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Vorreiter Berlin

Hoffnungsträger U-Bahn wird 120 in Deutschland

Von Burkhard Fraune

U-Bahn
Vor 120 Jahren fuhr die erste U-Bahn durch Berlin. (Foto: BVG)

Berlin - Im Schloss thront der Kaiser, auf der Straße trägt man Hut und auf dem Pflaster klappern Pferdehufe. Und darüber? Führt Elektromobilität in die Zukunft. Strombetriebene Wagen eilen über die Köpfe der Berliner hinweg. Eine Hochbahn in Preußens Hauptstadt eröffnet das U-Bahn-Zeitalter in Deutschland. 120 Jahre ist das inzwischen her. Doch das Verkehrsmittel ist heute wieder aktuell. Damit weniger Klimagift im Verkehr entsteht, sollen mehr Menschen auf die U-Bahn umsteigen. Doch der Sanierungsstau ist gewaltig. Und der Bau neuer Tunnel teuer und nicht unumstritten.

„Mobilitätswende ohne die U-Bahn? Das kann sich in Berlin wohl niemand vorstellen“, spekulieren die Verkehrsbetriebe der Hauptstadt. In die U-Bahn zu steigen, ist für Millionen Menschen in Deutschland vollkommen normal. 1902 war es eine Sensation. Die neuen Bahnhöfe in Kreuzberg wurden Postkartenmotive - „Gruß aus Berlin“.

Nach einer Premierenfahrt für geladene Gäste konnten am 18. Februar 1902 alle Berliner auf die neue U-Bahn ausweichen, die erste Deutschlands. London, Paris, Budapest - sie waren früher dran gewesen. Werner von Siemens hatte die Stadtoberen an der Spree jahrelang vergeblich gedrängt; die Inbetriebnahme der Bahn erlebte er nicht mehr.

Doch auf den Straßen der rasant gewachsenen Hauptstadt drängten sich immer mehr Pferdefuhrwerke und Trams. Entlastung brachte erst ein knapp sechs Kilometer langer Hochbahn-Abschnitt vom damaligen Stralauer Thor zum Potsdamer Platz. Bis zum Ende des Jahres wurde die Strecke dann - einschließlich eines Tunnels - bis zum heutigen Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg freigegeben, damals noch eine Nachbarstadt.

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Die Berliner U-Bahn vom Typ A1 im Jahr 1902 am Schlesischen Tor. (Foto: dpa)

Bald folgte Hamburg mit seiner U-Bahn, dann stoppten die Weltkriege neue Projekte in Deutschland. Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren gab es wieder eine U-Bahn-Welle. Die westdeutschen Innenstädte ächzten unter der Last der Autos. Essen, Frankfurt, Köln, München, Nürnberg - immer mehr Städte schickten den Verkehr unter Tage, teils indem sie ihre Straßenbahnen in Tunnel verlegten.

„Die großen deutschen Städte wären ohne ihre U-Bahnen schlicht nicht vorstellbar, sie könnten nicht mehr nachhaltig wachsen und würden heute schon vor dem Verkehrskollaps stehen“, sagt Ingo Wortmann, der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Doch die Systeme sind vielfach in die Jahre gekommen. Der Nahverkehr sei lange nur als lästiger Kostenfaktor gesehen worden, an den U-Bahnen nur das Nötigste gemacht worden.

Allmählich ändert sich das. In vielen Städten werden neue Abschnitte erwogen oder schon geplant. München und Hamburg haben mehrere Verlängerungen ins Auge gefasst oder schon begonnen. Berlin hat erst vor einem guten Jahr eine Netzlücke an prominenter Stelle geschlossen: Unter dem Boulevard Unter den Linden und dem wiederaufgebauten Schloss fährt seitdem eine U-Bahn. Weitere Projekte will der neue Senat anschieben.

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Bei den Bauarbeiten. (Foto: dpa)

Die großen Neubauvorhaben mit kilometerlangen Netzen gibt es aber nicht in Deutschland, sondern etwa in der Golfregion und den Megastädten Ostasiens - oft mit deutscher Technik. In Deutschland spricht man dagegen von Verdichtung bestehender Netze.

Die Kosten sind beachtlich. Allein die 2,2 Kilometer mit drei Bahnhöfen zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz kosteten 540 Millionen Euro. 2,6 Kilometer neue U4 in Hamburg werden wohl mit 465 Millionen Euro zu Buche schlagen. „Wir wollen eine Stadt werden, die leiser wird, in der es mehr Raum gibt für den Radverkehr, für das zu Fuß gehen, für das Leben im öffentlichen Raum“, hatte der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) anlässlich des ersten Spatenstichs vergangenes Jahr verkündet.

Doch immer wieder wird diskutiert, welches dafür das richtige Verkehrsmittel ist. In Berlin etwa erregte eine Untersuchung Aufsehen, nach der ein U-Bahn-Bau viel größere Mengen Kohlendioxid freisetze als etwa der einer Straßenbahntrasse, etwa wegen der Zementherstellung für die Tunnel und Bahnhöfe. Fürs Klima rechnet sich die U-Bahn demnach erst nach vielen Jahrzehnten.

„Die U-Bahn hat unvergleichliche Stärken“, heißt es beim VDV mit Blick auf die deutlich größeren Passagiermengen. Die Straßenbahn fülle die Lücke zwischen dem Bus und unterirdischen Stadtbahn- oder U-Bahn-Systemen. Für mehr Klimaschutz müsse der gesamte Nahverkehr ausgebaut werden, auch die U-Bahn. Wenn dazu Kosten und Nutzen abgewogen werden, müsse der Klima-Aspekt stärker berücksichtigt werden.


Vom Klima sprach 1902 noch niemand. Fuhrwerke und Droschken auf Berlins Straßen fuhren meist noch mit „Hafermotor“, wie die Taxi-Innung heute die Zugpferde nennt. Und darüber, auf stählernen Stelzen, die Hochbahn. Gelbe und rote Wagen verschiedener Klassen fuhren in Bahnhöfe aus Stahl und Glas. Zur elf Kilometer langen Stammstrecke kamen bald weitere hinzu, knapp 150 Kilometer sind es heute, intensiv genutzt: Vor Corona machten Berliner und Besucher pro Jahr fast 600 Millionen Fahrten mit der U-Bahn. (dpa)

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Trotz starker Beschädigungen während des Krieges ist der größte Teil der Berliner U-Bahn im Februar 1946 wieder in Betrieb. In Teilen unter freien Himmel, wie hier vor der Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. (Foto: dpa)


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