Von Juan E. Alemann
Die orthodoxe Wirtschaftstheorie stellt die Investitionen dem Konsum voran. Zuerst muss investiert werden, um mehr zu produzieren, was dann auch einen höheren Konsum möglich macht. Ebenfalls wird bei dieser Auffassung darauf hingewiesen, dass Rezessionen zu Reaktionen führen, die zu ihrer Überwindung beitragen, wie der Abbau überhöhter Lagerbestände und Rationalisierungen auf breiter Ebene, die zu Kostensenkungen führen und niedrigere Preise möglich machen, die dann eine höhere Nachfrage erlauben.
Doch als 1929 die tiefe Krise eintrat, die sich wegen ihres Ausmaßes und ihrer Dauer mit keiner späteren Wirtschaftskrise vergleichen lässt, auch in Argentinien nicht (die Arbeitslosigkeit in der Bundeshauptstadt betrug 1932 laut einer Zählung der Polizei 28% der aktiven Bevölkerung, und dauerte sehr lange), überlegte sich der britische Ökonom John Maynard Keynes den Fall, um kam zu anderen Schlussfolgerungen. Er prägte damals den viel zitierten Satz: „Langfristig sind wir alle tot”, und trat für eine aktive Geldpolitik und ein neues Konzept der Wirtschaftspolitik ein, das den Konsum in den Vordergrund stellt. Er wies darauf hin, dass die Unternehmen nicht investierten, weil keine Nachfrage bestand, so dass Investitionen zwecks Produktionserhöhung keinen Sinn hätten. Das führe dazu, dass die Banken eine hohe Liquidität hätten, weil es nicht genug Kreditnachfrage gab. Er empfahl, dass der Staat diese Mittel aufnehme, durch Unterbringung von Staatstiteln bei den Banken, und öffentliche Investitionen durchführe, die dann die Wirtschaft wieder anspornen würden, abgesehen von der konkreten Wirkung der einzelnen Objekte.
In der Tat war das keynesianische Konzept schon in den Vereinigten Staaten und Deutschland eingeleitet worden, bevor Keynes es in in seinem Buch im Jahr 1935 (als die Wirtschaftskrise schon 6 Jahre bestand) ausdrücklich formulierte, Der “new deal” von Roosevelt war im Wesen ein großangelegtes Programm öffentlicher Investitionen, die der Staat durch Ausgabe von Titeln finanzierte. In Deutschland wurden unter Hitler Autobahnen gebaut und eine phänomenale Aufrüstung vollzogen, die sich auf die Stahlindustrie und viele andere Bereiche auswirkte, und erlaubte, kurzfristig 6 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, alles mit Staatsverschuldung. Beiläufig erklärt dies auch, dass der Nationalsozialismus so viele Anhänger erhielt.
Indessen sollte man nicht vergessen, dass das keynesianische Konzept für die kolossale Wirtschaftskrise gedacht war, die 1929 einsetzte, und mit Schwankungen bis zum 2. Weltkrieg dauerte. In den USA hatte die Rüstung, die der Krieg erforderte, auch eine direkte Wirkung auf die Konjunktur, so dass sich das Bruttoinlandsprodukt in den Kriegsjahren verdoppelte. Das keynesianische Konzept wurde in den Vereinigten Staaten auch bei guter Konjunktur beibehalten, wenngleich in gemäßigtem Umfang, was dann in den 70er Jahren den Präsidenten Richard Nixon dazu führte, zu sagen “wir sind alle Keynesianer”. Und bis zu einem gewissen Punkt ist es effektiv so, auch heute noch.
In Argentinien stellt sich gegenwärtig auch der Gegensatz zwischen einem langfristigen Konzept der Wirtschaftspolitik, das die Macri-Regierung vertritt, und dem kurzfristigen, des Kirchnerismus, das der ehemalige Wirtschaftsminister und jetzt Kandidat für das Amt des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, Axel Kicillof, der sich offen als Keynesianer ausgibt, befürwortet. Nebenbei bemerkt: Miguel Angel Pichetto, Vizepräsidentschaftskandidat von Macri, bezeichnete Kicillof als Marxist (also Kommunist), was er wohl in seiner Jugend war, bis er, wie so viele andere, gereift ist und die wirtschaftliche Wirklichkeit etwas besser verstanden hat.
