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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende

Brunnen

Von Pastorin Karin Krug

Man öffnet den Wasserhahn, und es sprudelt. Immer noch haben manche von uns die schlechte Angewohnheit, sorglos Wasser zu verplempern. Wir vergessen, wie privilegiert wir mit gutem und reichlichem Wasser sind. An vielen Orten dieser Welt muss das Wasser von weit her geholt werden, und oftmals ist das Aufgabe von Frauen und Mädchen. Da brauchen wir nicht nach Ostafrika zu schauen. Auch in den Randgebieten unserer Städte muss man fürs Wasserholen sehr früh, vor dem Morgengrauen, losgehen. Den Frauen und Mädchen drohen viele Gefahren auf dem Weg. Und wenn im armen Stadtbezirk Wasser vorhanden ist, ist es oft durch Chemikalien und Abwässer verunreinigt und als Trinkwasser gar nicht geeignet.

Wasser ist lebensnotwendig, das ist eine Binsenwahrheit, stimmt aber trotzdem. Von alters her wurden Siedlungen dort gegründet, wo es Flüsse, Quellen und Bäche gab oder leicht zu erreichendes Grundwasser für Brunnen. Das stimmt aber nicht für alle Fälle. Auch von alters her haben Menschen dort gesiedelt, wo es einigermaßen sicher für sie schien und das war oftmals auf dem Hügel oder auf dem Berg. Da kann man erwünschten und vor allem unerwünschten Besuch rechtzeitig sehen und die Tore öffnen oder eben schließen. Aber auf den Höhen gab es selten Grundwasser... So manche Burg oder Stadt hat deshalb Belagerungen nie lange ausgehalten. Viele alte Städte haben sich mit frischem Wasser versehen, indem sie - oft kilometerlange - Aquädukte bauten. Der Aquädukt Aqua Virgo versorgte die Stadt Rom und endete am Trevi-Brunnen; der Römerkanal ging von der Eifel bis Köln. In Mexiko bauten die Spanier im 16. Jahrhundert mehrere Aquädukte, darunter das Aquädukt des Padre Tembleque und die Arcos del Sitio, aber auch die Inka-Stadt Machu Picchu wurde über einen Bewässerungskanal mit Wasser versorgt.

Aber ich schweife ab. Eigentlich wollte ich beim Brunnen bleiben. Wo immer man in der Welt unterwegs ist, trifft man auf Brunnen. Oftmals uralte Brunnen. Das ist so was Schönes! Über dem Lärm der Stadt vermittelt das gleichmäßige Plätschern der Brunnen Ruhe. Früher waren sie öffentliche Orte der Wasserversorgung für Menschen und Tiere. Aber sie waren auch Treffpunkte für Menschen, hatten also eine wichtige soziale Funktion. Am Brunnen wurden die neuesten Nachrichten ausgetauscht. Am Brunnen vor dem Tore träumte mancher „manch' süßen Traum“. In der Kunst, in der Literatur und in den Grimm-Märchen kommt deshalb der Brunnen immer wieder in verschiedenster Bedeutung und Symbolik vor.

Es ist faszinierend und geheimnisvoll. In der Tiefe wird der Brunnen von seinen Quellen gespeist, die schier unerschöpflich scheinen. Wenn der Wasserspiegel fällt oder gar die Quellen versiegen, ist das Ausdruck einer tiefen Krise. Felix Mendelssohn hat in seinem Oratorium „Elias“ dieser Krise einen unglaublichen Ausdruck verliehen, wenn er während der Trockenheit die Menschen klagen lässt: „Die Tiefe ist versieget! Und die Ströme sind vertrocknet! Dem Säugling klebt die Zunge am Gaumen vor Durst! Die jungen Kinder heischen Brot! Und da ist niemand, der es ihnen breche!“

In Alten Testament wird oft das seichte, stehende Wasser des Sumpfes oder der Zisterne kontrastiert mit dem „lebendigen Wasser“ des Brunnens. Im übertragenen Sinn wird Gott immer wieder als die Quelle des Lebens erkannt. Und in den prophetischen Schriften wird über die unvernünftige Tatsache geklagt, die Jeremia so ausdrückt: „Mein Volk hat eine zwiefache Sünde begangen: Mich, die Quelle des lebendigen Wassers haben sie verlassen, um sich Zisternen zu graben, löcherige Zisternen, die kein Wasser halten!“ Und Jesaja lädt ein im Namen des Herrn: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser! Kommt her zu mir!“

Krisenzeiten sind Durststrecken. Menschen kommen an die Grenze ihrer Kraft zum Durchhalten. Krisenzeiten können aber auch Momente sein, in denen viele Menschen sozusagen tiefer hinabsteigen und sich dessen bewusst werden, was ihr Leben „speist“: seichtes Wasser oder lebendige Quelle? Denn: „In der Tiefe ist Wahrheit“, so hat es Mitte des 20. Jahrhunderts der Theologe Paul Tillich gesagt.

Zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges, einer entsetzlichen Krisenzeit, im Jahr 1618, hat Johannes Mühlmann das Lied „Oh Lebensbrünnlein tief und groß“ gedichtet, in dem es heißt:

„O frischer Quell, o Brünnelein,

erquick und lass die Seele mein

in dir das Leben haben.

Wie ein Blümlein in dürrem Land,

durch Sommerhitz' sehr ausgebrannt,

vom Tau sich tut erquicken,

also, wenn mein Herz in der Not verschmacht',

hält sich's an seinen Gott

und lässt sich nicht ersticken“

Ich finde, das ist gar keine schlechte Einstellung. Und sie ist für alle zugänglich. Eben wie die öffentlichen Brunnen damals.

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