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Schwierige Aussöhnung

Berlin erkennt Kolonialverbrechen in Namibia als Völkermord an

Demo in Berlin
Teilnehmer einer Demo in Berlin fordern Reparationen an Namibia. (Foto: dpa)

Windhuk (dpa/mc) - Ein Scheitern des Aussöhnungsabkommens, in dem die Bundesregierung die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia als Völkermord anerkennt, ist dem dortigen Chefunterhändler zufolge unwahrscheinlich. Zed Ngavirue sagte der Deutschen Presse-Agentur in der namibischen Hauptstadt Windhuk: "Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem beiderseits das Einvernehmen besteht, dass man ins Geschäft kommt." Es sei eine tragfähige Basis gefunden worden, auf der beide Seiten aufbauen könnten. Der bisherige Zeitplan müsse aber angepasst werden, da Namibias Parlament bis zum 8. Juni pausiere.

"Ich glaube nicht, dass es mit dem Vertrag als solches ein Problem gibt", erklärte Ngavirue und betonte: "Wenn einige Leute demonstrieren und sich lauthals beschweren, denkt die Gesellschaft, das sei die Mehrheit. Dem ist nicht so." Nach der parlamentarischen Billigung des Dokuments könnten es die Außenminister unterschreiben.

Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung darin die Gräueltaten an den Volksgruppen der Herero und Nama als Völkermord an. Deutschland will die Nachkommen offiziell um Vergebung bitten und in den nächsten 30 Jahren mit 1,1 Milliarden Euro unterstützen. Darauf haben sich nach jahrelangen Verhandlungen beide Regierungen verständigt.

Außenminister Heiko Maas: "Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, mit Namibia eine Einigung über einen gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte zu erzielen." Die Bundesregierung hat immer wieder betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe. Dass sie nun trotzdem die erwähnte Summe locker macht, sieht sie als politisch-moralische Verpflichtung. Maas sprach von einer "Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde". Das Geld soll über 30 Jahre vor allem in Projekte in den Siedlungsgebieten der Herero und Nama fließen wie Landwirtschaft, Wasserversorgung und Berufsbildung.

In Namibia bemüht sich Chefunterhändler Ngavirue um Akzeptanz der erzielten Ergebnisse: "Die Chiefs haben sich letzte Woche in den Besprechungen mit großer Mehrheit zu dem Abkommensentwurf bekannt; natürlich wird es immer Leute geben, denen das, was gerade auf dem Tisch liegt, nicht passt", sagte Ngavirue. Zudem gebe es "Missverständnisse", die aufgeklärt würden. Dazu gehöre ein Milliardenwert, der ursprünglich "über verschiedene Formeln zur Quantifizierung des Leids" errechnet worden sei. "Das bedeutete nie, dass dies der Betrag ist, den man als Wiedergutmachung verlangt: Unser Leid ist unkalkulierbar." Der nun vorliegende Vertragsentwurf biete aber eine Basis, auf der man den Nachfahren eine Wiedergutmachung zukommen lassen könne.

Ngavirue bestritt Behauptungen, die Unterhändler hätten ohne Rücksprache mit den Betroffenen verhandelt: "Das stimmt nicht, es gab Treffen über Treffen: Der Prozess wurde offen gehandhabt und die Leute (die Chiefs der betroffenen Gemeinschaften) wussten, wo wir waren und wo wir jetzt stehen." Einige Mitglieder des Chief's Councils der Volksgruppen der Herero und der Nama hatten das von Deutschland vorgeschlagene Abkommen abgelehnt.

Das Gremium vereint die Anführer der betroffenen Volksgruppen. Dem Sonderbeauftragten und Verhandlungsführer der namibischen Regierung zufolge entspricht der Begriff des Chiefs im Deutschen am ehesten der einst von den Kolonialherren geprägte Ausdruck Häuptling. "Das sollten wir nicht ernsthaft debattieren; am besten ist es, stets den Begriff zu wählen, mit dem die Person in ihrer eigenen Gemeinschaft angesprochen wird: Chief oder Häuptling oder Kaptein - das ist doch nur eine Übersetzung", sagte Ngavirue.

Die von Berlin angebotenen Unterstützungszahlungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre hatten Kritiker als "inakzeptabel" und einen "Affront gegen unsere Existenz" bezeichnet. Die Ovaherero Traditional Authority, eine weitere Herero-Gruppe, hatte das Abkommen als PR-Coup Deutschlands kritisiert.

 

Koloniale Gräuel

Windhuk/Berlin (dpa) Das Deutsche Reich war von 1884 bis 1915 Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika und schlug Aufstände brutal nieder. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 kam es zu einem Massenmord, der als erster Genozid im 20. Jahrhundert gilt. Historiker schätzen, dass 65.000 von 80.000 Herero und mindestens 10.000 von 20.000 Nama getötet wurden. Seit 2015 verwendet das Auswärtige Amt dafür den Begriff Völkermord in seinem allgemeinen Sprachgebrauch. Jetzt werden die Gräueltaten auch offiziell als Völkermord bezeichnet.

Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Es verfügte damit über das viertgrößte koloniale Gebiet und war Besatzungsmacht nicht nur in Deutsch-Südwestafrika (Namibia), sondern auch in Kamerun, Togo, Deutsch-Ostafrika (Tansania), im chinesischen Tsingtao und auf Pazifikinseln. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien dann unter den Siegermächten aufgeteilt.

 

ISRAEL

Netanjahu vor dem Aus

Tel Aviv (dpa) - Erstmals seit zwölf Jahren ist in Israel eine Regierung ohne den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gebildet worden. Der bisherige Oppositionsführer Jair Lapid teilte Präsident Reuven Rivlin am Mittwochabend kurz vor Ablauf einer Frist mit, er habe ein Bündnis von acht Parteien aus allen politischen Lagern geschmiedet. Darunter ist die ultrarechte Jamina-Partei des Ex-Verteidigungsministers Naftali Bennett, der laut einer Rotationsvereinbarung zunächst Regierungschef werden und zwei Jahre später von Lapid abgelöst werden soll. Erstmals soll auch eine arabische Partei Teil der israelischen Regierung werden.

Lapid schrieb am Mittwochabend auf Twitter: "Ich verpflichte mich, dass diese Regierung allen Bürgern Israels dienen wird." Dies gelte für "jene, die für sie gestimmt haben, und jene, die dies nicht getan haben", schrieb der 57-Jährige Vorsitzende der Zukunftspartei, die in der politischen Mitte angesiedelt ist. Die neue Regierung werde "ihre Gegner respektieren und alles dafür tun, alle Teile der israelischen Gesellschaft zu einen und zu verbinden".

Mit Vereidigung der neuen Regierung im Parlament wäre die Ära Netanjahu vorerst beendet. Als voraussichtlicher Vereidigungstermin galt bislang der 14. Juni, Lapid teilte jedoch mit, er strebe den frühestmöglichen Termin an. Damit die ungewöhnliche Koalition ihre Regierungsarbeit aufnehmen kann, muss eine einfache Mehrheit der 120 Abgeordneten für sie stimmen. Es wird damit gerechnet, dass Netanjahus Anhänger bis zur Vereidigung mit aller Macht versuchen werden, das wacklige Bündnis von Lapid und Bennett zum Scheitern zu bringen. Bis zuletzt gab es Berichte über mögliche Abtrünnige in den Reihen der Jamina-Partei.



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