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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Vor einer extrem kritischen Lage

Von Juan E. Alemann

Die argentinische Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise, die jedoch weniger in der Entwicklung der Konjunktur zum Ausdruck kommt, als in drei besonderen Aspekten: einmal, die hohe Geldschöpfung, dann die gefährdete Zahlungsbilanz, praktisch ohne Währungsreserven für den Notfall, und schließlich die hohe und zunehmende Inflation. Sie müssen in dieser Reihenfolge in Angriff genommen werden.

Unter der gegenwärtigen Regierung hat sich die monetäre Basis (Banknoten im Umlauf plus Bankdepositen bei der ZB) vervierfacht. Die Geldschöpfung beruht im Wesen auf dem Defizit der Staatsfinanzen, einschließlich dem der Zentralbank. Das primäre Defizit muss laut IWF-Abkommen höchstens bei 2,5% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen. Das ist im 1. Quartal 2022 mit etwas kreativer Buchhaltung gelungen, und der Fonds hat dabei ein Auge zugedrückt. Im ganzen Jahr ist es schon jetzt klar, dass diese Grenze nicht eingehalten werden kann. Und dann kommen noch Zinsen hinzu, die auch gezahlt werden müssen, womit man auf etwa 5% des BIP gelangt. Hinzu kommt dann noch das Defizit der Zentralbank, die schliesslich auch zum Staat gehört. Der Bestand an den Leliq-Titeln, die die ZB ausgibt, liegt schon über $ 6 Bio. Die Zinsen auf dies stellen weitere 3% bis 5% des BIP dar. Somit gelangt man insgesamt auf irgendwo zwischen 8% und 10% des BIP.

Das Defizit wird entweder mit zusätzlicher Staatsverschuldung oder mit Geldschöpfung gedeckt. Der internationale Markt ist gegenwärtig für argentinische Titel gesperrt, und der lokale Finanzmarkt ist zunehmend zurückhaltend. Die Banken können kaum noch mehr Leliq zeichnen, und andere Investoren haben schon begonnen, sie abzustoßen. Bisher hat die ZB die Leliq-Zinsen mit Ausgabe zusätzlicher Titel gezahlt. Das ist jetzt nur noch ausnahmsweise möglich. Den Banken wurde schon gestattet, einen Teil ihrer Pflichtreserven in Leliq anzulegen. Doch viel mehr kann nicht von den Reserven abgeschöpft werden, da diese dann ihren Reservecharakter verlieren, also im Notfall eingesetzt zu werden.

Die ZB hat unlängst die Zinsen für Leiliq weiter erhöht. Diese Zinsen stellen 3% bis 4% des BIP dar. Der Leliq-Bestand liegt über $ 6 Bio., was sich mit einer monetären Basis von $ 4,31 Bio. vergleicht. Bei den gegenwärtigen Zinsen, die mit Geldschöpfung gezahlt werden, würde sich die monetäre Basis in einem Jahr etwa verdoppeln. Doch dann kommt noch das Defizit des Schatzamtes hinzu, womit sich die monetäre Basis kurzfristig gut verdreifachen würde. Das bedeutet, ohne Zweifel, Hyperinflation. Diese wurde seinerzeit vom Ökonomen Phillip Kagan, der die verschiedenen Hyperinflationen der Welt studiert hatte, mit einer Preissteigerung von 50% in einem Monat definiert, bei der das Geld nicht nur seinen Charakter als Sparmittel und Wertmesser verloren hat, sondern auch nicht mehr für normale Transaktionen eingesetzt wird. Doch Ökonomen meinen jetzt, dass dies schon vorher eintritt. In Argentinien würden schon bei über 10% im Monat wilde Zustände eintreten. Es wäre das Ende dieser Regierung.

