Von Juan E. Alemann
Cristina Kirchner hat ein einziges Ziel, das sie auch nicht schlafen lässt, und sie Tag und Nacht beschäftigt: dass ihre Prozesse beendet werden, sei es, dass einzelne Verfahren wegen grober Rechtsfehler oder weil sie als politisch eingestuft wurden, annulliert werden, oder dass sie freigesprochen wird, oder, wenn all dies nicht möglich ist, dass sie hinausgeschoben werden und sozusagen versanden. Sie weiß, und muss es als Anwältin und intelligente Frau, die sie ist, genau wissen, dass dies rein juristisch nicht möglich ist. Bestimmte Prozesse, wie der über den Terminverkauf von Dollar durch die ZB, den sie damals zugelassen hat, oder auch das Iran-Abkommen und einige andere können eventuell als nicht judiziabel eingestuft werden. Eine Sache ist eine Fehlentscheidung eines Präsidenten, und eine ganz andere ist ein strafrechtlicher Tatbestand. Nebenbei bemerkt: fast sämtliche Klagen, die Kirchneristen gegen Macri vor Gericht eingereicht haben, sind ohne den geringsten Zweifel nicht judiziabel.
Doch bei Cristina ist dies im Fall der von Néstor Kirchner organisierten und von ihr fortgeführten Zwangskartellierung der Bauunternehmen, mit einer groben Bevorzugung von Lázaro Báez u.a. Freunde, und der hohen Überpreise, die dabei zugelassen wurden, nicht möglich. Einmal wurden Überpreise von ca. 50% eindeutig festgestellt; und dann haben zahlreiche Unternehmer vor Gericht als reuige Angeklagte ausgesagt, und dies bestätigt. Ein Gesetz aus der Macri-Regeirung gibt Angeklagten die Möglichkeit, als Reuige aufzutreten, womit sie, sofern ihre Aussage zur Aufklärung des Falles beiträgt, einen Straferlass erhalten. Wenn allerdings festgestellt wird, dass sie gelogen haben, wird ihre Strafe erhöht. Aber auch der Chauffeur Oscar Centeno, der in Heften (die der Journalist von La Nación, Diego Cabot erhielt und ordnete) genau aufgezeichnet hat, wer im einen Geldsack gegeben und wo er ihn abgegeben hat, (in der Wohnung von Cristina, im Regierungsgebäude oder in der Residenz in Olivos), hat als reuiger Angeklagter ausgesagt, ebenso wie die Staatssekretäre von Minister Julio de Vido, Baratta und José López (der gefilmt wurde, als er Säcke mit insgesamt über u$s 8 Mio. Dollar in Banknoten in einem Kloster verstecken wollte). Dieser Prozess ist formell abgeschlossen, und es fehlt nur noch, dass Cristina ihre letzte mündliche Verteidigung vor Gericht vorbringt. Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Richter keine andere Möglichkeit haben, als sie schuldig zu erklären, und eine mehrjährige Haftstrafe zu verhängen, und außerdem zu verfügen, dass sie kein öffentliches Amt bekleiden kann. Ins Gefängnis kommt sie jedoch nicht, weil sie als Vizepräsidenten diesen Vorteil genießt. Die Frage ist jedoch, ob sie danach weiter im Amt bleiben kann. Streng genommen müsste sie zurücktreten.
Cristina weiß, dass die einzige Möglichkeit, der Strafe zu entgehen, darin besteht, dass das Parlament eine Amnestie oder etwas ähnliches verfügt, die alle diese Prozesse als politisch einstuft und für erloschen erklärt. Sie könnte dabei auch Prozesse gegen Mauricio Macri u.a. einschließen, auch wenn diese unbegründet sind. Doch sie kann hoffen, dass Macri einwilligt, um den Ärger loszuwerden, den Prozesse bedeuten. Cristina braucht eine absolute Mehrheit in der Deputiertenkammer. Angeblich kann sie mit 7 zusätzlichen Deputierten tun, was sie will. Das hat der radikale Deputierte Mario Negri gesagt.
So wie die politische Konstellation jetzt aussieht, ist dies nicht möglich. In einer so tiefen Krise, die zugleich wirtschaftlich wie sozial ist, und auch von einer Gesundheitskrise und einer Sicherheitskrise begleitet wird, kann eine Regierung normalerweise keine Wahl gewinnen. Die Umfragen bestätigen auch, dass die Regierungspartei “Front für alle” Stimmen verliert. Und wenn dies effektiv eintritt, dann atmen die Richter erleichtert auf, und beenden die Prozesse gegen Cristina, auch mit einem harten Urteil. Denn dann kann sie nichts mehr gegen sie unternehmen.
Cristina will jetzt auch die Wirtschaftspolitik für dies einsetzen. Und weil sie weiß, dass sie viel mehr Stimmen braucht, als es die Politologen jetzt voraussehen, ist sie bereit, das Land auf den Kopf zu stellen, um die notwendigen Stimmen zu erhalten. “Nach mir (also nach den Wahlen) die Sintflut” bringt sie dabei zum Ausdruck.
