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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wahlbedingte Wirtschaftspolitik

Von Juan E. Alemann

Die Regierung hat das Ziel, die Wahlen zu gewinnen, über alles andere gestellt. Wirtschaftsminister Martín Guzmán muss passiv zuschauen, wie Entscheidungen getroffen werden, eine nach der anderen, die in jedem Fall bestimmte Bereiche der Gesellschaft begünstigen und eine starke monetäre Expansion beinhalten, die gesamthaft auf irgendwo zwischen $ 500 Mrd. und einer Billion geschätzt wird. Eine Consulting-Firma hat den Betrag auf 1,5% des Bruttoinlandsproduktes angegeben, die zum primären Defizit hinzukommen. In der Praxis wird es viel weniger sein, weil damit gerechnet werden muss, dass Hindernisse auftauchen, die staatliche Bürokratie ohnehin alles verzögert, und Guzmán die einzelnen Maßnahmen restriktiv auslegen dürfte.

Guzmán dürfte sich auf alle Fälle bemühen, diese Initiativen zu begrenzen, weil er weiß, das die monetäre Expansion schon jetzt eine gefährliche Grenze erreicht hat, bei der die Gefahr der Hyperinflation näher rückt. Im ersten Halbjahr 2021 ist es ihm gelungen, die Staatsfinanzen wesentlich zu verbessern, was in einem primären Defizit zum Ausdruck kommt, dass weit unter dem Vorjahr und auch unter 2019 liegt. Auch Juli weist noch gute Zahlen aus. Aber für den Rest des Jahres wird sich die finanzielle Lage des Staates verschlechtern, weil der Export der Ernte 2020/21 schon weitgehend vollzogen ist, die Gehälter der Staatsangestellten zunehmen, die Subventionen für den Energiebereich steigen, und zurückgestaute Ausgaben auftreten, besonders auf dem Energiebereich, wo der Staat den Unternehmen enorme Beträge schuldet, was sie nicht verkraften können. Sie sind an eine Grenze gelangt. Auch die Zahlungsbilanz steuert auf eine komplizierte Lage hin, bei der es schwierg wird, das Gleichgewicht zu erhalten und einen Abwertungssprung auf dem offiziellen Markt zu vermeiden. Präsident Fernández gehorcht einer Cristina, der es nur darum geht, ihre bösen Prozesse über eine parlamentarische Entscheidung zu beenden, hört aber auch auf den vernünftigen Guzmán. Wohl dürfte er sich dabei gewiss nicht fühlen.

Bei den einzelnen Maßnahmen handelt es sich um folgende: Kredite für Ratenzahlung von dauerhaften Konsumgütern, in 12 und 24 Monaten im Allgemeinen und in 30 Raten in Ausnahmefällen, zu einem Zinssatz, der schließlich etwa die Hälfte der Inflation ausmacht; subventionierte Kredite an Einheitssteuerzahler; subventionierte Kredite für Programmierungskurse und Kauf von Computern; ein Paket von kleineren öffentlichen Bauten für insgesamt $ 22 Mrd., von denen etwa die Hälfte kurzfristig bezahlt wird; hohe Subventionen für den kulturellen Bereich; Subventionen für die Beschäftigung junger Menschen. Die Liste ist noch länger, wobei auch die Aufnahme von Lohnverhandlungen hinzukommt, bei denen die Löhne allgemein in diesem Jahr um 45% statt der bisherigen 32% steigen sollen. Auch das treibt die Inflation und die Staatsausgaben in die Höhe.

Hätte die Regierung dabei nur die PASO-Wahlen vom 12. September im Auge, dann wäre der Fall nicht schlimm. Denn bis dahin würden die verschiedenen Programme erst in Schwung geraten, und dann könnte die Regierung die Bremse anziehen. Aber es geht der Regierung viel mehr um die Novemberwahlen, die entscheidend sind. Und bis dahin fehlen noch drei Monate, in denen die hohe Geldschöpfung Tatsache ist. Guzmán passt auf, dass dies die Inflation nicht weiter in die Höhe treibt, kann aber wenig tun, um es zu vermeiden.

