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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Wachstum mit geringen Investitionen?

Von Juan E. Alemann

Die Investitionsrate (Gesamtinvestitionen in Maschinen, Anlagen und Bauten bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) liegt dieses Jahr unter 10%, was angeblich knapp ausreicht, um zu ersetzen, was wegen Verschleiß, Überalterung und zurückgebliebener Technologie nicht mehr eingesetzt wird. In früheren Zeiten hatte Argentinien Investitionsraten von 15 bis 20% des BIP.

Die Investitionsrate wird auch in den nächsten Jahren gering sein. Die staatlichen Investitionen müssen sehr niedrig bleiben, weil der Staat keine Mittel für diesen Zweck aufbringen kann. Die aufgeblähten Sozialausgaben verschlingen die verfügbaren Mittel und erfordern noch mehr. Das bezog sich bis Ende 2015 auf Pensionen, Hinterbliebenen- und Gnadenrenten, Kindergelder und direkten Subventionen für die Armen, die ab 2003, und noch mehr ab 2007 unter Cristina Kirchner, stark aufgebläht wurden. Unter Alberto Fernández sind dann noch gigantische Sozialhilfen hinzugekommen, von denen ein großer Teil auch nach der Pandemie verbleiben wird. Auch werden die Steuereinnahmen im nächsten Jahr nicht wieder den Stand von 2019 erreichen. Der Staat wird seine Investitionen grundsätzlich auf Objekte beschränken müssen, die mit einer Finanzierung der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Andenkörperschaft, sowie chinesischer und eventuell auch Banken anderer Länder rechnen. Eigene Mittel können bestenfalls für kleinere Investitionen eingesetzt werden, die sich in Gang befinden und fortgeschritten sind.

Die genannten Kredite finanzieren einen Teil des staatlichen Defizits. Wir erinnern daran, dass in der staatlichen Buchführung laufende Ausgaben und Investitionsausgaben zusammengezählt werden, während in der privaten bei den Investitionen nur die Amortisationen als jährliche Ausgaben gebucht werden. Der Staat sollte in diesem Sinn zumindest die Ausgaben für Investitionen separat buchen, und dabei auch die Finanzierungsquellen einzeln aufführen. Dann wüsste man über Staatsfinanzen besser Bescheid. Auch der Präsident wäre dann besser informier.

Die privaten Investitionen werden auch niedrig bleiben. Einmal leiden die Unternehmen auch finanziell unter der Pandemie und Quarantäne, und dann haben sie keinen Zugang zum Kapitalmarkt, wobei es auch keine langfristigen Kredite für Finanzierung von Investitionen gibt. In einigen Fällen, wie Maschinen für die Landwirtschaft, gibt es mittelfristige Kredite der Banco Nación. Aber das hat eine geringe Bedeutung.

Abgesehen davon müssen lokale Unternehmen ihren Gewinn (sofern sie einen haben) grundsätzlich für Arbeitskapital einsetzen, da der Bankkredit für diesen Zweck minimal ist, und die meisten kleinen und mittleren Unternehmen ausgeschlossen sind. Sie finanzieren sich weitgehend über Finanzanstalten, die außerhalb des Bankensystems tätig sind und Wucherzinsen fordern, die eine negativ Wirkung auf die Wirtschaft haben.

Hinzu kommt noch, dass das Steuersystem gegen Investitionen wirkt. Der Steuersatz auf Gewinne von Aktiengesellschaften und G.m.b.Hs. ist mit 35% im intrnationalen Vergleich sehr hoch (In den USA sind es 21%), und wenn man berücksichtigt, dass auch reine Buchgewinne von der Steuer erfasst werden, die die Inflation schafft, dann steigt der Satz noch mehr, oft auf über 50%, was mit Abstand der höchste der ganzen Welt ist. Hinzu kommt noch die Vermögenssteuer, die die Aktionäre betrifft, die es sonst auf der Welt nur ausnahmsweise und beschränkt gibt. In den USA gibt es sie auf alle Fälle nicht. Das argentinische Steuersystem wirkt abschreckend für ausländische Investoren. Außerdem sind die Steuersysteme der Mercosur-Partner viel freundlicher, so dass der Zugang zum argentinischen Markt auch über Investitionen in Brasilien, Uruguay und Paraguay erreicht werden kann. Es ist begreiflich, dass mehrere Unternehmen ihre argentinischen Fabriken aufgegeben und die Produktion auf ihre brasilianischen konzentriert haben.