Zunächst sei bemerkt, dass es der Regierung schließlich gelungen ist, größere Mengen an Impfdosen gegen den Covid-19 zu erhalten, und die Organisation für die Impfung besser klappt. Wenn bis zu den Wahlen über10 Mio. und eventuell über 20 Mio. Menschen doppelt geimpft werden, dann nimmt die Zahl der täglichen Neuinfektionen und auch der Todesfälle drastisch ab. Das allein dürfte sich schon positiv auf die Wahlen auswirken. Aber dabei werden auch zahlreiche Maßnahmen aufgehoben, die die wirtschaftliche Tätigkeit hemmen, so dass wieder einigermaßen normale Zustände eintreten und dabei ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzt. Auch wenn es sich dabei nur um einen sogenannten “Springfedereffekt” handelt, sollte er noch kurz vor den Wahlen auftreten.
Abgesehen davon will sie, dass der Staat mehr Geld ausgibt, für Sozialprogramme, für Deckung von Verlusten, die wegen der Einfrierung der Tarife öffentlicher Dienste (an erster Stelle bei Strom) eintreten, für höhere Gehälter von Staatsbeamten und auch für höhere Pensionen und Hinterbliebenenrenten, und auch für öffentliche Investitionen. Schon im ersten Halbjahr 2021 lagen die staatlichen Aufwendungen für Investitionen in Infrastruktur u.dgl. fast doppelt so hoch wie im Vorjahr, was die Staatsfinanzen belastete. Was den Fall noch schlimmer macht, ist dass die Objekte, um dies es dabei geht, nach politischen Kriterien gewählt wurden. Die Investition in der großen Röhre, die neben dem Riachuelo gebaut wird, um die Abwässer der Gegend in eine Reinigungsanlage und dann in den Río de la Plata zu bringen, schreitet hingegen kaum voran, obwohl sie prioritär ist. Aber diese unterirdische Investition ist nicht sichtbar und wirkt politisch kaum, bis sie fertig ist und in Betrieb genommen wird.
Die Ausgabenpolitik, die Cristina befürwortet, führt schließlich zu einer hohen Geldschöpfung. Cristina erwartet, oder hofft auf alle Fälle, dass dies keine Inflationswirkung hat. Wie weit sie der Hyperkeynesianer Axel Kucillof dabei beeinflusst, sei dahingestellt. Doch Wirtschaftsminister Guzmán ist sich der Gefahr bewusst, dass es dabei noch vor den Wahlen zu einer Hyperinflation kommen kann. Dabei ist es auch so, dass die Erwartung einer Hyperinflation nach den Wahlen das Verhalten der Menschen schon vorher bedingt, und dabei die Inflation stark in die Höhe treiben kann.
Nicht genug damit, erschwert Cristina dem Wirtschaftsminister auch sonst seine Bemühungen, die verfahrene Lage einzurenken, mit einem Abkommen mit dem IWF, das schrittweise erfolgen soll, und einer freundlichen Haltung des Pariser Klubs. In letzter Zeit kommt ihre ideologische Einstellung stärker zum Vorschein. Dass Argentinien sich auf die Seite von Venezuela, Nicaragua und Kuba stellt, die Menschenrechte notorisch verletzen, und von der zivilisierten Welt verurteilt werden, ist unverständlich. Dass Präsident Alberto Fernández erklärt, er sei über Kuba nicht informiert, macht den Fall fast surrealistisch. Dass Argentinien wegen Cristina außenpolitisch auf der falschen Seite steht, was außerdem der Tradition des Landes und der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung widerspricht, schafft dem Land unnötige Schwierigkeiten mit den Vereinigten Staaten, der EU u.a Staaten, deren Hilfe und guten Willen Argentinien besonders jetzt benötigt. Außerdem wird dies als Signal gedeutet, dass Argentinien den Weg beschreitet, den Chávez in Venezuela eingeleitet hat, und Maduro jetzt fortsetzt, der zu einer wirtschaftlichen Katastrophe geführt hat. Wie kann Guzmán so etwas bei seinen Verhandlungen mit dem IWF erklären?
Aber außerdem kommt noch hinzu, dass Cristina diese Woche in ihrem öffentlichen Auftritt, anlässlich des Iran-Prozesses, gegen die Geierfonds losgezogen ist, und betonte, sie habe sich geweigert, und werde sich weiter weigern, ihnen die Schulden zu zahlen. Nun waren und sind diese Fonds im Wesen Gläubiger, also Inhaber argentinischer Staatspapiere, die die gleichen Rechte wie alle anderen haben. Die Äußerung von Cristina wird somit von der internationalen Finanzwelt als ein Hinweis gedeutet, dass sie dafür eintritt, dass der Staat seine Schulden nicht bezahlt. Das verhärtet die Haltung der Gläubiger und erschwert Guzmán seine Verhandlung, bei der er stets beteuert, dass der argentinische Staat seine Schulden anerkenne, und nur eine Frist anstrebt, um sie zahlen zu können.
Die Präsenz von Cristina Kirchner in der Staatsführung und der Politik ist das größte Hindernis für die Überwindung der Wirtschaftskrise. Das tragische dabei ist, dass ohne Cristina die Lösung nicht nur möglich, sondern im Grunde relativ einfach ist. Denn die Staatsschuld in Händen privater Gläubiger, auf die es ankommt, ist mit ca. 37% des Bruttoinlandsproduktes (siehe Bericht) im internationalen Vergleich sehr niedrig, die Landwirtschaft, die wesentlich zum Export beiträgt, zeigt nach wie vor eine außerordentliche Dynamik, und so ungefähre alle Wirtschaftsgruppen, auch die Gewerkschaften sind bereit, an einem vernünftigen Erholungsprogramm mitzumachen, bei dem die Realität absoluten Vorrang vor der Ideologie hat. Cristina muss weg.
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