen, dass die gespannten Fäden all das bezeichnen, was wir schon mit auf diese Welt bringen an Anlagen, Charaktereigenschaften, Stärken, Begabungen und auch Schwächen, manchmal vererbt über Generationen hinweg in einer einmaligen und unwiederholbaren Kombination. Zwischen diesen Fäden, die vorgegeben sind, webt sich unser Leben mit seinen Situationen und Entscheidungen, seinen Umständen, Erlebnissen, Erfahrungen, Freud und Leid: helle Farben, dunkle Farben.
Unser Leben ist ein Kunstwerk, das das Leben unserer Mitmenschen und unserer Welt verschönert in einmaliger und unvergänglicher Weise. Jedenfalls wünschen wir es uns so.
Irgendwann ist das Kunstwerk fertig, vollendet. Wann es soweit ist, liegt nicht im menschlichen Ermessen. Manches Leben scheint uns viel zu früh vollendet.
Bei Jesaja leuchtet ein Bild auf, wenn er von Gott als einem Weber spricht. Oftmals kommt es in der Bibel vor, dass Gott wie ein Handwerker erscheint. So schon in den ersten Seiten, als er wie ein Töpfer den Menschen aus Erde erschafft. Menschliche Versuche vom Geheimnis Gottes zu reden. Das geht, glaube ich, nie direkt. Ein Geheimnis darf man nicht zerreden, so als ob man es sich aneignen und wegstecken könnte. Die Bibel antwortet uns in Bildern.
Das Kunstwerk „Leben“ ist vollendet, wenn der „ewige Weber“ Gott, der Vater, es als vollendet betrachtet. Am Ende steht der Ruf: „Komm nach Hause, in mein Reich und schmücke hier weiter“, oder, wie es der Psalm 90 viel besser sagt: „Herr, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!“ Hermann Hesse hat es in seinem Stufengedicht so gesagt: „Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.“
Das Leben ist in seinem Wesen unzerstörbar. Der Vater, der uns in seinen Gedanken und in seinem Herzen trug, lange bevor wir geboren wurden, kommt uns entgegen und nimmt uns hinein in sein Leben, in seine Gegenwart. Das Ende unseres Weges hier auf Erden ist nicht der Abgrund, sondern die Arme des himmlischen Vaters. Das Ende aller Wege ist immer noch das Leben.
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