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Wie weit versteht Alberto Fernández die wirtschaftliche Lage?

Von Juan E. Alemann

Alberto Fernandez
Alberto Fernández. (Foto: dpa)

Der sehr wahrscheinliche zukünftige Präsident, Alberto Fernández, drückt in seinen Erklärungen oft eine gefährliche Phantasie aus, die den Zweifel aufwirft, ob er sich über die kritische Lage voll bewusst ist, die er übernimmt, die bei ihm schlimmer ist, als es bei einer zweiten Amtszeit von Macri der Fall wäre, weil ein großes Misstrauen gegenüber ihm besteht, eben weil er von der Erinnerung an die Kirchner-Regieung überschattet wird.

Vieles von dem, was Fernández sagt, ist beunruhigend. Zunächst hat er sechs Grundsätze aufgestellt, die er bei seiner Regierung einhalten werde: 1. Fiskales Gleichgewicht (was Nulldefizit bedeutet, und zwar nicht nur beim primären Ergebnis, sondern auch mit Zinsen) 2. Überschuss bei der Leistungsbilanz; 3. Erhöhung der Devisenreserven der ZB; 4. Ein konkurrenzfähiger Dollarkurs; 5. Abbau von Staatsschulden; 6. Abnehmende Inflation. Fernández weist darauf hin, dass dies unter der Regierung von Néstor Kirchner (als er Kabinettschef war) erreicht wurde, vergisst aber zu sagen, dass der Ausgangspunkt im Mai 2003 ein real hoher Dollar und ein anormal niedriger Reallohn war, dass damals keine Zinsen und Amortisationsquoten auf die Staatsschuld gezahlt wurden (die sich im Defaultzustand befand), dass die Tarife öffentlicher Dienste künstlich niedrig gehalten wurden (was mehr Ausgaben für Konsum erlaubte), dass hohe Reserven an Erdöl und Gas bestanden (so dass keine unmittelbaren Investitionen auf diesem Gebiet notwendig waren), dass die Arbeitslosigkeit anormal hoch war und die tiefe Rezession von 2002 einen niedrigen Ausgangspunkt geschaffen hat, der eine Aufschwungphase erleichterte. Die damaligen Umstände haben nichts mit den gegenwärtigen zu tun.

Fernández spricht sich gleichzeitig für einen real hohen Wechselkurs und eine Erhöhung des Reallohnes aus, was gegenwärtig unvereinbar ist. Bei seiner Initiative über ein Sozialabkommen, weist er darauf hin, dass die Preise zunächst für sechs Monate eingefroren werden sollen, aber bei den Löhnen eine Aufholung des realen Verlustes schrittweise herbeigeführt werden soll, wobei er diesen auf 20% ansetzt. Damit funktioniert das ganze Sozialabkommen nicht, das im Wesen darauf beruht, dass es zunächst keine nominellen Lohnerhöhungen gibt, und der Reallohnverlust hingenommen wird. Und in dieser Gnadenfrist muss man sich überlegen, wie der Fall weitergeht. Eine Reform des Arbeitsrechtes und der Lohnverhandlungen kommt dabei für ihn nicht in Frage. Doch gerade das ist unerlässlich, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen und Lohnerhöhungen zu ermöglichen, die an Produktivität und Effizienz gebunden sind und nicht auf die Preise abgewälzt werden. Nur so ist eine Erhöhung des Reallohnes möglich. Macri vertritt das Konzept, dass diese Reformen über die einzelnen Arbeitsverträge erfolgen sollen, wie es bei den Erdölarbeitern in Vaca Muerta mit Erfolg vollzogen wurde. Er hat jedoch kaum Fortschritte in dieser Beziehung erreicht, abgesehen davon, dass viele Unternehmen Reformen eingeführt haben, ohne die Gewerkschaften zu fragen, und diese sie stillschweigend geduldet haben. Fernández hat auch etwas in diesem Sinn geäußert, aber ohne auf das Thema einzugehen. Ob er sich über die Arbeitsproblematik nicht im Klaren ist, oder es jetzt eben mit den Gewerkschaften nicht aufnehmen will, lässt sich nicht sagen.

Gefährlich ist die wiederholte Äußerung von Fernández, dass er den Konsum anspornen werde, “indem er Geld in die Taschen aller Konsumenten steckt”. Woher soll dieses Geld stammen? Die Gewerkschaften interpretieren dies als eine Zustimmung zu bedeutenden Lohnerhöhungen, die dann eine gefährliche inflationäre Wirkung haben. Die Regierung hat auf alle Fälle keine Möglichkeit, Geld für den Konsum beizusteuern. Die jüngsten Steuergeschenke von Macri sind ohnehin schon unvereinbar mit dem Ziel der ausgeglichen Staatsfinanzen.