Doch wenn danach wieder das Ziel der starken Senkung des primären Defizites Vorrang erhält, dann wird der Aufschwung nur kurz dauern, und man kann eine neue Rezessionswelle erwarten. Auf alle Fälle wird der Fonds nach den Wahlen nicht dulden, dass die Senkung der Staatsausgaben hinausgeschoben wird. Er wird konkrete Maßnahmen fordern, und sich nicht auf Phantasiezahlen einlassen, von denen man von vornherein weiß, dass sie nicht erfüllt werden. Um zu einem Abkommen im Februar oder März 2022 zu gelangen, muss spätestens ab Dezember 2021 kräftig gespart werden, was auf alle Fälle schmerzhaft und politisch konfliktiv ist.

Die Regierung, also Alberto Fernández und auch Cristina Kirchner, dürften sich klar bewusst sein, dass das Abkommen mit dem IWF unerlässlich ist, damit die Wirtschaft sich zunächst voll von der Pandemie erholen und dann auf dauerhaften Wachstumkurs steuern kann, und ebenfalls, um die Inflationsrate schrittweise auf ein zivilisiertes Niveau zu senken. Viele private Initiativen, auch Kredite chinesischer Banken und eventuell auch anderer, die Kapitalgüterimporte finanzieren, stehen still, bis das Umschuldungsabkommen mit dem IWF unterzeichnet ist. Ohne dies tritt ein neuer Default ein, zunächst mit dem Fonds und dem Pariser Klub, und die wirtschaftliche Tätigkeit könnte dann noch eine Stufe sinken. Die Fondsleitung war bisher bei den Gesprächen über die unerlässliche Umschuldung der u$s 45 Mrd., die Argentinien ihm schuldet, sehr wohlwollend. Sie hat offensichtlich das politische Problem verstanden, und will einen Bruch vermeiden. Aber dies dürfte nach den Wahlen aufhören. Kristalina Georgiewa und die Fondsdirektoren werden bestimmt nicht zulassen, dass man sie zum Narren hält. Alles hat seine Grenzen.

Guzmán versteht es auch, auf seine Weise den Konflikt mit dem Kirchnerismus, besonders mit der Cámpora-Gruppe, zu entschärfen. In einer Rede in Tecnópolis vor jugendlichen Camporisten betonte er in der Vorwoche die weltweit zunehmend hohe Ungleichheit bei der Einkommensverteilung, die Ungerechtigkeit des internationalen Finanzsystems, die Bedeutung des Klimawandels u.dgl. mehr, sagte aber kein Wort über die lokale Inflation, die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut und vieles andere, dass den Argentiniern Sorge bereitet. Er will bewusst nicht eine Diskussion mit den Kirchneristen eingehen, bei der ein krasser Gegensatz zwischen seiner wirtschaftlichen Rationalität und den ideologischen Phantasien dieser Leute auftreten würde, der seine stille Arbeit stören würde. Dumm ist Guzmán gewiss nicht.

Die Wirtschaftswelt lässt sich nicht durch die kurzfristige Besserung täuschen. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Juni und Juli gegenüber dem Vormonaten leicht gestiegen, und dieses Jahr wird eine BIP-Zunhame von 6% erwartet, eventuell auch etwas mehr. Damit wäre der Rückgang von ca. 10% des Vorjahres nur zum Teil aufgeholt. Aber nach den Novemberwahlen erwarten die Unternehmer nichts Gutes. Sie sind sich bewusst, dass dann auf die Bremse getreten werden muss, und dass die Sanierung der Staatsfinanzen eine rezessive Wirkung hat. Und diese Einstellung führt auch dazu, dass die gegenwärtige Besserung und die verschiedenen Konjunkturmaßnahmen der Regierung mit Vorsicht genossen werden, so dass nicht gehandelt wird, wie es bei Erwartung eines längeren aufstrebenden Konjunkturzyklus der Fall wäre.



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