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Wort zum Wochende: Aber...

Von Pastorin Karin Krug

Wenn jemand etwas erlebt, das ihn oder sie aus der Bahn wirft, wünschen Freunde und Bekannte: „werde schnell wieder ganz der (oder die) Alte“. Man erwartet, dass man genau dort weitermachen kann, wo das Leben unterbrochen worden ist. Wir reagieren mit Unverständnis, wenn jemand das nicht so schnell schafft und gehen davon aus, man müsse sich doch nur zusammenreißen und den Willen aufbringen. Meines Erachtens funktioniert das nicht so. Aus einer traumatischen Situation gehen wir auf jeden Fall, bewusst oder unbewusst, verändert hervor. Die Situation, die wir durch die Pandemie erleben, ist für die Menschheit ein enorm traumatisches Erlebnis. Kann man später einfach daran anknüpfen, wo man vor Wochen oder Monaten aufgehört hat? Lebenshungrig und begierig, all das Verpasste nachzuholen?

In den 70er Jahren hat der Soziologe Aaron Antonovski seine Beobachtungen veröffentlicht, die er bei der Begleitung von Frauen gemacht hatte, die die Konzentrationslager des Dritten Reiches ohne tiefe seelische Schäden überlebt hatten, so dass sie ein sinnvolles, gelingendes Leben aufbauen konnten. Erstaunlich! Die Beobachtung war, dass diese Frauen eine psychische Widerstandskraft besaßen, die sie geschützt hat. Ein wichtiger Faktor lag in der Erfahrung von liebevollen Bindungen, die es in ihrem Leben gegeben hatte. Bei Kindern aus höchst problematischen familiären und sozialen Situationen hat man beobachtet, dass jene Kinder, die eine respekt- und liebevolle Bindung erlebt haben, sei es von Familienangehörigen, Lehrer, Priester oder Pastoren, usw., nicht den gleichen destruktiven Weg einschlagen müssen wie ihre Umgebung. In der Forschung hat diese psychische Widerstandsfähigkeit als wichtiger Schutzfaktor den Namen Resilienz bekommen. Resilienz weist auf eine wunderbare Möglichkeit hin, mit Schwierigkeiten umzugehen ohne daran zu zerbrechen.

Das Wort Resilienz kommt eigentlich aus der Physik und bezeichnet die Fähigkeit eines Stoffes, sich verformen zu lassen und dennoch in die ursprüngliche Form zurückzufinden. Das Wasser stößt gewaltig auf Felsen und Klippen - und fließt wieder zurück. Der Bambus lässt sich biegen und schnellt wieder in die Gerade zurück. Menschen haben auch diese Fähigkeit, eine Art psychisches Immunsystem, das man erhalten und stärken kann. Das ist überhaupt eine gute Nachricht: Es muss nicht angeboren sein, es kann gelernt und trainiert werden. Man muss nicht stark sein, man darf auch umfallen, steht aber immer wieder auf. Nach einem Rückschlag sich wieder aufrichten zu können - dies ist ein Zeichen von Resilienz. Ich will es mir nicht anmaßen, dieses Thema erschöpfend behandeln zu können. Es gibt gute Literatur dazu. In meinen Augen sind folgende Aspekte wichtig: Eine positive Grundhaltung. Achten auf Grenzen und Nutzung der Stärken. Übernehmen von Verantwortung. Beziehungen pflegen. Anpassung an die neue Realität. Die Opferrolle verlassen und die Fähigkeit, Veränderung zuzulassen. Ein Gespräch in meiner Sprechstunde bleibt mir unvergesslich. Meine Besucherin sagte: „Meine Stabilität besteht in meiner Flexibilität“. Hört sich kompliziert an, kann man aber sofort nachvollziehen: Wenn ich stocksteif dastehe, und mich jemand schubst, fall ich um und tu mir weh. Ich kann aber den Stoß elastisch abfangen. Selbst Bäume tun das die ganze Zeit.

Gottvertrauen wird als respekt- und liebevolle Bindung und Kraft erfahren, um Schweres durchzustehen. Nur wer der Tragfähigkeit des Bodens vertraut, kann aufbrechen und gehen. In der Bibel wird diese Widerstandsfähigkeit aus dem Glauben oft mit dem Wörtchen ABER eingeleitet. Es verneint die Gültigkeit dessen, was als absolute Wahrheit erscheint. Es ist ein Protest gegen alles, was als unerbittlicher Umstand gilt; ein Protest gegen eine anscheinend hoffnungslose Realität. Seit eh und je liebe ich dieses kleine Wort, sehr zum Leidwesen meiner armen Eltern... Ich habe in der Bibel ein wenig recherchiert und entdeckt, dass es ein wesentliches Wort für den Glauben ist: "ABER ich weiß, dass mein Erlöser lebt"; "Sie verspotten die Sehnsüchte der Demütigen, ABER der Herr beschützt sie"; "Ein ehrlicher Mann macht viele Übel durch, ABER der Herr befreit ihn von allen"; "Das Leben des Menschen ist wie Gras ... sobald der Wind darüber weht, hört es auf zu existieren ... ABER die Liebe des Herrn ist ewig ..." Wir trauern um geliebte Menschen, ABER am Grab verkünden wir den Herrn des Lebens. Der Tod trifft uns, ABER das Leben ist stärker. Der Glaube sagt immer ABER.

Und zum Schluss: Religiöse Menschen werden allgemein von Gemeinschaften aufgefangen. Nicht nur weil sie gläubig sind, sind sie widerstandsfähiger, sondern weil es immer auch eine Einbindung in eine Glaubensgemeinschaft gibt. Sie müssen nicht alleine vor der Herausforderung stehen, sondern können auf die Unterstützung von anderen vertrauen. Jetzt in der Pandemiekrise erleben wir das besonders. Und ein wichtiger Faktor scheint mir die Dankbarkeit zu sein, die im Gehirn Bereiche stärkt, die durch Stress geschädigt werden. Dankbarkeit kann zu einer Grundhaltung werden, die uns uns hilft, zu widerstehen.

Gründe werden sich immer finden.

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