All das, was wir hier darstellen, wird von der Regierung ignoriert. Präsident Alberto Fernández spricht immer wieder von Auslandsinvestitionen, die er willkommen heißt, was ihm jedoch die internationale Finanzwelt gewiss nicht abnimmt. In der Vorwoche sprach er von einem “solidarischen Kapitalismus”, worunter sich die Großunternehmen nichts Gutes vorstellen. In der Praxis gibt er dauernd Signale, die mögliche Investoren abschrecken.

Schon vor der Pandemie gab es seit 9 Jahren kein wirtschaftliches Wachstum. Dieses Jahr wird das BIP um über 12% abnehmen, so dass das BIP niedriger als das von 2011 sein wird, und pro Kopf noch viel mehr. Argentinien braucht jetzt eine realistische Wachstumsstrategie, umso mehr als es auch darum geht, den Arbeitslosen, die auf etwa 30% der aktiven Bevölkerung gestiegen sind, eine bezahlte Beschäftigung zu ermöglichen. Wenn man das Wachstum und eine höhere Beschäftigung nur von Investitionen abhängig macht, dann sind wir im Eimer. Denjenigen, die darauf hinweisen, dass man eben erreichen muss, dass in hohem Umfang investiert wird, muss man empfehlen, dass sie aufhören, zu träumen.

Die Wirtschaftswissenschaft ist vor Jahrzehnten schon zum Schluss gelangt, dass die nicht materiellen Wachstumsfaktoren mehr zum Wachstum beitragen, als die materiellen. Und das tritt gegenwärtig infolge der technologischen Revolution verstärkt auf. Es geht somit weniger um Maschinen, Anlagen und Bauten als um Effizienz, neue Technologie, strukturelle Änderungen und Ausbildung. Und auch bei den Investitionen geht es um Effizienz, also Vermeidung von Fehlinvestitionen, Einhaltung von Prioritäten und Vermeidung von überhöhten Kosten, die beim Staat durch Korruption und Schlamperei einstehen. Es ist erstaunlich wie wenig in Argentinien, auch unter Ökonomen, von Effizienz die Rede ist, obwohl dieser Begriff die Essenz der ganzen Wirtschaftswissenschaft zum Ausdruck bringt.

Die Wachstumsstrategie muss in Argentinien davon ausgehen, dass als erstes die Wirtschaft nach der Pandemie wieder einigermaßen normal funktioniert. Dann muss erreicht werden, dass die bestehenden brachliegenden Kapazitäten voll eingesetzt werden. Und schließlich muss die Wirtschaft als Ganzes und die Unternehmen im Einzelnen, effizienter werden. Zu diesen Zweck leistet die Computertechnologie, mit Internet und allem was dazugehört, einen enormen Beitrag. Die Quarantäne, mit einem massiven Übergang auf Heimarbeit, hat dieser Technologie zum Aufschwung verholfen, und die Unternehmensleitungen gezwungen, viele Tätigkeiten zu überdenken.

Bei dieser Wachstumsstrategie muss auch der Staat mitmachen und effizienter werden. Das bezieht sich einmal, auf die Verringerung der Zahl öffentlicher Angestellter, und dann auf die Abschaffung unnötiger Ausgaben. Das Bergwerk Río Turbio muss geschlossen werden, und bestimmte staatliche Tätigkeiten müssen privatisiert werden. Dass die Regierung in dieser Beziehung umgekehrt denkt, und Straßenkonzessionen durch direkte staatliche Verwaltung ersetzen will, geht in die falsche Richtung. Die Rückverstaatlichungen der Kirchner-Regierungen haben die Effizienz der Betreibung der betroffenen Unternehmen beeinträchtigt und somit gesamtwirtschaftlich negativ gewirkt. Es fällt auf, dass bei den Privatisierungen der Menem-Regierung die Einnahmen in den Vordergrund gestellt werden, die der Staat dabei erhalten hat, indem symbolisch auf den Verkauf der Juwelen der Großmutter (“las joyas de la abuela”) hingewiesen wird. Doch das hat überhaupt keine Bedeutung, Wesentlich dabei waren die Investitionen, die die privaten Besitzer durchführten, und noch viel mehr, die phänomenale Effizienzzunahme bei der Betreibung. Diese hat sehr stark zum hohen Wachstum der ersten Jahre der Menem-Regierung beigetragen, die 1991 und 1992 eine BIP-Zunahme von je 9% verzeichnet.

Die Wachstumsstrategie, die jetzt notwendig ist, erfordert als erstes viel Rationalität. Auch die politische Diskussion muss von wirklichkeitsfremden ideologischen Vorstellungen Abstand nehmen und auf rationelle Kategorien übergehen. Wenn das nicht gelingt, oder die Regierung es nicht versteht, die politische Diskussion von der konkreten Regierungstätigkeit zu trennen, dann drohen schlimme Zeiten. Noch schlimmere als jetzt.

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