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Taliban auf dem Vormarsch

Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt

Kundus
Als Deutschland noch Flagge zeigte: Bundeswehrstellung bei Kundus (2011). (Foto: dpa)

Berlin/Kabul/Washington (dpa) - Wegen der dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan schiebt Deutschland vorerst keine abgelehnten Asylbewerber mehr dorthin ab. Ein Rechtsstaat trage Verantwortung dafür, dass die Betroffenen durch eine Abschiebung nicht in Gefahr gerieten, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch zur Begründung. „Die Sicherheitslage vor Ort ändert sich derzeit so rasant, dass wir dieser Verantwortung weder für die Rückzuführenden, noch für die Begleitkräfte und die Flugzeugbesatzung gerecht werden können.“ Eine in der vergangenen Woche verschobene Abschiebung von sechs Afghanen wird zunächst nicht nachgeholt.

Damit zieht die Bundesregierung erste Konsequenzen aus dem Vormarsch der militant-islamistischen Taliban, die seit der Entscheidung über den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan Mitte April große Teile des Landes erobert haben. Am Mittwoch nahmen sie mit Faisabad eine weitere Provinzhauptstadt ein, in der einst die Bundeswehr mit einem großen Feldlager stationiert war. In Kundus brachten sie den Flughafen und eine große Militärbasis unter ihre Kontrolle, in der vergangenes Jahr noch rund hundert deutsche Soldaten stationiert waren.

Der Druck auf die Bundesregierung, die Abschiebepraxis zu ändern, war angesichts der dramatischen Entwicklung in den vergangenen Tagen massiv gewachsen. Erst am Dienstag hatten sich die in Kabul vertretenen EU-Botschafter in einem internen Schreiben an die Hauptstädte für einen Abschiebestopp ausgesprochen. Auch 26 Organisationen, darunter Amnesty International, Pro Asyl, Caritas und die Diakonie plädierten in einer gemeinsamen Erklärung eindringlich dafür. Die afghanische Regierung hatte schon vor längerer Zeit um einen Abschiebestopp gebeten. Seit 2016 sind mehr als 1000 Migranten mit Abschiebeflügen nach Afghanistan zurückgebracht worden, überwiegend Straftäter.

Die US-Geheimdienste rechnen einem Medienbericht zufolge damit, dass auch die Hauptstadt Kabul viel früher in die Hände der Taliban fallen könnte als bisher angenommen. Der Zusammenbruch könnte in 30 bis 90 Tagen erfolgen, berichtete die „Washington Post“ unter Berufung auf nicht genannte Quellen in den US-Geheimdiensten. Noch im Juni hatten US-Geheimdienstmitarbeiter die Lage so eingeschätzt, dass Kabul in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten nach dem Abzug des US-Militärs unter Kontrolle der Taliban geraten könnte.

Die USA und ihre Verbündeten wollen trotz der Entwicklung nichts mehr an ihrem schon weitgehend abgeschlossenen Abzug aus Afghanistan ändern. Die Afghanen müssten nun „selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen“, sagte US-Präsident Joe Biden. „Aber sie müssen auch kämpfen wollen.“ Zum US-Truppenabzug sagte der Präsident: „Ich bedauere meine Entscheidung nicht.“


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