Ein (noch) unentdecktes Paradies / Ein Erfahrungsbericht
Von Maja Dimitroff
Montevideo/Berlin - Vor 20 Jahren führte mich mein Schicksal unverhofft in ein damals in Deutschland noch unbekanntes Paradies: in das kleine Land mit dem etwas merkwürdigen und fast unaussprechlichen Namen Uruguay. Damals - zarte 16 Jahre alt - traute ich mich - ohne auch nur ein Wort Spanisch zu sprechen - ein Jahr lang nach Südamerika. Als ich von meiner damaligen Austauschorganisation erfahren hatte, dass sie mich nach Uruguay schicken würden, brach für mich erstmal für einen kurzen Moment die Welt zusammen - denn ich wollte doch eigentlich nach Argentinien! Von Uruguay hatte ich - ehrlich gesagt - noch nie zuvor gehört - außer, dass es 1930 das erste Land war, dass die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hatte. Doch glücklicherweise stellte sich heraus, dass das Schicksal es wahrhaftig gut mit mir meinte: Es war und ist rückblickend schlichtweg das Beste, was mir jemals passieren konnte! Ich habe mich während meines Austauschjahres in das zauberhafte, friedvolle und magische Land regelrecht verliebt. Vor allem aber in seine charmanten, redelustigen und authentischen Landsleute und in seine Kultur, die der Argentiniens mit dem Tango, dem Mate, dem asado und den gauchos - zumindest auf den ersten Blick - gleicht.
Ökotourismus-Initiative „Uruguay natural“
Ich blieb bis heute mit meiner „großen Liebe“ in Kontakt und versuche, alle zwei bis drei Jahre „heimzukommen“, um meine Gastfamilie und Freunde zu besuchen. Die Zeit scheint in Uruguay teilweise wie in einem Märchen einfach stehen geblieben zu sein. Doch 2018 mauserte sich Uruguay zu den Top Ten-Reisezielen des Lonely Planets: Als ich diese Neuigkeit las, war ich im ersten Moment überglücklich, denn dieses Land ist eine Perle und hat einen wachsenden Tourismus allemal verdient. Gleichzeitig wurde mir in diesem Moment aber auch klar: Nun ist vorbei mit „meinem“ Geheimtipp Uruguay! Es ist so wie vieles ein zweischneidiges Schwert. Es macht mich glücklich, wenn ich anderen das Magische an Uruguay nahebringen kann: den grünen subtropischen Vegetations-Mix, die Luft, die so charakteristisch nach Eukalyptus riecht und sanft deine Haut umspielt, das unbändige Gefühl der Freiheit, die sich in einer permanenten Weite aus Gras, Strand und einem unendlichen blauen Horizont widerspiegelt. Nicht zu vergessen: die Vielseitigkeit der Strände Uruguays. Mal einfach nur rau, mal mit Wald wie in der Bretagne, mal mit Strandpromenade, mal mit hohen Wellen als Surfer-Paradies, mal mit Hippie-, mal mit Seelöwen-Kolonien, mal mit Walen, mal mit riesigen Wanderdünen, auf jeden Fall immer mit unvergleichlichen, intensiven Sonnenuntergängen - und das nicht nur von der bizarren Künstlervilla Casapueblo aus mit dem einzigartigen Hörerlebnis der Ode an die Sonne.
2006 wurde vom uruguayischen Staat eine große Ökotourismus-Initiative namens „Uruguay natural“ gestartet, welche auf die natürliche Schönheit des Landes setzte und versuchte als eines der ersten Länder Lateinamerikas Nachhaltigkeit und Tourismus gezielt miteinander zu verbinden. Es funktionierte: Langsam, aber stetig besuchten immer mehr Touristen das Land. Es blieb nicht aus, touristische Zentren zu verschönern und so kamen auch die verlassenen Ruinen und Kolonialgebäude der malerischen Altstadt von Montevideo in den Genuss, mit neuen Fassaden versehen zu werden. Wie so überall auf der Welt setzte dort ein Prozess der Gentrifizierung ein: die bis dato so gefährliche Altstadt wurde zum neuen Hotspot des Nachtlebens, es entstanden neue Museen und die Touristenpolizei verwandelte den Ort in eine sichere Blase für Touristen.
„Todo cambia“: Digitaler Vorreiter Südamerikas
20 Jahre später hat sich Uruguay stark verändert und ist mit der Zeit gegangen: Die in Europa so stark verbreiteten walking tours sind mittlerweile sogar hier salonfähig, Hipster-Cafés und Hipster-Öko-Märkte, fancy stores und teure Fusion-Restaurants schießen nicht nur in der Altstadt von Montevideo wie Pilze aus dem Boden, Hipster-Touristen sitzen mit ihren Laptops in den Free-Wifi-Zones der Altstadt, es gibt immer mehr Trendsetter-Websites über Uruguay, selbst das Parkplatz-Ticket wird heutzutage digital bezahlt, die Altstadt besteht zunehmend mehr aus Cannabis-Cafés. Manchmal fühlt es sich für mich gerade in puncto Digitalisierung in Uruguay mit seinem Free Wifi an allen Terminals, Plätzen, Cafés der Stadt und sogar in den Überlandbussen moderner an als in Deutschland. Doch die Öko-Kampagne war ein durchdachtes Vorzeigebeispiel, das mit Sicherheit dazu geführt hat, dass das Land einen Großteil seiner Authentizität beibehalten konnte. Ich bin hin- und hergerissen: Auf der einen Seite möchte ich, dass die ganze Welt meinen Geheimtipp Uruguay, diese wunderschöne kleine Welt kennenlernt, auf der anderen Seite möchte ich meine morbiden Ruinen in Montevideo und den damit verbundenen Charme nicht verlieren. Noch bin ich froh, sagen zu können: In Uruguay ist es noch nicht so wie auf Kuba. Der Charme ist trotz der Touristen und großen Kreuzfahrtschiffe immer noch da - man muss nur mehr als zuvor danach „suchen“. Für mich wird Uruguay immer meine zweite Heimat bleiben. Vamos arriba Uruguay!
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