Von Juan E. Alemann
Die Ansteckungen mit dem Coronavirus haben stark zugenommen, und das wirkt sich direkt auf die wirtschaftliche Tätigkeit aus. Fachleute erwarten eine weitere Zunahme. Lockerungen, die schon eingeführt wurden, zum Teil mit Vorwegnahme einer Abnahme der Infektionen, werden jetzt beschränkt oder abgeschafft. Die Erwartung, dass die Impfung schnell und umfangreich vollzogen wird, ist von der harten Realität verdrängt worden, dass die Versorgung mit Impfstoffen unzureichend ist, und der Impfprozess langsam voranschreitet.
Hinzu kommen noch andere Probleme. Die phänomenale Geldschöpfung des Jahres 2020, bei der Banknoten für zusätzliche $ 3 Bio. ausgegeben wurden, um die gestiegenen Staatsausgaben zu finanzieren, lässt sich nicht weiterführen, zumindest nicht entfernt in jenem Umfang, bei dem sich die monetäre Basis (Banknoten im Umlauf plus Bankdepositen bei der ZB) in einem Jahr mehr als verdoppelt hat. Denn am Anfang hat diese monetäre Expansion eine geringe inflationäre Wirkung gehabt, weil sie den pandemiebedingten Nachfrageausfall ausgeglichen hat, und außerdem die Bevölkerung eine krisenbedingte Angst über Ausfall von Einnahmen hat, und somit die Haltung von Bargeld erhöht hat, auch wenn sie dabei einen Inflationsverlust erlitt. Doch die Haltung von Bargeld stößt an Grenzen, und dies noch mehr, wenn die Inflation zunimmt. Die Menschen neigen in Argentinien dazu, ihre Liquidität in Dollar anzulegen, so dass die Geldschöpfung schließlich den Schwarzkurs in die Höhe treibt. Eine Verringerung der Marge zwischen offiziellen und schwarzem Kurs, wie sie die Regierung anstrebt, erscheint dabei als kaum möglich. Hinzu kommt jetzt noch, dass die ZB Lelic-Titel in so hohem Umfang ausgegeben hat, dass sie an eine Grenze gelangt ist. Der Markt nimmt kaum noch viel mehr Leliq auf, und wenn, dann nur zu absurd hohen Zinsen, wobei die ZB mit dieser Verschuldung ein negatives Vermögen ausweist, was ohnehin schon ein schlechtes Zeichen ist.
Der Bundesstaat hat 2010 mit einem (richtig berechneten) Gesamtdefizit von ca. 10% des Bruttoinlandsproduktes abgeschlossen. Wie weit es verringert werden kann, sei vorerst dahingestellt. Man bemerkt keinen Willen, wirklich an das Defizitproblem heranzugehen. Auf alle Fälle wird das Gesamtdefizit 2021 (ohne kreative Buchhaltung) nicht unter 5% des BIP liegen, aber mit viel schwierigeren Umständen bei der Finanzierung. Wenn das Defizit nicht mit Unterbringung von Staatstiteln gedeckt wird, dann bleibt nur die Geldschöpfung übrig, bei der man sich zunehmende Sorgen über eine explosiv inflationäre Wirkung macht.
Die Inflation schloss das Jahr 2020 mit einer Zunahme (Dezember 2019 bis Dezember 2020) von ca. 35%. Aber die letzten Monate deuten auf eine Jahresrate von ca. 50% hin. Außerdem wurde das Ergebnis von 2020 durch die Einfrierung der Tarife von Strom, Gas, Wasser und städtischem Personentransport, plus geringe Zunahmen bei den privaten Gesundheitsdiensten, bei Telefonie und Kabelfernsehen, und durch Festsetzung von Höchstpreisen bei einer Reihe von Produkten des täglichen Bedarfs der Haushalte erreicht. Ohne all dies hätte der Index der Konsumentenpreise wohl eine Zunahme von über 50% ausgewiesen. Wenn jetzt die Tarife öffentlicher Dienste nicht erhöht werden, um die Zunahme der Kosten auszugleichen und das bestehende Defizit zu verringern, dann muss das Schatzamt mehr Mittel für Subvention der öffentlichen Dienste bereitstellen, und das bedeutet mehr Defizit. Schließlich wird das Defizit durch eine reale Abnahme der Gehälter der Staatsangestellten und der Pensionen und Hinterbliebenenrenten beschränkt.
