Von Pastorin Karin Krug
Jetzt ist es passiert! Ich habe mein Arbeitszimmer aufgeräumt, wie ich es mir schon am ersten Tag der Quarantäne vorgenommen hatte. Und nun ist keiner da, mein Werk zu bestaunen! Macht nichts. Ich bin sicher, so manchen hat es in diesen letzten Wochen gepackt, und es wurde aufgeräumt. Einiges landete dann im Kleidersack für die Feria Americana oder für den Büchertisch, anderes auch in der Mülltonne. Was bewahrt man nicht alles auf, in der Annahme, dass man es irgendwann wieder brauchen könnte! Im Schrank hat man Kleidung - man hat ja immer gute Qualität gekauft, die nie kaputt geht - von der man denkt: Wenn ich 20 Kilo abnehme, passt das wieder...
Aufräumen ist direkt therapeutisch. Ich habe gemerkt, dass oftmals beim äußeren Ordnungmachen auch innerlich manches wieder in Ordnung kommt. Beim Sortieren wird einem bewusst, was wichtig ist und worauf man ohne Not verzichten kann. Es wird dann oft klar, was einem schon lange im Wege stand, was eigentlich nur einengte und belastete. Dann gleicht die Trennung davon mitunter sogar einer Befreiung.
„Prüft alles und das Gute behaltet“, sagt der Apostel Paulus. Natürlich ruft er nicht zum Aufräumen der Schränke oder des Arbeitszimmers auf. Wahrscheinlich wäre er bei dem Wanderleben, das er geführt hat, gar nicht auf die Idee gekommen, so viel oft ungenutzte und unnütze Dinge anzuhäufen. Aber er wusste, dass man auch ganz andere Sachen anhäufen und mit sich herum schleppen kann, die einen behindern und das Leben schwer machen. Paulus fordert zur kritischen Durchsicht auf, und regt an, das gegebenenfalls unordentliche Leben wieder in Ordnung zu bringen. Das mag folgende Geschichte illustrieren.
Es war einmal ein Waisenjunge. Er zog von Dorf zu Dorf, immer auf der Suche nach etwas Essbarem und einem Dach über dem Kopf. Eines Tages traf er auf einen alten Mann, und sie beschlossen, gemeinsam weiterzugehen. Der alte Mann trug einen großen, zugedeckten Korb, der offenbar sehr schwer war, denn er lief tief gebeugt und stöhnte hin und wieder unter der Last. Der Junge fragte: "Soll ich deinen Korb tragen?" "Nein," antwortete der Alte, "den Korb kannst du nicht für mich tragen. Das muss ich alleine tun." "Was ist denn in dem Korb?" fragte der Junge, doch er erhielt keine Antwort. Viele Tage wanderten die beiden gemeinsam. Nachts,wenn der Alte glaubte, dass der Junge schlief, kramte er in seinem Korb herum und sprach leise mit sich selbst.
Es kam der Tag, an dem der alte Mann nicht mehr weitergehen konnte. Er legte sich nieder, um zu sterben. Und er sprach zu dem Jungen: "Du wolltest wissen, was in meinem Korb ist, nicht wahr? Es sind die Steine, die mir meine Reise erschwerten. Auf meinem Rücken habe ich die Last jedes Kieselsteines des Zweifels, jedes Sandkorn der Unversöhnlichkeit und jeden Mühlstein meiner Fehler getragen, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe. Aber ach, ohne sie hätte ich so viel weiter kommen können im Leben. Statt meine Träume zu verwirklichen, bin ich nur hier angekommen." Und er schloss die Augen und starb. Der Junge ging zu dem Korb und hob den Deckel. Der Korb, der den alten Mann so lange niedergedrückt hatte, - war leer!
Was schleppen wir so alles mit uns herum! Da sind neben den materiellen Dingen, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben, all die Irrtümer über uns selbst und über andere, Kieselsteine des Grolls, Sandkörner der Ressentiments, Mühlsteine der falschen Entscheidungen. Wir halten sie fest, als wären es Edelsteine. Prüft alles und behaltet das Gute. Nachtragend sein - das füllt den Lebenskorb nur mit schwerer Last, die den Rücken beugt und den aufrechten Gang erschwert. Also, weg damit. Einander Gutes tun, verzeihen, macht den Korb leicht. Es ist als ob der Apostel uns auffordern möchte: Schaut genau hin, was wirklich wert ist zu bewahren. Prüft alles - prüft das Vertraute und das Fremde und behaltet das Gute, das Beste davon. Trennt euch getrost von Fehleinschätzungen, beharrt nicht auf alter Meinung, weil ihr sie einmal für richtig gehalten habt. Schämt euch nicht, einen Irrtum einzugestehen. Prüft alles, ob es hilfreich und tröstend ist, aufbauend, das Leben fördernd oder ob es das Leben schwer macht wie jener Korb des alten Mannes. Und bewahrt euch das, was an sich gut ist, bewahrt euch die Liebe, bewahrt euch euer Mitgefühl, eure Anteilnahme, eure Offenheit für Neues. Bewahrt euch die Chance, es noch einmal und noch einmal neu zu versuchen. Und den Ballast, ja, den vergebt, gebt ab, am besten in Gottes Hand.
Er ist immer noch die beste Adresse.
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