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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Vom Standesamt in Einzelhaft

Im norddeutschen Fürstenau geht es zur Übernachtung in den Knast

Von Nicole Klostermann

Man muss bekanntlich nicht erst heiraten, um im Knast zu landen. Im kleinen, norddeutschen Städtchen Fürstenau allerdings, liegen das hübsche Standesamt und das örtliche Amtsgefängnis so nah beieinander, dass mancher sich nach einigen Ehejahren vielleicht schon gefragt haben mag, ob er sich damals nicht versehentlich in der Tür vertan hat.

Draisine
Auf einer Draisine wird die Anreise zum Erlebnis. (Foto: Wübbel)

Buenos Aires/ Fürstenau - Seit dem 14. Jahrhundert thront das imposante Fürstenauer Schloss, die einstige Residenz des Fürstbischofs von Osnabrück auf der schönen Schlossinsel und blickt auf eine turbulente Geschichte zurück. Über die Jahrhunderte war die mächtige Festungsanlage immer wieder stark umkämpft, und fiel im dreißigjährigen Krieg sogar zeitweise an die Schweden.

Einige Zeit später jedoch verlor das Schloss Fürstenau seine Stellung als Regierungssitz und zumindest wurde es dann etwas ruhiger um die dicken Gemäuer. Zwar waren die großen Kämpfe vorbei, jedoch benötigte Fürstenau, das mittlerweile Gerichtsort geworden war, mit dem Justizsitz auch ein Amtsgefängnis. Konnte man für kleine Vergehen noch den Pranger auf dem Marktplatz, oder das kleine Gefängnis in einem der Stadttore nutzen, musste für die schweren Vergehen ein angemessenes Gefangenenhaus her.

1720 wurde somit das Amtsgefängnis, direkt neben dem Schloss auf der Schlossinsel gebaut. Und über die Jahre fand so mancher Gauner, Bankräuber, Dieb aber auch Mörder sich hinter den dicken Gittern im Schatten der Burgmauern wieder. So hatte die Strafanstalt im 18. und 19. Jahrhundert mit viel unehrenhafter Kundschaft gut zu tun und noch 1825 fand ein Pferdedieb am Galgen sein jähes Ende.

Als 1972 das Amtsgericht aus dem Ort abzog, schlossen sich damit jedoch auch endgültig die Zellentüren des kleinen Gebäudes. Hatte in dem zuletzt als Jugendarrestanstalt genutzten Gefängnis noch der ein oder andere örtliche Schlawiner hinter Gittern über seine Dummheiten nachdenken müssen, blieb das Licht in den Zellen nun erstmal aus. Die alten Gemäuer waren von nun an ihrem eigenen Schicksal überlassen, denn niemand war für die Pflege zuständig und so verfiel das historische Gefangenenhaus bei kaltem norddeutschem Wind und Wetter zunehmend.

Die Nacht in der Zelle
Die Nacht in der Zelle wird stilecht in Sträflingskleidung verbracht. (Foto: Privat)

Das kleine Amtsgefängnis neben dem hübschen Schloss, in dem mittlerweile die Stadtverwaltung und auch das Standesamt untergebracht sind, lag also in einem tiefen Dornröschenschlaf, bis sich 2015 der „Arbeitskreis Archäologie und Stadtgeschichte Fürstenau“ dem verfallenen Gemäuer annahm. Eine kleine Gruppe, bestehend aus lokalen Handwerkern, Geschichtsliebhabern und Interessierten nahm sich vor, das alte Amtsgefängnis wieder zu sanieren. Es galt Sponsoren und Förderer zu finden, so dass der gemeinnützige Verein das Gebäude wieder originalgetreu herrichten konnte. Ziel war es diesmal jedoch nicht, dort wieder die örtlichen Lümmel und Schlawiner hinter Gitter zu bringen, vielmehr sollte ein Erlebnishotel in die geschichtsträchtigen Gemäuer einziehen. In aufwändiger und liebevoller Arbeit wurde das kleine Gefängnis in weit mehr als 2000 ehrenamtlichen Arbeitsstunden originalgetreu, aber trotzdem modernen Hotelansprüchen gerecht, wieder aufgebaut. Die mittlerweile völlig morschen Böden mussten saniert werden, das undichte und stark reparaturbedürftige Dach wieder instand gesetzt, sanitäre Anlagen, Küche und einen Aufenthaltsraum eingerichtet und Abflüsse und Heizung auf Vordermann gebracht werden. Dabei galt besonders den bereits jahrhundertealten Zellentüren größte Aufmerksamkeit, um diese vorsichtig und originalgetreu zu restaurieren. Und so sind sie heute auch die heimlichen Stars des Gefängnisses und bilden die schweren und doch charmanten Eingänge zu den Zellen. Viele hineingeritzte Nachrichten sind in dem alten Holz noch deutlich zu entdecken, und lassen so manche spannende Geschichte aus vergangenen und turbulenten Zeiten erahnen, in denen so manch gelangweilter Gefangener hinter schwedischen Gardinen seine Tage zählte.