Ebenfalls sprach er davon, die Bindung der Tarife (und des Erdölpreises) an den Dollar aufzuheben. Das ist sehr gefährlich, weil die internationalen Investoren ihre Kalkulation in Dollar machen. In Vaca Muerta müssen noch etliche Milliarden Dollar investiert werden, um die notwendige Produktion zu erreichen. Macri hat grundsätzlich versucht, dass die Tarife öffentlicher Dienste und auch der Erdölprodukte die vollen Kosten decken, einschließlich Instandhaltung und auch Gewinn der Betreiber. Unter den Kirchner-Regierungen wurden die Tarife gedrückt, so dass kaum Instandhaltung stattfand, die Unternehmen Verluste hatten und infolgedessen die Investitionen ungenügend waren. Wird Fernández so etwas wiederholen? Er deutet es auf alle Fälle an.

Fernández hat auch den gefährlichen Gedanken geäußert, dass die Inflation keine monetäre Ursache habe. Gewiss: die Inflation beruht auch auf Kostenerhöhungen, auf Änderung der relativen Preise (in den letzten Jahren besonders die starke Zunahme der Tarife öffentlicher Dienste) und auf der Abwertung. Aber die monetäre Entwicklung hat auch eine bedeutende Wirkung, weil sie nicht nur allgemein eine höhere Nachfrage schafft, die Preiserhöhungen erleichtert, sondern weil sie zu erhöhten Dollarkäufen führt, die den Kurs in die Höhe treiben. Die Inflation ist in Argentinien ein sehr komplexes Phänomen, das schon an die 70 Jahre dauert (mit Unterbrechung im Jahr 1952 und dann von 1991 bis 2001) und auch drei Hyperinflationen aufwies (die als Zunahme von 50% und mehr in einem Monat definiert werden). Die verschiedenen Regierung hätten gewiss gewollt, dass die Inflation gebändigt werde, aber es gelang ihnen nicht. Und Alberto Fernández glaubt von Anfang an nicht, dass ihm dies gelingen werde. Man kann jedoch seinen Hinweis auf die monetäre Seite der Inflation auch dahingehend auslegen, dass unter Macri die Bändigung der Inflation mit monetären Mitteln überschätzt wurde, so dass das Ergebnis unbefriedigend war. Das sollte er jedoch klären.

Über Senkung von Staatsausgaben sagt Fernández nur, dass er die hohen Zinsen auf Leliq abschaffen will, die schließlich der Staat bezahlt und die das ganze Zinsgefüge in die Höhe treiben. Wie er das erreichen will, sagt er nicht. Vielleicht haben sich seine Wirtschaftler sich Gedanken über dieses Problem gemacht. Denn wenn man einfach keine Leliq mehr ausgibt, dann entsteht ein gefährlich hohe Geldschöpfung. Dabei kommt hier der Gedanke auf, dass es schließlich zu einem Bonex-Plan kommt (etwa wie der von Menem am Anfang seiner Regierung), so dass die Inhaber von Leliq langfristige Staatspapiere in Dollar zu niedrigen Zinsen erhalten.

Alberto Fernández hat einige gut ausgebildete und erfahrene Ökonomen um sich: Nielsen, Alvarez Agis, Kulfas.u.a. Gelegentlich spricht er auch mit Melconian, mit dem er sich schon seit 2005 periodisch unterhält, der unter Macri eine Zeit lang Präsident der Banco Nación war, und jetzt sehr kritisch über die Wirtschaftspolitik von Macri ist (Siehe seinen Artikel in “La Nación” vom 15.9.19). Alle, und ganz besonders Melconian, dürften ihm erklären, was auf ihn zukommt. Ob er jedoch wirklich versteht, dass er seine schönen Versprechen vergessen und mit einer komplizierten Lage zurechtkommen muss, weiß man nicht. Die Gefahr, dass er schließlich doch einen Teil seines Versprechens über Schaffung von Kaufkraft der Konsumenten erfüllen will, sollte nicht unterschätzt werden. Umso mehr, als voraussichtlich Cristina u.a. bedeutende Parteimitglieder mitmischen dürften, von denen viele, um es mild zu sagen, eigenartige Gedanken haben.

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