Von Juan E. Alemann
Das Problem der Stromtarife und der Energiepolitik allgemein ist in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion gerückt, weil es ohne Erhöhung der Tarife auch kein Abkommen mit dem IWF geben kann, und ohne dies, die argentinische Krise keine Lösung hat. Der Fall ist mit der Zunahme der Tarife um 9% bei weitem nicht gelöst. Die Diskussion hat erst begonnen.
Das argentinische Energieinstitut General Mosconi hat eine Studie bekanntgegeben, die die Energieexperten Alejandro Einstoss und Julián Rojo durchgeführt haben, die sich besonders auf die Subventionen konzentriert, die der Bundesstaat für den Energiebereich bestimmt. Im Jahr 2020 erreichten diese Subventionen insgesamt umgerechnet u$s 6,7 Mrd., und dieses Jahr steigt der Betrag, sofern die bestehende Energiepolitik weitergeführt und keine drastischen Maßnahmen ergriffen werden, auf etwa u$s 10 Mrd. Das ist unvereinbar mit der Notwendigkeit, das primäre Defizit der Staatsfinanzen stark zu verringern, umso mehr, als die pandemiebedingten Subventionen weiter hoch bleiben, wenngleich nicht auf dem Niveau des Vorjahres. Die Studie weist darauf hin, dass im letzten Jahrzehnt über u$s 100 Mrd. für Energiesubventionen aufgewendet wurden.
Von den gesamten Energiesubventionen dieses Jahres entfallen ca. 75% auf elektrischen Strom. Der Konsument bezahlt jetzt 32% der Stromkosten, 2019 waren es etwa zwei Drittel. Doch hier wird nicht erwähnt, dass die Marge, die den Betreibern der Kraftwerke, des Ferntransports und der Stromverteilung gestattet wird, nicht die vollen Kosten deckt, so dass an Instandhaltung gespart wird, was gelegentlich zu Pannen führt, besonders wenn sich die Wirtschaft erholt und die Stromnachfrage zunimmt. Bei Berücksichtigung dieser Kosten müsste die Subvention noch höher sein. Die Betreiber der Unternehmen der Stromwirtschaft weisen keine echten Gewinne auf, oft hingegen Verluste. Wenn die Bilanzen gelegentlich Gewinne ausweisen, so sind es reine Buchgewinne, die auf alle Fälle nicht in Form von Dividenden verteilt werden können. Das bedeutet, dass kein zusätzliches privates Kapital in diesen Bereich investiert wird. Investitionen im Energiebereich, die das Wirtschaftswachstum begleiten, müssen somit vom Staat oder durch Kredite internationaler Finanzanstalten finanziert werden.
Unter der Menem-Regierung wurden die Wärmekraftwerke der Bundeshauptstadt, auch andere, die Wasserkraftwerke in Neuquén, die Fernleitungen und das Verteilungssystem in der Bundeshauptstadt und Umgebung privatisiert. Es entstanden auch andere Energieunternehmen, die Kraftwerke betrieben, wie Pampa Energía von Marcelo Mindlin u.a. Die Menem-Privatisierungen führten zu einem notorischen Effizienzsprung: in den Wärmekraftwerken wurde der kombinierte Zyklus eingeführt, bei dem mit dem gleichen Brennstoffeinsatz mehr Strom erzeugt wird, beim Verteilungssystem wurde eine systematische Instandhaltung eingeführt, so dass die Zahl und Dauer der Stromausfälle auf einen Bruchteil zurückging, und allgemein gab es technologische Fortschritte, und eine viel rationellere Betreibung, die die Produktivität spürbar erhöhte. Ohne die von den Kirchners verpönten Privatisierungen müsste der Staat noch mehr Geld zum Stromsystem beitragen. Doch damit die privaten Betreiber weiter investieren, an erster Stelle in kleineren Investitionen, die kostensenkend wirken, müsste eine legale Rahmenordnung eingeführt werden, die den Unternehmern auch erlaubt, einen Gewinn zu erhalten. Denn ohne Gewinnaussicht kann ein Privatunternehmen keine Mittel für die Finanzierung von Investitionen auftreiben. Dennoch gibt es private Betreiber von Kraftwerken, die in den letzten Jahren viel investiert haben, besonders in Windkraftanlagen. Doch hier erhielten sie einen höheren Tarif zugesichert. Und in anderen Fällen profitieren sie von höheren Stromtarifen in den Provinzen.
Die Wasserkraftwerke Yacyretá, Salto Grande u.a., und auch zahlreiche Wärmekraftwerke, die von Provinzen verwaltet werden, sind alle staatlich. Aber die starke Präsenz privater Unternehmen in diesem Bereich hat auch einen Demonstrationseffekt auf die staatlich betriebenen Werke.
Die Bundeshauptstadt und Umgebung, die von den Verteilungsunternehmen Edesur und Edenor bedient werden, erhält den Löwenanteil der Subventionen. Im Landesinneren liegen die Tarife viel höher. Es ist paradox, dass die Bundeshauptstadt, mit dem höchsten Einkommen pro Kopf, stark subventioniert wird, und Provinzen mit einem viel niedrigeren Einkommen pro Kopf kaum.
Ein niedriger Stromtarif führt dazu, dass der Konsum nicht sparsam erfolgt. Luftkühlapparate werden auch dort eingesetzt, wo sich niemand aufhält, und die Temperatur wird zu niedrig eingestellt. Auch werden alte Eisschränke nicht durch neue ersetzt, die viel weniger Strom verbrauchen. Ein höherer Stromkonsum erfordert hohe Investitionen, für die keine ausreichende Finanzierung in Aussicht steht. Ein sparsamerer Konsum entschärft das Problem.