Auch wenn Präsident Macri ständig die grundlegenden Reformen und die vielen Investitionen in Infrastruktur, auch die sozialen, wie Wasserleitungen und der Ausbau der Abwassersysteme, hervorhebt, und dabei ein langfristiges Konzept der Wirtschaftspolitik zum Ausdruck bringt, hat seine Politik auch einen keynesianischen Einschlag, der jetzt in den subventionierten Konsumkrediten u.a. Maßnahmen offen zum Ausdruck kommt. Grundsätzlich handelt es sich darum, dass die kurzfristige Politik den langfristigen Zielen des haltbaren Wachstums mit Überwindung sozialer Probleme, wie an erster Stelle die extreme Armut, nicht widersprechen darf. Wenn ein Widerspruch besteht, dann entartet der Keynesianismus in Populismus, und genau das war unter den Kirchner-Regierungen der Fall. Das ist besonders krass bei der Energiepolitik aufgetreten, wo billiger Strom und billiges Gas auf Kosten des Aufbrauchs der Reserven und der Vernachlässigung der Instandhaltung und Erweiterung der Kraftwerke und des Stromverteilungssystems erreicht wurde.
In den drei Jahren und 7 Monaten der Macri-Regierung ist schon ein großer Fortschritt bei der Einrenkung der verfahrenen Lage erreicht worden, was sich nicht nur auf die Infrastrukturinvestitionen bezieht, sondern auch auf den Sprung bei der Produktion von Getreide und Ölsaat, und ebenfalls den bei Gas und Erdöl, dank Vaca Muerta. Doch allgemein bezieht sich dies auf die Schaffung von Spielregeln, die ein haltbares Wachstum erlauben, auf die Ausmerzung der Korruption und der Überpreise bei öffentlichen Bauten, die Rationalität bei der Auswahl öffentlicher Investitionen, sowie die gute Planung und die effiziente Durchführung der einzelnen Projekte. Auch sonst hat sich der Staat bei seiner Tätigkeit sehr verbessert: der “Freundenkapitalismus” der Kirchners wurde abgeschafft, und die Amtsverfahren wurden verbessert, auch mit einem großen Fortschritt bei der Einführung der Computertechnologie im staatlichen Bereich. Es gab viel unsichtbaren Fortschritt, der eine Modernisierung darstellt. Doch, wie der Franzose Antoine de Saint Exupery schon sagte: “Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ Die meisten Menschen werden sich des unsichtbaren Fortschritts, der zur kulturellen Revolution gehört, die sich in Gang befindet, erst viele Jahre später bewusst.
Die Kritiker weisen darauf hin, dass das Ergebnis der Macri-Regierung mehr als dürftig sei. Das Bruttoinlandsprodukt hat abgenommen, die Inflationsrate ist gestiegen, die Arbeitslosigkeit hat zugenommen, der Reallohn ist gefallen, die Staatsverschuldung ist höher als 2015, und die Armut ist heute auch leicht höher als 2015, als sie schon unerträglich hoch war. Die Kirchneristen sagen jedoch nicht, wie man diese Übel überwinden soll. Um die Arbeitslosigkeit zu verringern, bedarf es an erster Stelle eine Reform des Arbeitsrechtes, um Hemmungen für mögliche Arbeitsgelegenheiten abzuschaffen, und um den Reallohn durch eine höhere Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhöhen zu können. Doch der Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández hat den CGT-Gewerkschaftern versprochen, dass er keine Reformen der Arbeitsgesetzgebung unternehmen werde, weil er sie für unnötig hält. Die Kirchneristen wettern gegen die Anpassung (“ajuste”) und den Internationalen Währungsfonds, und gehen dabei an der Tatsache vorbei, dass die Anpassung ohne IWF unverhältnismäßig brutaler gewesen wäre. Sie erklären nie, woher das Geld stammen soll, das dem Staat fehlt und der IWF beiträgt. Und sie erklären auch sonst nicht, wie sie sich die Überwindung der bestehenden kritischen Erscheinungen vorstellen.
Präsident Mauricio Macri und seine Mannschaft bestehen darauf, dass der eingeschlagene Weg grundsätzlich der Richtige sei, und dabei haben sie gewiss recht, auch wenn es viele Fehler gab und noch gibt, auf die wir an dieser Stelle hingewiesen haben. Das langfristige Konzept, das auch eine stärkere Öffnung der Wirtschaft einschließt (die im Gegensatz zur Schließung steht, den der Kirchnerismus befürwortet) ist grundsätzlich in Ordnung, was jedoch nicht ausschließt, dass kurzfristig auch ein beschränkter Keynesianismus betrieben wird und die Regierung sich um die unmittelbar bestehenden kritischen Probleme kümmert. Was sie effektiv auch tut.
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