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Von Glas bis Granit

Altes Handwerk in Österreichs Waldviertel

Von Bernd F. Meier

Wälder und Wiesen prägen Österreichs Waldviertel, ein stilles Land abseits großer Touristenströme. Hier laden Traditionshandwerker wie Weber, Schleifer und Seifensieder zu Werkstattbesuchen ein.

Unterwegs
Unterwegs im Betrieb: Monika Strobl und Walter Greulberger in der Frottierweberei Wirtex. (Foto: dpa-tmn)

Zwettl (dpa/tmn) - Traditionsbewusstsein, Ausdauer, Beharrlichkeit: Diese Eigenschaften zeichnen seit jeher die Menschen im Waldviertel in Niederösterreich aus. Die Region war nach dem Zweiten Weltkrieg einige Jahre von den Sowjets besetzt, ihre Bewohner abgeschnitten.

Heute gilt das Waldviertel nördlich von Linz als Musterregion für alte Handwerke und Manufakturen. Besucher können den Fachleuten über die Schulter schauen und selbst Hand anlegen - zum Beispiel beim Glas schleifen oder Holzschalen drechseln. Eine Auswahl:

Gläserner Glanz im Kristallium

Erwin Weber
Schwieriges Gewerbe: Erwin Weber beim Glasschliff in seiner Schleiferei Kristallium. (Foto: dpa-tmn)

Einst gab es im Waldviertel 120 Glashütten. Erwin Webers Schleiferei Kristallium ist einer der letzten Betriebe, der alle Höhen und Tiefen überstanden hat. "Kristallglas schleifen ist ein schwieriges Gewerbe geworden", sagt der Schleifermeister. In siebter Generation führt Weber den Handwerksbetrieb, der seit 1750 besteht und sich heute auf Glaspokale konzentriert hat. "Schnörkellos, nicht überladen, dem Geschmack unserer Zeit folgend."

Damit knüpft er die goldenen Zeiten des Bleikristallschliffs in den 1960er und 1970er Jahren an, als kunstvolle Sets aus Kammschale, Puderdose und Parfümzerstäuber so manche Frisierkommode zierten und das Gewerbe brummte. In sechs Schritten entstehen heute wie damals Gläser vom Rohling bis zum Silberschliff. Besucher können unter Anleitung selbst zum Glasschleifer werden. (www.kristallium.at)

Granit und Holz vom Bierfass

Für Goldschmied Reinhart Kartusch ist das Waldviertel eine steinreiche Gegend: Der Granitstein, der hier im Boden steckt, ist mehr als 400 Millionen Jahre alt. Der Handwerker fertigt Armbänder, Halsketten und Ohrstecker aus rotem Granit. Der kommt direkt aus dem Wald am Berg Nebelstein. Außerdem fertigt er Armbanduhren mit Zifferblättern aus Granit und Armbändern aus dem Holz 50 Jahre alter Bierfässer.

Aus gutem Grund: Weitra gilt als älteste Bierbraustadt in Österreich, dort wird seit 1321 durchgehend Bier gebraut. Einblicke in sein Handwerk gibt Kartusch gerne: Besucher können bei ihm einen Schlüsselanhänger aus Granit fertigen. (www.granitschmuck.at)

Karpfen im Teich und auf Handtaschen

Den Karpfen die Haut abziehen, sie gerben und geschmeidig halten: Wie das genau funktioniert, ist ein Betriebsgeheimnis in der Manufaktur von Rudolf Schuh. Der Wiener fertigt Handtaschen, Gürtel, Geldbörsen, Schlüsselanhänger und Schuhe mit Karpfenleder.