Um diese Entwicklung zu vermeiden, muss sofort kräftig an einer drastischen Verringerung der Staatsausgaben gearbeitet werden. Das primäre Defizit kann kurzfristig eventuell um zwei Prozentpunkte verringert werden, und dann sieht der Fall anders aus. Aber beim ZB-Defizit gibt es nur eine Lösung: ein sogenanntes Bonex-Programm, wie das von 1990, das in einem Zwangsumtausch der Leliq in langfristige Titel, in Dollar, die sehr niedrig verzinst werden, besteht. Das müssten die Banken verkraften, was nicht einfach ist. Aber uns fällt keine andere Lösung ein. Dieses Bonex-Programm würde auf alle Fälle die Finanzwelt beruhigen.

Das Problem der Zahlungsbilanz hat eine relativ einfache Lösung: der Devisenmarkt muss gespalten werden, in einem kontrollierten Markt, über den die Außenhandelsgeschäfte mit materiellen Waren abgewickelt werden, und einem freien Markt für den Rest. Dieses System wird, mit Abweichungen, von vielen Ökonomen befürwortet, an erster Stelle vom ehemaligen Wirtschaftsminister Domingo Cavallo. Auf alle Fälle ist das bestehende System, mit unzähligen Wechselkursen, wirtschaftlicher Wahnsinn. Gleichzeitig müsste es beim offiziellen Kurs einen Sprung geben (auf $ 160?), womit die schädliche Spekulation mit einer bevorstehenden Abwertung aufhört. Ein Inflationsland wie Argentinien, das seine Exporte dringend erhöhen muss, kann sich keinen real gedrückten Wechselkurs erlauben

Die ZB-Leitung befürchtet, dass dabei der freie Kurs hoch bleibt, und weiter über 100% des offiziellen Kurses liegt, Aber außerdem würde ein völlig freier Devisenmarkt, ohne die Umständlichkeit der bestehenden legalen Märkte, wie an erster Stelle der CCL (der über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar abgewickelt wird) zu einem höheren Dollarangebot führen. Man müsste dabei nur eine Weißwaschung für diese Dollar einführen. Halten wir fest, dass periodische Weißwaschungen in einer Wirtschaft mit einem so hohen Anteil der Schwarzwirtschaft am Brutrotinlandsprodukt, wie sie in Argentinien mit über einem Drittel besteht, zum System gehören, weil sonst schwarze Ersparnisse nicht im Land angelegt werden können.

Wenn die Geldschöpfung eingedämmt wird, und die Zahlungsbilanz nicht mehr Gefahr läuft, einen Fehlbetrag nicht decken zu können, dann sollte auch die Inflation zurückgehen. Doch damit sie von der Kostenseite nicht angeheizt wird, müsste auch das System der Lohnbestimmung in paritätischen Verhandlungen geändert werden, so dass Erhöhungen nicht auf Preise abgewälzt werden können. Die Lohnverhandlungen müssen sich auf Verteilung des Gewinnes, sowie der Produktivitäts- und Effizienzfortschritte zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer beziehen. Dass Präsident Alberto Fernández und jetzt auch Sergio Massa ständig vom Reallohn reden, ist ein großer begrifflicher und politischer Fehler. Die Krise müssen wir alle bezahlen, auch die Arbeitnehmer, die selbstständig Tätigen und die Empfänger anderer Einkommen. Und wenn sie überwunden wird, kann man auch an eine Zunahme des Reallohnes denken. So war es auch nach der tiefen Krise von 2001/02, als der Reallohn zunächst drastisch zurückging, und ab 2003 schrittweise stieg. Bei den paritätischen Lohnverhandlungen muss es auch einen Vertreter des Wirtschaftsministeriums geben, der sich Lohnerhöhungen widersetzt, die auf die Preise abgewälzt werden, und dabei Vetorecht hat. Doch dies erscheint heute als eine Phantasie. Auch wenn die Regierung nicht so weit geht, wie wir es hier vorschlagen, muss sie in diese Richtung gehen. Sonst geht die Gesamtrechnung beim Stabilisierungsprogramm nur mit einer tiefen Rezession auf.


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