„12“ von Annenmaykantereit
Von Catharina Luisa Deege
Buenos Aires/Hannover (AT) - „Dass viele Menschen miteinander singen war nie‘ne Selbstverständlichkeit“, haucht Henning May mit seiner rauen Stimme ins Mikrofon. Dass das neue Album von Annenmaykantereit die neue Normalität thematisiert, die durch das grassierende Coronavirus eingeläutet wurde, ist schon nach Hören des Intros nicht abzustreiten.
„So wie es war, wird es nie wieder sein“ - ein Satz, der dieses Jahr wohl nicht nur einmal gefallen ist. Er fiel in den Nachrichten, in Gesprächen mit Freunden, teilweise sogar beim Plausch mit Fremden in der Schlange vor dem Supermarkt. Auch im neuen Album der Band, welches Anfang der Woche erschien, zieht sich dieser Satz durch die insgesamt 16 Songs. Teilweise wird er buchstäblich zitiert, doch größtenteils ist er zumindest inhaltlich beim Durchhören präsent.
Das Album im „Shuffle-Modus“ abspielen zu lassen - das heißt es läuft wild und willkürlich ein Lied nach dem anderen - ist eher unerwünscht. Das bemerkt man nicht nur an den Titelnamen, die Band hat dieses Anliegen prompt selbst auf ihrer Bandseite ausformuliert: „Wir wünschen uns, dass dieses Album am Stück gehört wird. Die Reihenfolge der Lieder hat für uns Bedeutung, und wer so großzügig ist, sich das Album auch in dieser Reihenfolge anzuhören, hat einen gepolsterten Sitzplatz in der Mehrzweckhalle unserer Herzen.“
Gitarrist Christopher Annen, Sänger Henning May und Schlagzeuger Severin Kantereit haben neben dem Lockdown im deutschen Frühling auch das Aufatmen nach dieser ungewohnt stillen Phase thematisiert. Nach den ersten weitgehend melancholischen Liedern wird es mit „Spätsommerregen“ durch eine luftig-lockere Gitarrenmelodie und lässigen Beats schon fast wieder fröhlich.
Überrascht wird man beim neunten Titel des Albums: „Quiero pelear / Quiero amar / Lucharé / Yo amaré / Seré los dos / Cuervo y una paloma“, diktiert May ruhig, bevor er wieder wie gewohnt auf Deutsch singt. Entspannt, aber durchweg mit positivem Gefühl hört man „Paloma“ und die beiden darauffolgenden Songs, bevor die gute Stimmung durch das „Interlude“ brutal durchbrochen wird. Schwere Klavierakkorde in Moll kennzeichnen einen weiteren Gemütswechsel.
Der in „12“ so häufig auftretende Sprechgesang Mays erinnert an Intros des österreichischen Sängers Falco, der 1998 verstarb. Sie geben dem Songkonfekt an einigen Stellen Dramatik, und an anderen Ruhe. Die Musik auf diesem Album klingt hausgemacht. Es ist nur zu leicht vorstellbar, wie die drei Musiker jeweils bei sich zuhause alleine an ihrer Gitarre zupften oder ihrem Klavier klimperten, Melodien einsangen und dies letztendlich zusammen-
trugen. Das dritte Studioalbum des jungen Trios ist ein künstlerisches Zeugnis dieser Zeit - improvisiert, poetisch, kritisch, unruhig und doch irgendwie kohärent; so wie dieses Jahr eben.
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