Wie Unfälle die Wissenschaft voranbringen können
Berlin (dpa/wvg) - Der Unfall geschah am 10. Januar 1992, im Nordpazifischen Ozean. Ein Containerschiff, das von Hongkong aus mit Kurs auf die USA unterwegs war, geriet in einen schweren Sturm. Mehrere Container gingen über Bord. Mindestens einer von ihnen öffnete sich und goss seine Ladung ins Meer: Badewannen-Tiere aus Plastik. Quietscheenten, Biber, Schildkröten und Frösche, 29.000 an der Zahl.
An dieser Stelle könnte die Erzählung zu Ende sein, doch das eigentlich Interessante fängt hier erst an: Die Badetierchen gingen getrieben von Wind und Strömungen auf Reise, wurden an Küsten angespült, von Strandspaziergängern gesammelt und so schließlich zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Denn aus den Fundorten der Badetiere ließen sich ihre Reiserouten und -zeiten rekonstruieren - und damit auch zahlreiche Erkenntnisse über Strömungsverhältnisse in den Ozeanen gewinnen.
Gesammelt hat die Informationen vor allem der US-amerikanische Ozeanograph Curtis Ebbesmeyer, heute im Ruhestand. Er begründete ein Netzwerk von Strandgutsammlern, die ihm entsprechende Funde meldeten. Nach dem Badeenten-Unfall erreichten ihn erneut Berichte von Strandgutsammlern über Funde der Plastiktierchen. Deren Herkunft ließ sich über eine Prägung des Herstellers nachweisen.
„Der Unfall mit den Badetieren brachte der Forschung einen wahren Datenschatz“, sagt Johanna Baehr, Ozeanographin an der Universität Hamburg. „Auf einen Schlag gab es tausende Datenpunkte - so viele wissenschaftliche Messgeräte würden wir sonst nicht einfach auf einmal aussetzen.“
Grundsätzlich ist die Idee, Meeresströmungen mit Hilfe schwimmender Messgeräte zu erforschen, nicht neu, im Gegenteil. „Der Einsatz von sogenannten Driftern ist eine der ältesten Methoden der Meeresforschung überhaupt“, erzählt der Ozeanograph Jörg-Olaf Wolff von der Universität Oldenburg.
Heute setzen Forschende viel präzisere Messgeräte ein, die mit GPS ausgestattet sind und Daten wie Temperatur, Salzgehalt des Wassers oder Luftdruck erfassen und an Satelliten funken können. Im Vergleich dazu lieferten Drifter wie die Badetiere zwar nur sehr ungenaue Daten. „Aber das ist besser als nichts, vor allem weil die Daten umsonst generiert wurden.“
Wohin reisten die Gummi-Tierchen nun? Die Analyse der Funddaten ergab, dass sie zunächst in der Ringströmung des Nordpazifiks gegen den Uhrzeigersinn kreisten. „Zu den spannendsten Erkenntnissen gehört vielleicht, dass die Badetiere vom Pazifik in den Nordatlantik getrieben sind“, sagt Baehr. „Das haben entsprechende Modelle zwar vorhergesagt, aber die Tiere haben belegt: Das kann wirklich passieren.“ Tatsächlich fanden sich Exemplare Anfang der 2000er Jahre an der Ostküste der USA sowie in Schottland und England. Sie waren durch die Beringstraße nordwärts ins Nordpolarmeer bis nach Grönland in den Nordatlantik gedriftet - ob eingefroren im Packeis oder oben auf den Eisschollen sitzend, ist offen. „Diese Route war eine interessante Bestätigung, dass es dort eine Oberflächenströmung gibt, die eine solche Strecke zurücklegt“, sagt Wolff.
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