Amtsgefängnis in Fürstenau
Das Historische Amtsgefängnis in Fürstenau im Osnabrücker Land. (Foto: Privat)

Ein ambitioniertes Projekt also, das sich der Arbeitskreis vorgenommen hatte. Und doch konnten nach nur vier Jahren ehrenamtlicher Arbeit schon Pfingsten 2019 die ersten Gäste im historischen Amtsgefängnis übernachten.

Aktuell stehen sechs Zellen mit je zwei Betten für die Kurzzeit-Delinquenten bereit, aber damit noch nicht genug: Zunächst gilt es für die Gäste nämlich in die bereitgestellte Sträflingsuniform samt Kappe zu schlüpfen. Wer allerdings befürchtet nur bei Wasser und Brot in der Zelle schmoren zu müssen hat jedoch Glück: „Verhungern oder Verdursten müssen die Inhaftierten bei uns nicht“, schmunzelt der ernannte Amtsobergefängnisrat von Gottes Gnaden Werner Pries, der nicht nur Leiter, sondern auch die gute Seele des Projektes ist. Denn für einen vollen Magen sorgen die von einer örtlichen Metzgerei zusammengestellten Grillpakete namens „Flintenweib“, „Kleinganove“ oder „Schwerverbrecher“. „Aber bevor gegessen werden kann, müssen die Gefangenen ran, selber Holzhacken und das Feuer für die Grillstelle anheizen“, schmunzelt Pries, während er uns noch einen der hochprozentigen Schnäpse namens „Vollstrecker“ und „Kerkermeister“ ausschenkt. Nicht umsonst ist das Amtsgefängnis ein Erlebnishotel, denn hier ist der Gast nicht nur Zuschauer, sondern mittendrin im Geschehen.

Fürstenauer Schloss
Im Fürstenauer Schloss sind heute Standesamt und Verwaltung untergebracht. (Foto: Osnabruecker-Land.de)

Auch eine passend stilvolle Anreise hält Fürstenau für die Gefangenen auf Zeit bereit. Auf einer stillgelegten Bahnstrecke kann der kleine Ort im Hasetal nördlich von Osnabrück per seltener Fahrraddraisine erreicht werden. Ob man nun ganz romantisch zu zweit dem Städtchen entgegenstrampelt oder sich auf dem großen Modell, das auch für Clubs und Gruppen geeignet ist, abwechselt, nach einer Fahrt durch die landschaftlich wunderschöne Strecke durch dicht bewachsene Wälder und weite Felder hat man sich den gemütlichen Abschluss inklusive der Schnäpse des Amtsobergefängnisrates redlich verdient. Für den Fall der Fälle ist sogar auch ein zuschaltbarer Elektroantrieb buchbar, falls die Kräfte dann doch einmal nachlassen sollten.

Die ein oder andere ungewöhnliche Anfrage gab es in der noch kurzen Geschichte des ungewöhnlichen Hotels auch schon. So bat ein Herr darum, sich für einige Tage in eine der Zellen ganz einschließen zu lassen, was Werner Pries jedoch mit einem Schmunzeln ablehnte: „Denn das ist schließlich Freiheitsberaubung, das geht nun wirklich nicht!“ Ein frisch vermähltes Paar das seine Hochzeitsnacht im Amtsgefängnis verbracht hat, gab es in der Tat auch schon. Ob die beiden bei der Eheschließung nicht vielleicht etwas verwechselt haben, sei allerdings dahingestellt. (AT)

Zelltüren
Wenn Zelltüren erzählen könnten...(Foto: privat)

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