Auf die Idee mit dem Fischleder brachte Schuh ein Paar aus der Mandschurei, das von Textilien mit Lachsleder erzählte. Als der Tüftler in den 1960er Jahren ins Waldviertel übersiedelte und Karpfenteiche übernehmen konnte, stand die ungewöhnliche Geschäftsidee fest: Die Fischhaut ist wertvoll, das Filet eher Nebensache. Seine Manufaktur ist in Österreich einzigartig. (www.yupitaze.at)

Beim Drechseln den Dreh raus haben

An der Drechselbank bei Andreas Reiter geht es rasend schnell zu. Da entstehen Schalen, Schüsseln, Schuhlöffel, Salzfässchen, Pfeffer- und Salzstreuer und Schlüsselkugeln. "Wir Handwerker im Waldviertel schauen, dass wir etwas am Leben erhalten, was es woanders so nicht mehr gibt", sagt der Drechslermeister.

Besucher bekommen in Reiters Werkstatt Einblicke in die Geschichte des Drechselns von den Praktiken im alten Ägypten bis zu den computergesteuerten Drechselbänken der Gegenwart. In Kursen erfährt man zum Beispiel die Unterschiede zwischen den Holzarten - und kann selbst eine Schale aus Zirbenholz herstellen. (www.drechslerei-reiter.at)

Kunstvolle Keramik und wärmende Kacheln

Schalen, Teller, Kannen
Schalen, Teller, Kannen: Einblick in die Keramik-Werkstatt Hrouza. (Foto: dpa-tmn)

Schalen, Schüsseln, Bierkrüge, Laternen: Kunstvolles kommt aus der Werkstatt der Keramikerin Manuela Hrouza. Mit ihrem Mann Martin arbeitet die Künstlerin seit 30 Jahren im Atelier auf dem ehemaligen Bauerngehöft, einem Dreiseithof. Gerade hat Manuela Hrouza ein Gesimse für die Stadtpfarrkirche in Zwettl angefertigt. Nicht auf der Töpferscheibe, sondern in zwölf Stunden aufwendiger Handarbeit.

Martin Hrouza ist Hafner- und Fliesenlegermeister. Hafner sind Ofenbauer, eines der ältesten Handwerke überhaupt. Der Beruf habe sich aus dem Bau von Lehmöfen in antiker Zeit entwickelt, erklärt der Meister den Besuchern, die zu Kursen in die Werkstatt kommen und dort Schalen und Schüsseln unter Anleitung fertigen. (www.kachelofen-hrouza.at)

Drei Generationen setzen auf Socken

Johannes Säuerl besitzt mehrere Bentleys. Keine Luxusautos, sondern Strickmaschinen. Auf denen fertigt die Manufaktur Trachtenstrümpfe. Drei Generationen hat der 1947 gegründete Familienbetrieb.

Harte Zeiten hat das kleine Unternehmen überstanden. Bis in die späten 1960er Jahre fertigten die Säuerls Innenfutter für Lederhandschuhe - bis zum Einbruch. Dann stiegen sie um und machten sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Socken. Heute ist ihre Strickerei die erste Adresse für Socken und Stutzen aus Schaf- und Baumwolle, die zum Outfit von Trachtenvereinen zählen. (www.saeuerl.at)

Hochprozentiges vom Bauernhof

Oswald Weidenauer
Oswald Weidenauer brennt Whisky und Schnaps - auf dem Gelände seines ehemaligen Milchkuh-Bauernhofes. (Foto: dpa-tmn)

Früher hatten die Weidenauers Milchkühe auf ihrem Bauernhof. Doch irgendwann lohnte ihre geringe Zahl den Aufwand nicht mehr. Die Familie stieg um und machte das Schnapsbrennen - einst nur für den Eigenbedarf - zur Vollzeitbeschäftigung.

Die Rohstoffe Dinkel, Hafer, Ur-Roggen und Einkorn kommen nahezu vollständig von den eigenen Feldern. 35 verschiedene Obstbrände umfasst das Angebot, etwa den 35-prozentigen Kriecherlbrand, eine Spezialität des Waldviertels aus einer wilden Form der Zwetschge.

Zehn Whiskysorten reifen im ehemaligen Heuboden heran - in neuen Fässern und in gebrauchten Süßwein- und Sherryfässern, die für die besonderen Noten der verschiedenen Whiskys sorgen.

