Von Juan E. Alemann
Die Stiftung Mediterránea weist in einer Studie darauf hin, dass Argentinien in Bezug auf den effektiven Steuerdruck (Gesamte nationale und provinzielle Steuereinnahmen, plus Gemeindegebühren, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) in Argentinien auf Platz fünf von sieben Ländern steht. An erster Stelle steht Italien mit 42,5% des Bruttoinlandsproduktes, gefolgt von Spanien mit 34,7%, Brasilien mit 33,1%, Australien mit 28,7% und Argentinien mit 27,7%. Es folgen die Vereinigten Staaten mit 24,5% und Chile mit 20,7%. Doch wenn man den legalen Steuerdruck nimmt, der sich ergibt, wenn man davon ausgeht, dass es keine Hinterziehung gibt, dann steht Brasilien mit 50,8% an erster Stelle, gefolgt von Argentinien und Italien mit je 48%, Spanien mit 40,7%, USA mit 37%, Chile mit 34,3% und Australien mit 19,1%.
Der Ökonom Eugenio Mari, von der Stiftung “Libertad y Progreso” weist darauf hin, dass der Steuerdruck nach seiner Berechnung auf 45% des BIP steigt, wenn alle ihre Steuern richtig zahlen würden. Wenn wird von dieser Zahl ausgehen, dann beträgt die Hinterziehung 17,3% des BIP oder 38,5% des theoretischen Betrages der gesamten Steuereinnahmen. Doch wenn man Steuern ausnimmt, bei denen es keine Hinterziehung gibt, wie die Schecksteuer, die Exportzölle und die Steuer auf Benzin und Dieselöl, dann steigt der Hinterziehungskoeffzient auf über 40%. Das reimt sich etwa mit dem Anteil der Schwarzwirtschaft am BIP zusammen.
Der Bericht der Mediterránea Stiftung weist darauf hin, dass der theoretische Steuerdruck in den letzten zwei Jahrzehnten um 12 Prozentpunkte des BIP zugenommen hat. Dabei ist das Steuersystem zunehmend irrational geworden. Es wurden Steuern geschaffen, die leicht einzutreiben sind und nicht oder nur sehr wenig hinterzogen werden können, wie die Schecksteuer und die Exportzölle. Wenn das Kriterium der einzelnen Steuern nicht die Steuergerechtigkeit und die Wirkung auf das wirtschaftliche Wachstum ist, sondern die Einfachheit des Inkassos, dann wird das ganze System zunehmend irrational.
Tatsache ist, dass der Verantwortliche für die Staatsfinanzen, also an erster Stelle der Wirtschaftsminister, sich mit Händen und Füssen gegen die Abschaffung der beiden genannten verzerrenden Steuern wehrt. Ein Exportzoll von 33% auf Sojabohne, der sich mit Null in Brasilien und den USA vergleicht, die mit Argentinien konkurrieren, ist einfach irrational. Denn ohne diese absurde Besteuerung wäre die Sojaproduktion bestimmt viel höher, weil Sojabohne auch in Gegenden angepflanzt werden könnte, wo die Bedingungen ungünstiger, die Erträge niedriger und die Kosten höher sind. Für Wirtschaftsminister Guzmán geht es grundsätzlich darum, unmittelbar höhere Steuereinnahmen zu erhalten, und in diesem Sinn befürwortet er alle Möglichkeiten, also neuen Steuern oder Zunahme der Steuersätze bei bestehenden, die unmittelbar zu mehr Einnahmen führen. Verzerrungen, die lähmend auf Wirtschaft wirken, interessieren ihn offensichtlich nicht.
Bei den provinziellen Steuern steht die Steuer auf den Bruttoumsatz bezüglich Einnahmen mit Abstand an erster Stelle. Diese Steuer ist von allen, einschließlich der nationalen, die am meisten verzerrende, weil sie in jeder Etappe des Handels mit einer Ware erneut erhoben wird, und sie wirkt inflationär, weil sie direkt auf den Preis abgewälzt wird. Aber sie ist einfach zu kassieren, so dass die Gouverneure nicht auf sie verzichten wollen. Die Immobiliensteuer ist hingegen schwer zu verwalten und zu kassieren. Die Tatsache, dass sie nicht abgewälzt werden kann, erklärt den Widerstand der Besitzer.
Dennoch sollte man nicht aufgeben. Grundsätzlich muss man an das Hinterziehungsproblem mit innovativem Geist herangehen. Das Steueramt jagt prinzipiell im Zoo, was seit der Einführung eines fortgeschrittenen informatischen Systems noch betonter geworden ist. Wer im System eingetragen ist, dem fällt die Hinterziehung jetzt viel schwerer als vor dem Zeitalter der Informatik.
