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Ungeschönt wie das Leben

Im Gespräch mit Regisseurin Anne Zohra Berrached

Von Catharina Luisa Deege

Julia Jentsch
Julia Jentsch in „24 Wochen“. (Foto: Friede Clausz/zero one film GmbH)

Buenos Aires (AT) - Anne Zohra Berrached provoziert, und zwar über die Leinwand. Mal thematisiert sie in ihren Filmen Abtreibung, begleitet ein lesbisches Paar bei dem Kampf um eine Samenspende und zeigt, dass auch ein Terrorist lieben kann. Das alles rein fiktiv, und trotzdem erschreckend authentisch. Das Argentinische Tageblatt durfte mit der 39-jährigen Regisseurin über ihren Hang zu kontroversen Tragödien, Sex im Film und stolze Libanesen plaudern.


„Sie haben mein Kind abgetrieben“

Die Halbalgerierin hatte mit dem Konzept Kino bis zum Ende ihrer 20er eigentlich recht wenig am Hut. Trotzdem drehte sie zu dem Zeitpunkt einen Kurzfilm, der ihr den Weg zum Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg bereiten sollte. „Ich war kein Filmfan, sondern habe das nur aus dem Bauch heraus gemacht, weil ich das Thema erzählen wollte“, so Berrached über ihren Dokumentarfilm „Pausenclown“, in dem es um ihren libanesischen Nachbarn geht. Etwa ein Jahrzehnt später hat sie sechs Langfilme abgedreht, einer davon mitreißender als der andere. Ihren Namen hat sie sich in der deutschen Filmlandschaft längst gemacht; vor allem seit der Premiere ihres Dramas „24 Wochen“ auf der Berlinale 2016.

Doch gerade dort sollte der Film über eine Komödiantin, die das Pro und Contra einer Abtreibung ihres mit dem Down-Syndrom diagnostizierten Fötus abwägt, für ordentlich Furore. Berrached erinnert sich: „Wir sind nach der Vorstellung auf die Bühne, so ganz stolz, das Team und ich. Und dann schrie jemand im Publikum: ‚In diesem Film haben Sie mein Kind abgetrieben, mein Kind hat Down-Syndrom - wie konnten Sie das nur tun?‘“ Die Regisseurin, die zusammen mit Carl Gerber das Drehbuch zu „24 Wochen“ verfasste, erzählt weiter, dass sich zu der Frau aus dem Publikum noch weitere Stimmen gesellten und eine regelrechte Diskussion losbrach: „Es hat polarisiert und am Ende ist das ja das, was man will. Ich war total darauf vorbereitet und fand‘s auch irgendwie gut.“

Anne Zohra Berrached
Regisseurin Anne Zohra Berrached. (Foto: Kev Smith)

Schon bevor der mit Julia Jentsch (Astrid) und Bjarne Mädel (Markus) besetzte Spielfilm überhaupt gedreht wurde, bekam die in Erfurt geborene Künstlerin Gegenwind. Ein Film, der eine Abtreibung thematisiert, die auf legale Weise und in einem hohen Schwangerschaftsmonat stattfinden soll? Für sämtliche Filmförderer unvorstellbar. Gerade aufgrund der sensiblen Thematik verstand es Berrached als ihre Aufgabe, den Film für jeden verständlich zu machen; er sollte Abtreibungsgegner sowie Befürworter des Schwangerschaftsabbruchs ansprechen. „Ich wollte immer, dass man - auch wenn man nicht die Haltung der Hauptfigur hat - sie trotzdem fühlt und empathisch mit ihr mitgeht; dass man sie nicht verliert während des Films“, so Berrached. Dafür wurde einiges getan: Von der Kameraführung über den Schnitt, Julia Jentsch‘s einfühlsames Schauspiel und Blicke in die Kamera, die den Zuschauenden immer wieder adressieren: Was würdest du tun?

Der Schlüssel zur Glaubwürdigkeit

Eins fällt in Berracheds Dramen besonders auf: Sie wirken pur und ungeschönt. Es fühlt sich an, als würde man sich mitten im Konflikt der Protagonisten befinden. Während der Recherchezeit zu „24 Wochen“ sprach Anne Zohra Berrached so ausführlich mit Ärzten und Krankenschwestern, dass sie letztendlich davon überzeugt war, genau diese Menschen in den Film holen zu müssen. Gerne ohne Schauspielerfahrung, dafür aber ohne Angst vor großen Filmkameras. „Das klinische Personal sind reale Ärzte und Schwestern. Die sind wirklich sie selber und machen das, was sie immer machen“, so die Regisseurin.

