Von Juan E. Alemann
Die argentinische Wirtschaft steht vor einem kritischen Problem: die Staatsschuld kann, so wie die Amortisationszahlungen programmiert sind, nicht gezahlt werden. Es bestehen keine Währungsreserven, auch kein ausreichender Überschuss der Leistungsbilanz und auch keine Möglichkeit der Neuverschuldung, um diese Zahlungen auszugleichen. Diese Lage ist allgemein bekannt, und auch der Internationale Währungsfonds, die Staaten des Pariser Klubs und die Inhaber argentinischer Staatspapiere, die vor kurzem umgeschuldet wurden, wissen es. Sie haben alle ein Interesse, dass es nicht zu einem neuen Default kommt, bei dem die große Welt dann Argentinien sozusagen abschreibt und den Verlust, den die Gläubiger dabei erleiden, hinnimmt. Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, China u.a. Staaten wollen Argentinien helfen, aber das Land will die Hilfe nicht annehmen. Einfach absurd.
In letzter Zeit sind mehrere für Argentinien günstige Umstände aufgetreten. Die Voraussetzungen sind gegeben, um die Exporte in wenigen Jahren zu verdoppeln. Der Preis von Sojabohne und Mais ist auf dem Weltmarkt in die Höhe gesprungen, und auch der von Weizen, Sonnenblume u.a. Arten ist stark gestiegen. In 12 Monaten ist der Preis von Sojabohne um 84% gestiegen, der von Mais um 110% und der von Weizen um 33%. Dies stellt einen großen Ansporn dar, um die Produktion stark zu erhöhen, was kurzfristig durchaus möglich ist.
Beim Rindfleischexport ist China in den letzten Jahren als großer Käufer aufgetreten, und bezieht vor allem die billigeren Teile des Rinderleibes, die vorher schwer zu verkaufen waren. Gleichzeitig hat in den letzte Jahren eine stark Expansion der Schweinezucht eingesetzt, so dass kein Problem bei der Versorgung des Binnenmarktes mit tierischem Protein besteht.
Auch die Preise der Bergbauprodukte, die Argentinien exportiert, sind gestiegen: in 12 Monaten betrug die Zunahme bei Gold 7%, Silber 60%, und bei Kupfer (Argentinien exportiert Kupfererz) 83%. Auch der Preis von Aluminium, das das Land exportiert, ist um 57% gestiegen. Und jetzt kommt noch Lithium hinzu, das für Hochleistungsbatterien sehr gefragt ist. Argentinien verfügt mit Bolivien und Chile über die höchsten Reserven der Welt. Die Ausbeutung hat schon begonnen, und es befinden sich hohe Investitionen in Gang. Und nicht zuletzt, hat in den letzten Jahren eine phänomenale Expansion des Informatikbereiches eingesetzt, der zunehmend zu den Deviseneinnahmen beiträgt. Argentinien nutzt hier das Talent und die Ausbildung, die sehr viele Menschen auf diesem Gebiet haben.
Die Landwirte steuern deutlich auf Expansion zu. Das kommt u.a. im hohen Einsatz von Düngemitteln zum Ausdruck. Gemäß Information des privaten Vereins “Fertilizar” ist der Einsatz von Düngemitteln letztes Jahr schon auf 5,4 Mio., Tonnen gestiegen, gegen 4,7 Mio. im Jahr 2019, 2,6 Mio. 2015 und nur 400.000 Tonnen 1990. Ebenfalls gab es einen großen Fortschritt beim effizienteren Einsatz von Düngemitteln, mit Optimierung der Mengen und besserer Zusammensetzung (Harnstoff, Kalk, Phosphor, Zink und Spurenelemente), so dass die Wirkung, die der Mengenzunahme übersteigt. Auch ist die Nachfrage nach Traktoren u.a. Maschinen für die Landwirtschaft dieses Jahr gestiegen.
Die Staatsfinanzen haben sich in diesem Jahr sehr verbessert. Die Einnahmen stiegen stark, einmal wegen höherem Erlös der Exportzölle, dann wegen der Sondersteuer auf große Vermögen und schließlich auch wegen der Erholung der Wirtschaft. Die Staatsausgaben stiegen hingegen wenig, weil der Reallohn der Staatsangestellten und auch die realen Pensionen und Hinterbliebenenrenten stark zurückging. Schließlich hat auch die Tatsache gewirkt, dass die sehr teuren Sozialprogramme IFE (allgemeines Familieneinkommen von $ 10.000 pro Familie) und ATP (Lohnsubvention) nicht weitergeführt wurden. Der Weg zur Sanierung der Staatsfinanzen ist schon erfolgreich begonnen worden.