Nicht genug mit diesen Problemen, besteht noch ein weiteres mit der Zahlungsbilanz. Die ZB hat 2020 Reserven in Höhe von u$s 5,4 Mrd. verloren, und die Nettoreserven, die bei Abzug der Scheinreserven verbleiben, sind von u$s 10,5 Mrd. auf nur u$s 1,5 Mrd. zurückgegangen. Für 2021 wird trotz des stark gestiegenen Preises für Sojabohne, und auch der höheren Preisen für Mais, Weizen u.a. Arten von Getreide und Ölsaaten, mit einem niedrigeren Exportbetrag als 2020 gerechnet. Denn die Dürre hat sich stark ausgewirkt, und der Regen der letzten Tage, der den größten Teil der feuchten Pampa-Gegend umfasst, hat nur verhindert, dass es noch schlimmer kommt. Bei anderen Exporten wird bestenfalls eine bescheidene Zunahme erwartet.
Da Argentinien mit sehr beschränkten Auslandskrediten rechnen kann, und die Regierung sich auch kaum bemüht, mehr zu erhalten (was zunächst eine ganz andere Außenpolitik erfordert), führt die beschriebene Lage zu einer zunehmenden Verhärtung der Importbeschränkungen. In einigen Fällen geschieht bei diesem Importausfall nicht viel, in anderen begünstigt dies lokale Fabrikanten, die mit importierten Produkten konkurrieren, aber allgemein werden dabei Produktionsprozesse unterbrochen, bei denen importierte Teile einem lokal erzeugten Endprodukt eingegliedert werden. Diese importierten Teile durch lokal gefertigte zu ersetzen ist in einigen Fällen möglich, meistens mit einem Qualitätsverlust und zu höheren Preisen, aber in anderen eben nicht, weil es keine Fabrikanten gibt, oder weil sie nicht über die notwendige Technologie verfügen. Produktionsminister Kulfas bemüht sich seit Monaten schon, den importierten Anteil an Fertigprodukten zu verringern, bisher mit bescheidenem Erfolg. Unter dem Druck der zunehmenden Exportsperre dürfte er wohl mehr erreichen. Durch Importsubstitution wird die Konjunktur unmittelbar angeregt, auch wenn dies langfristig fragwürdig ist.
In diesem Krisenszenarium gibt es mehrere positive Aspekte. Einmal haben sich die Menschen und die Unternehmer der Lage angepasst und sie zum Teil in ihre “Normalität” eingegliedert. Fernarbeit von Haus aus gehört immer mehr zum normalen Arbeitsprozess, wobei Unternehmen schon in diesem Sinn gehandelt haben und Büroräume aufgegeben haben. Gleichzeitig wurde auch der Handel über Internet und Delivery stark ausgebaut und zunehmend als Teil der normalen Tätigkeit betrachtet. Bei diesem massiven Übergang auf Informatiktechnologie werden Kosten gespart, und das erleichtert die Überwindung der Krisenlage und schafft eine Voraussetzung für zukünftiges Wachstum.
Ebenfalls dient die Erfahrung mit Pandemie, Quarantäne und allerlei Beschränkungen des normalen Lebens dazu, sich der Lage anzupassen und eine neue Normalität zu schaffen. Auch wenn jetzt wieder eine Quarantäne wie die vom 20. März bis Ende April 2020 eingeführt würde, würden die Menschen anders vorgehen, so dass es nicht zum Stillstand von damals kommen würde.
Die Regierung ist sich bewusst, dass die Beendigung der sozialen Programme ATP (Lohnsubvention) und IFE (Zahlung von $ 10.000 pro Monat an Bezieher des Kindergeldes, ein soziales Problem schafft und sich negativ auf die Konjunktur auswirkt. Deshalb soll das RIPTE-Programm erweitert werden, das in der Subvention für Arbeitnehmer besteht, die zeitweilig nicht arbeiten. Auch an anderen Arbeitsprogrammen wird gearbeitet, und die Nahrungsmittelprogramme AlimentAr und die direkte Vergabe von Nahrungsmittel an Anstalten, die eine unentgeltliche Mahlzeit bieten, sollen unbeschränkt weitergeführt werden.
Die Regierung überlegt sich, welche weitere Maßnahmen sie treffen kann, um Krisensituationen zu mildern. Die AFIP wird voraussichtlich nicht sofort gegen Schuldner von Steuern und Sozialabgaben vorgehen, und die Banken, vor allem die staatlichen, werden sich gezwungen sehen, die Fristen für die Zahlung von gewährten Krediten hinauszuschieben. In beiden Fällen, AFIP und Banken, sollten schon bestimmte Normen sofort erlassen werden, um die Unternehmer zu beruhigen. Bei der AFIP sollte eine formelle Wartefrist bei Zahlungsverzug eingeführt werden, und dann die Pfändungen auf das Anlagevermögen beschränkt werden, so dass sie Unternehmen weiter tätig sein können. Die Tatsache, dass wir vor einem weiteren Krisenjahr stehen, bei dem bestenfalls die Hälfte des BIP-Verlustes von 2020 aufgeholt wird, aber die Arbeitslosigkeit viel höher als im Vorjahr verbleiben wird, sollte von vornherein die Wirtschaftspolitik prägen.
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