Bei Verkostungen im urigen Gewölbekeller des Gehöftes lernen Liebhaber der hochprozentigen Tropfen die verschiedenen Geschmacksnoten kennen - und vor allem schmecken. (www.weidenauer.at)

Flauschiges Frottier

Eigentlich sind die Strobls Landmaschinenhändler. "Bei Wirtex haben wir Arbeitskleidung gekauft und mit unserem Firmenlogo besticken lassen", erzählt Monika Strobl. Doch dann war es damit aus, Wirtex ging in Konkurs. 2013 konnten die Strobls die älteste Frottierweberei Österreichs übernehmen - und an Traditionen anknüpfen.

Schon 1863 entstand der Betrieb als Handweberei in einem Bauernhaus und gab in guten Jahren bis zu 300 Beschäftigten Lohn. Heute hat Wirtex 15 Beschäftigte und 28 Maschinen weben in den ehemaligen Stallungen und Scheunen Küchen- und Handtücher, Saunatücher und Frottierwaren aus Bambusfaser, reiner Baumwolle oder Leinen-Baumwollmischung. Dabei werden die Webautomaten wie vor 200 Jahren von Jacquard-Lochkarten gesteuert, einer Erfindung des gleichnamigen französischen Seidenwebers aus dem 19. Jahrhundert.

Besucher lernen beim Rundgang durch den Betrieb: Frottier ist nicht gleich Frottee, es ist dichter und saugfähiger. Einen Klassiker der Waldviertler Weberei haben sie neu aufgelegt: das karierte Grubentuch. Früher von Bergleuten genutzt, sind die blau oder auch schwarz-roten Tücher heute unverwüstliche Küchen- und Handtücher. (www.wirtex.at)

Handwerkskurse in Schönbach

Naturprodukt
Naturprodukt: Seifen aus den Klosterschul-Werkstätten Schönbach. (Foto: dpa-tmn)

Erst 130 Jahre lang Kloster, dann Dorfschule, heute Museum und Erlebnisort: Das sind die Kloster-Schul-Werkstätten in Schönbach. "2007 haben wir als Verein die Gebäude übernommen, saniert und mit Handwerkskursen begonnen", erzählt Leiter Franz Höfer. Unter den rund 15.000 Gästen pro Jahr sind einige, die unter Anleitung zum Beispiel Körbe flechten und Seifen sieden - hübsche Mitbringsel.

"Durch den Eisernen Vorhang, die Grenzlage zu Tschechien, waren wir Jahrzehnte lang benachteiligt", sagt Höfer, der auch Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Handwerk und Manufakturen im Waldviertel ist. "Viel Wald und karge Böden, das macht unsere Mittelgebirgslandschaft aus." Heute habe das Handwerk wieder goldenen Boden. Ein sanfter Tourismus lockt Wanderer und Radler in die Region. (www.handwerk-erleben.at)

Wenn die Sonne die Zeit anzeigt

Sonnenuhr
Sonnenuhr an der gotischen Stiftskirche Mariä Himmelfahrt in Zwettl - sie kommt aus der Manufaktur von Johann Jindra. (Foto: dpa-tmn)

"Nette Menschen mit sonnigem Gemüt mögen Sonnenuhren", ist Johann Jindra überzeugt - könnte ein Werbeslogan sein. Seine Manufaktur gilt schon seit langem als erste Adresse für Sonnenuhren - ob aus Schmiedeeisen, Stahl oder Aluminium, ob für den Garten oder die Wand. Im Garten stehen mehr als 40 Exemplare, jedes ein Unikat.

Über 400 Wandsonnenuhren sind in der Werkstatt bislang entstanden, etwa Überdimensionale für Kirchtürme oder ein Modell für die Gandegghütte bei Zermatt in den Schweizer Alpen.

Für alle Sonnenuhren benötigt Meister Jindra die genauen Geodaten: "Nach diesen Koordinaten lässt sich der Zeiger, der Polstab, präzise ausrichten. Auch die Neigung der Hauswand spielt eine Rolle." Mit welchen Formeln wird dies alles berechnet? Darauf antwortet der Sonnenuhrenbauer freundlich: "Betriebsgeheimnis." (www.sonnenuhren.com)

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