Zu all dem kommt, dass die Gewerkschaften geschwächt sind und Lohnerhöhungen hinnehmen müssen, die unter der Inflation liegen. Der Reallohn ist ab 2019 durchschnittlich um über 20% gefallen. Die hohe Arbeitslosigkeit und die gestiegene Schwarzwirtschaft, sowie die vielen geschlossenen Kleinbetriebe, zwingen die Gewerkschaftler, ihre Forderungen zu beschränken, um diese Probleme nicht zu verschärfen, und dabei den Übergang auf die Schwarzwirtschaft anzuspornen, bei dem die Arbeiter dann nicht von ihnen abhängen. All das ist eine Voraussetzung, um die Inflationsrate spürbar senken zu können.
All diese positiven Umstände bilden eine gute Grundlage, um die bestehende Staatsschuld langsam abzubauen, wobei bei aufstrebender Konjunktur und rationellem Verhalten der Regierung wieder Auslandskredite gewährt werden, die öffentliche und private Investitionen finanzieren, und auch echte Kapitalinvestitionen zu erwarten sind. Ein Zahlungsprogramm auf 10 Jahre, wie es der IWF in Aussicht stellt, könnte dann eventuell schon vorher erledigt werden.
Wenn man über die Wirtschaftsentwicklung der kommenden Jahre denkt, muss man auch kreativ denken, mit sogenanntem “lateralen” Denken, also einem Seiteneinstieg in die Probleme, wie es Edward del Bono vor zwei Jahrzehnten schon erläutert hat. Die technologische Revolution, an der sich Argentinien intensiv beteiligt, und die strukturellen Änderungen, die die Pandemie herbeiführt, zwingen ohnehin dazu, die Zukunft in anderen Kategorien zu denken als die Vergangenheit. Man muss sich bewusst sein, dass man mitten in einer Revolution lebt.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán, der zweifellos eine gute Ausbildung als Ökonom hat, bemüht sich, die verfahrene Lage einzurenken. Er ist sich bewusst, dass er sich mit dem Fonds einigen muss, auch als Voraussetzung sine que non um die Zahlungen an den Pariser Klub neu zu gestalten. Er weiß, dass er das primäre Defizit der Staatsfinanzen strukturell senken muss und viel höhere Exporte benötigt, um das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz sicherzustellen. Präsident Alberto Fernández hört auf ihn, ist aber nicht ganz überzeugt, oder er hat eben nicht den Mut, um den vernünftigen Weg zu beschreiten, der zunächst sehr holprig ist.
Auf der anderen Seite steht Cristina, und hinter ihr Axel Kicillof und die Gruppe, die er jeden Montag in La Plata einberuft, von der der Journalist Jorge Lanata berichtet (siehe Clarín vom 22.5.21). Teilenehmer sind außer Kicillof noch Sergio Massa, Máximo Kirchner, Fernando Espinoza (Bürgermeister von La Matanza) und der nationale Minister für öffentliche Bauten, Gabriel Katopodis, Sie haben sich schon gegenüber Guzmán bei den Tarifen, der Steuerreform, der Preispolitik und der Exportpolitik durchgesetzt. Sie nehmen die günstige Entwicklung der Landwirtschaft und auch andere positive Umstände nicht zur Kenntnis, und lassen es auf einen Default ankommen, wobei sie die Schulden so amortisieren wollen, wie es ihnen passt. Diese Abschottung von der Welt wäre nicht umsonst. Es wäre eine Katastrophe, die gewiss nicht sein sollte. Denn die günstigen Umstände, die wir oben aufgeführt haben, erlauben eine nicht traumatische Lösung, die bisher verpasst wurde, aber wohl noch aufgeholt werden kann. Doch das muss jetzt entschieden werden, nicht nach den Wahlen, denn dann ist es zu spät.
Diese doppelte Wirtschaftsführung, mit entgegengesetzten Zielen, führt bald zu einem Konflikt, der zum Rücktritt von Guzmán führen kann. Das würde die Krise unmittelbar verschärfen. Das kann nur vermieden werden, wenn der Präsident die volle Macht ausübt, die ihm die Verfassung erteilt, und seinen Wirtschaftsminister stützt, auch gegen Cristina. Das wäre jedoch ein Wunder, und Wunder sind eben selten.
Comentários