Auch in „Die Welt wird eine andere sein“ (Internationaler Titel: Copilot), dem jüngsten Werk der Filmemacherin, wurden bei dem Cast eher auf überzeugende Persönlichkeiten als glatte Schauspieltechniken Wert gelegt: „Copilot ist so unheimlich natürlich, auch weil die beiden keine groß ausgebildeten Schauspieler sind. Die haben kein Sprachtraining bekommen, das merkt man irgendwie“, so Berrached. „Die wissen mal nicht, wie man etwas sagt, da nuschelt mal einer. Das ist nochmal ein Schritt mehr ins fast Dokumentarische.“

In dem knapp zweistündigen Drama geht es um Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar). Sie ist eine deutschtürkische Medizinstudentin, er Libanese mit einer Faszination für Flugzeuge. Die beiden jungen Erwachsenen lernen sich Ende der 90er-Jahre in Deutschland kennen und lieben, jedoch stellt Saeeds zunehmende religiöse Radikalisierung die Beziehung auf eine harte Probe. Was Asli bis dahin noch nicht weiß: Saeed würde die Welt verändern - und zwar auf grauenhafte Art und Weise.

Eine etwas andere Liebesgeschichte

Der Zugriff auf die Polizeiakten der Witwe Ziad Jarrahs, einem der Selbstmordattentäter des 9. Septembers 2001, gab den Startschuss für das filmische Porträt dieser bitteren Liebesgeschichte. Beim Durchforsten des Materials standen für Anne Berrached immer mehr Fragen im Raum: Was macht das mit einem, wenn so eine große Katastrophe passiert? Wie fühlt sich diese Frau, wenn sie daran zurückdenkt? Hätte sie ihn aufhalten können? Verheimlicht sie der Polizei etwas?

Durch das dieses Jahr erschienene Drama „Die Welt wird eine andere sein“ erzählt die Regisseurin ihre eigene Interpretationen der aus den Polizeiakten entnommenen Aussagen. „Wir sind sehr korrekt mit wichtigen Ereignissen, die man in diesen 5 Jahren sieht, aber wie es genau war, kann ich nicht sagen“, so Berrached. Fakt ist, dass die Witwe von Ziad Jarrah freigesprochen wurde.

Berracheds Drama ist jedoch kein Film über einen kaltblütigen Terroristen - ganz im Gegenteil: „Dieser Mörder, der so viele Menschen umgebracht hat, der dafür gesorgt hat, dass der Begriff des Terrors ein anderer wird auf der ganzen Welt, dass ich jetzt sage als Regisseurin, dass man den mögen darf, ist auch provokant.“ Menschen seien nicht eindimensional. Sie erschaffe lieber Figuren, die vielschichtig sind; so wie wir selbst. Anne Zohra Berrached entschuldigt die Tat des Attentäters nicht. Doch aufgrund der Entscheidung, den Film aus den Augen seiner Freundin - und späteren Ehefrau - zu erzählen, sei es unabdingbar, eben auch seine sympathischen, liebenswürdigen Seiten aufzuzeigen. „Ich glaube, dass es Menschen gibt, die ganz schlimme Dinge tun. Aber die sind eben nicht in allen Bereichen böse.“

Wie sich die emotionale Beziehung zwischen Asli und Saeed über die Zeit hinweg verändert, wird besonders gut in Szenen der körperlichen Nähe, beziehungsweise Distanz ersichtlich. Auch in „24 Wochen“ scheut die Regisseurin nicht davor, Sexszenen in den Filmfluss einzufädeln. „Meine Themen handeln halt ganz viel von zwischenmenschlichen Beziehungen, und zu einer Liebesbeziehung gehört Sex.“ Über Sex werde viel verhandelt. „Und ich finde es immer ein bisschen lustig, wenn Sex so weg geblendet wird“, erzählt Berrached. „Ich versuche, das nicht irgendwie anders wirken zu lassen als alles andere.“

„Wie die Pariser in Europa“

Gedreht wurde „Die Welt wird eine andere sein“ in Deutschland, Miami Beach und im Libanon - mit libanesischen Darstellerinnen und Schauspielern. „Weil ich eben diesen Film gemacht habe, war ich auch sehr viel im Libanon und mittlerweile weiß ich ziemlich genau, wenn ein Araber vor mir steht, ob das ein Libanese ist. Die haben einfach so einen Stolz, wie die Pariser in Europa“, erzählt die Filmemacherin mit einem Schmunzeln.

Auch Anne Zohra Berrached versprüht ein angenehmes Selbstbewusstsein. Die studierte Sozialpädagogin weiß ganz genau, wovon sie redet. Es ist spannend, ihr zuzuhören, wenn sie über die Motivation hinter ihren Werken redet. Nachdem „Die Welt wird eine andere sein“ auf dem diesjährigen Festival de Cine Alemán und „24 Wochen“ auf der Streamingplattform des Goethe-Insituts liefen, hat man sich hoffentlich bereits einen Eindruck dieser verschaffen können. Ansonsten heißt es: Abwarten, bis die Filme erneut für die Öffentlichkeit zugänglich sind und Tee trinken. Es lohnt sich.

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