Die Anstrengungen zur Erfassung der Hinterziehung müssen sich an erster Stelle auf die Einkommenssteuer (hier Gewinnsteuer benannt) und die Mehrwertsteuer konzentrieren. Die Mehrwertsteuer wurde in Europa erfunden und 1974 von Fachleuten des argentinischen Schatzamtes kopiert. Sie hat wirtschaftlich den Vorteil, dass sie neutral ist, also keine verzerrende Wirkung hat. Diese Steuer sollte nicht angetastet werden. Die parlamentarische Initiative der Opposition, den Satz der Steuer von jetzt 21% auf 16% zu verringern, ist ein großer Fehler. Das übliche Argument, dass dabei die Hinterziehung abnimmt, stimmt einfach nicht. Die Hinterziehungsrate ist heute geringer als in den 80er Jahren, als der Steuersatz niedriger war. Bei dieser Steuer wird etwa ein Drittel des theoretischen Betrages hinterzogen, und es ist sehr schwierig, diesen Koeffizient spürbar zu verringern. Doch außerdem geht es bei der Verbesserung des Steuersystems auch darum, die Zahl der Steuern (angeblich sind es einschließlich provinzieller Steuern und Gemeindegebühren 160) zu verringern, um dem Steuerzahler das Leben zu vereinfachen. Vor allem bei Kleinunternehmen fällt die Verwaltung eines so komplexen Systems ins Gewicht.
Bei der Gewinnsteuer ergibt sich eine eigenartige Lage. Die Sätze der Steuer sind für Unternehmen und natürliche Personen höher als in den Vereinigten Staaten, aber der Erlös ist im Verhältnis zum BIP viel niedriger. Wenn man davon ausgeht, dass große Unternehmen, besonders ausländische, nur ganz ausnahmsweise hinterziehen, weil es ihnen ihre Verwaltungsstruktur nicht erlaubt, und sie außerdem stark kontrolliert werden (im Steueramt gibt es eine besondere Abteilung für diese Unternehmen) und auch viele mittlere Unternehmen korrekt zahlen, dann muss es bei natürlichen Personen und Kleinunternehmen eine gigantische Hinterziehung geben.
Das Problem, das sich hier vielfach stellt, besteht darin, dass sehr viele Kleinunternehmen bei einigermaßen korrekter Zahlung der Steuern nicht überleben könnten, so dass dann die Arbeitslosigkeit zunehmen würde, oder die Unternehmen ganz auf die Schwarzwirtschaft übergehen würden und vom AFIP-Bildschirm verschwinden. Die Hinterziehung im Bereich der Kleinunternehmen führt auch zu unlauterem Wettbewerb, und hat deshalb eine ansteckende Wirkung.
Um die Steuerhinterzieher zu erfassen, muss man zu anderen Methoden greifen, als sie das Steueramt gewohnt ist. Bei der Rinderwirtschaft besteht traditionell eine hohe Hinterziehung, die damit beginnt, dass Landwirte ihren Rinderbestand zum Teil nicht angeben, die Schlachthöfe schwarz kaufen und das Fleisch an Grossisten (Matarifes) schwarz verkaufen, und diese es ohne Steuern an ihre Kunden verkaufen. Das führt gelegentlich dazu, dass das Rindfleisch beim Metzger billiger als beim Supermarkt ist, der nicht hinterziehen kann. Die Supermärkte haben nicht nur bei Fleisch, sondern auch bei Obst, Gemüse u.a. Waren einen steuerlichen Nachteil gegenüber dem kleinen Einzelhandel, der stark hinterzieht.
Vor über zwei Jahrzehnten hat eine private Firma vorgeschlagen, ein integrales Kontrollsystem bei den Schlachthöfen einzuführen, das auf spanisch “guardaganado electrónico” benannt wurde. Die Rinder wurden dabei über einen schmalen Gang geführt, gezählt und dann gewogen und schließlich geschlachtet werden, wobei auch das Fleischgewicht ermittelt würde. Gleichzeitig ermittelt der private Betreiber des Systems den Namen und die Steuernummer des Lieferanten der Rinder und des Beziehers des Fleisches. All dies würde dem Steueramt direkt mitgeteilt. Die Opposition der Landwirte u.a. gegen diese Initiative war damals so groß, dass das System nicht eingeführt wurde. Vor einigen Jahren, unter der Regierung von Cristina Kirchner, wurde schließlich ein System dieser Art doch eingeführt, das jedoch staatlich betrieben wurde. Und weil der Staat ineffizient ist und ein komplexes System wie das beschriebene nicht zu betreiben weiß, war das Ergebnis unbefriedigend. Es ist höchste Zeit, dass die AFIP untersucht, was hier vorgeht.
Es gibt gewiss viele Kontrollmöglichkeiten dieser Art. Die Steuerexperten des Steueramtes sollten sich anstrengen, um sie ausfindig zu machen. Sie müssen eben lernen, außerhalb des Zoos zu jagen. Nur wenn die Hinterziehung stark verringert wird, können sogenannte verzerrende Steuern abgeschafft werden, so dass das System rationeller und für den Steuerzahler tragbarer wird.
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