Bei Unternehmen lohnen sich bei niedrigem Stromtarif Investitionen nicht, um Strom zu sparen. In diesem Sinn sollten, wie in Deutschland u.a. Ländern, Unternehmen mit einem niedrigeren Tarif belohnt werden, die in Spitzenzeiten ihren Strombedarf mit eigenen Generatoren decken. Zu diesem Zweck werden kleine Anlagen eingesetzt, die eine hohe Leistung haben, aber auch einen hohen Verschleiß, so dass sie bei ständigem Einsatz unwirtschaftlich werden.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán ist sich der Tatsache bewusst, dass die hohen Subventionen, die mit dem bestehenden Stromtarif einhergehen, untragbar sind. Er wollte eine Erhöhung von 30% durchsetzen, eventuell in zwei Stufen von je 15%. Aber Cristina beschloss, dass es nur 9% seien, ohne dies zu begründen, und dabei blieb es. Guzmán gab jedoch nicht auf. Er erklärte zunächst, dass die Subvention zum großen (größten?) Teil an wohlhabende Familien ginge. Angeblich befassen sich Mitarbeiter von ihm mit dem Problem, das sich bei einer differenzierten Gestaltung der Tarife ergibt, aber nicht Energiesekretär Darío Martínez und Unterstaatssekretär Federico Basualdo, die vom Minister abhängen. Das ist einfach absurd, da dies ihre spezifische Aufgabe ist.
Das bestehende System enthält bei Haushalten schon eine progressive Skala für höheren Konsum, Dieser hängt grundsätzlich von Luftkühlgeräten ab, aber auch von größeren Wohnungen. Aber in einigen Fällen wird mehr konsumiert, weil es sich um größere Familien handelt, die ein niedriges Einkommen haben. Prinzipiell sollte die Progressivität verschärft werden, und Familien mit niedrigem Einkommen, die dabei auch betroffen werden, eine Ausnahme gestatten. Das ist kompliziert zu verwalten, aber gewiss nicht unmöglich.
Hier kam auch der Gedanke auf, den Stromtarif im Verhältnis zum Einkommen zu setzen. Das ist jedoch in der Praxis kaum möglich, allein schon wegen der bürokratischen Arbeit, die so etwas erfordert. Es kam auch der Gedanke auf, den Stromtarif für Haushalte je nach Gegend zu differenzieren. Aber auch das ist schwierig, weil oft in einer Gegend mit wohlhabenden Bewohnern, die in schönen Häusern oder großen Appartements wohnen, auch ärmere Familien wohnen. Doch wenn diese Fälle Ausnahmen sind, kann man sie als solche einzelnen behandeln.
Die Energiesubventionen umfassen nicht nur Strom, sondern auch Gas. Hier steht Argentinien vor einem Problem: das Schiefergaslager Vaca Muerta enthält viel Gas, so dass der Konsum auf Jahrzehnte hinaus gedeckt ist und auch exportiert werden kann. Aber die Kosten sind wesentlich höher als bei den konventionellen Lagern, die sich nach und nach erschöpfen. Loma de la Lata, das 1977 entdeckt wurde, vermittelte die Illusion, dass es Gas im Überfluss auf Jahrzehnte hinaus gibt. Doch in den letzten Jahren neigt die Förderung auch dort zu einer spürbaren Abnahme. Wenn das lokal erzeugte Gas nicht ausreicht, um den Konsum zu decken, dann muss Gas importiert werden. Gas aus Bolivien ist teurer als das lokal geförderte, aber die Differenz ist tragbar. Hingegen ist das verflüssigte Gas, das per Schiff importiert wird, unverhältnismäßig teurer. Es ist somit auf alle Fälle billiger, den lokalen Gasproduzenten einen Preis zu zahlen, der sie zu Investitionen und höherer Förderung anregt, als Gas zu importieren. Das hat die Regierung zu spät erkannt, so dass diesen Winter wieder verflüssigtes Gas importiert werden muss. Der Gasplan, der den Unternehmen jetzt angemessene Preise sichert, wirkt sich erst später aus. Doch ein relativ hoher Gaspreis überträgt sich dann auf den Strom, da die Wärmekraftwerke mit Gas betrieben werden. Entweder wird der Gaspreis subventioniert, oder die Subvention für die Wärmekraftwerke muss erhöht werden.
Das Problem der Stromwirtschaft und des Stromtarifes ist so komplex, dass es viel intelligente Arbeit erfordert, um optimal gelöst zu werden. Die Energiepolitik sollte nicht der Wahlpolitik unterstellt werden, und auch nicht von Personen gestaltet werden, die keine blasse Ahnung von Energie haben. Argentinien verfügt über mehrere gute Energieexperten, u.a. die Gruppe ehemaliger Energiesekretäre, die sich seit über einem Jahrzehnt mit dieser Problematik befassen. Und dann befasst sich das Institut Mosconi, geleitet vom ehemaligen Energiesekretär Jorge Lapeña, intensiv mit dem Thema. Es ist einfach unverantwortlich, wenn diejenigen, die das Problem eingehend studiert haben, nicht zu Rate gezogen werden. Eine rationelle Energiepolitik ist ein wesentlicher Bestandsteil einer Wachstumspolitik.
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