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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wort zum Wochenende

Was der Bauer nicht kennt…

Von Pastorin Karin Krug

...das frisst er nicht“, so sagt es das Sprichwort. Die gute Kinderstube verlangt, dass es „das isst er nicht“ heißen muss. Ich habe versucht, den Ursprung des Sprichworts herauszufinden, konnte aber nichts entdecken. So kann ich nur Vermutungen anstellen. Im Mittelalter war die Gesellschaft fein säuberlich aufgeteilt, und die Bauern standen auf der untersten Stufe. Sie produzierten Lebensmittel für alle anderen Lebenskreise und doch blieb ihnen nicht viel zum Eigengebrauch. Sie lebten schwer arbeitend und oftmals darbend am Rand des Existenzminimums, zudem als ungeschliffen, roh, primitiv und unkultiviert verachtet: die feinen Menschen speisen, der Bürger isst, der Bauer frisst. So sagt das Sprichwort, wenn es denn aus uralten Zeiten stammen sollte, einiges über das Leben damals aus.

Das Sprichwort beschreibt jemanden, der Neuem gegenüber ablehnend - oder zumindest skeptisch - eingestellt ist und das bevorzugt, was er kennt. Der wird, wie mein Studienkollege Wilhelm, in Griechenland oder Hongkong Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat bestellen.

Viele Menschen tun sich schwer mit Änderungen, haben Angst vor Wechsel und stehen Neuem oder Unbekanntem erst einmal misstrauisch gegenüber. Das kann man verstehen, vor allem wenn das Neue bedrohlich ist und voller Ungewissheit.

Eine uralte Geschichte um den Propheten Elischa (oder Elisa), der etwa 850 Jahre vor Christus wirkte, erzählt davon im 2. Buch der Könige, Kapitel 4. Wie alle Propheten seiner Zeit hatte er Jünger. Eines Tages kam es zu einer großen Hungersnot und der Prophet und seine Gemeinschaft verzogen sich aufs Land, wo es vielleicht noch etwas zu essen gab. Sie sammelten, was sie eben fanden und kochten einen Eintopf. Eines Tages fanden sie ein wildes Rankengewächs und pflückten davon die Früchte, schnitten sie in den Kochtopf hinein, obwohl keiner von ihnen das Gewächs kannte. Das Gemüse wurde an die Männer verteilt. Doch schon nach ein, zwei Bissen konnten sie nichts mehr essen und schrien entsetzt: „Elischa, du Bote Gottes, das Essen ist giftig! Der Tod ist im Topf!“ Elischa befahl: „Bringt mir etwas Mehl!“ Er schüttete das Mehl in den Topf, rührte um und sagte: „So, nun könnt ihr es an alle austeilen und essen.“ Jetzt richtete das Gericht keinen Schaden an.

Ich liebe diese alten Geschichten, denn sie haben eine große symbolische Kraft. Ich weiß nicht, ob die Früchte tatsächlich giftig waren. Fremd waren sie auf jeden Fall und sie schmeckten anders als alles, was sie bisher kannten. Als der Prophet eine Handvoll Mehl über den Eintopf schüttet, tut er etwas hinein, was sie alle kennen und womit sie was anfangen können. Und nun können sie es wagen, das Unbekannte zu probieren. Und sie starben nicht; das unbekannte Essen, verfeinert mit dem bekannten Mehl, nährte sie. Die Hungersnot hat gewiss mit dieser Handvoll Mehl im ungewohnten Eintopf nicht geendet. Aber sie konnten sich ernähren und am Leben bleiben.

So manche Situation haben wir in unserem längeren oder kürzeren Leben erfahren. Vieles schien uns zunächst nicht nur als fremd und „ungenießbar“, sondern direkt als giftig und lebensbedrohlich. Der Krieg und die Zerstörung der Städte, die Flucht oder Auswanderung ins Ungewisse, Krankheit, das Zerbrechen einer Beziehung: „Der Tod ist im Topf!“ mögen wir zutiefst befürchtet haben.

Und dann kam etwas hinzu, was uns bekannt war. Die Kraft der Erinnerung und ein „inneres Bild“, der Konfirmandenspruch und die geheimnisvolle, aber reale Macht des Glaubens, die Musik, das Zusammenstehen in der Gemeinschaft, die Ermutigung durch ein Wort und die praktische Tat der Solidarität und Nächstenliebe. All das war wie die Handvoll Mehl des Propheten, gestreut über das Fremde und Lebensbedrohliche.

Erstaunlich ist, dass das Überwinden der Angst beim Propheten und seinen Jüngern in der Gemeinschaft geschieht. So auch bei uns. Ganz auf uns allein gestellt wäre es unendlich schwieriger. Keiner kann sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Jedenfalls kenne ich niemanden, der das kann.

Die Pandemie ist „Tod im Topf“ für die gesamte Menschheit und ein tiefes Trauma. Viele, zu viele wurden dahingerafft. Zu viel Ungewissheit und Angst, Aggressivität und Kopflosigkeit haben sich breit gemacht. Unsere Aufgabe ist es, eine Handvoll Mehl über diesen Topf zu streuen. Jeder hat davon einen kleinen Vorrat. Hier ist er bestens eingesetzt. Davon wird das Schreckliche nicht wie durch einen Zauberstab weggewischt. Aber es kommt Hoffnung auf, dass auch diese „Hungersnot“ einmal aufhören wird. Und so lange wird unsere „Handvoll Mehl“ seinen Dienst tun. Schließlich haben wir es mit Gott zu tun und Seine Möglichkeiten sind noch längst nicht zu Ende. Zumindest so erzählen es die uralten und immer neuen Geschichten.


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