Nazi-Opfer, Fluchtgut und die Bührle-Sammlung
Zürich (dpa/cld) - Das größte Kunstmuseum der Schweiz ist im Krisenmodus: statt seinen erst im Oktober mit Fanfaren eröffneten neuen Anbau zu feiern, steht das Kunsthaus in Zürich im Auge eines immer stärker tosenden Sturms der Entrüstung. Wurde genug getan, um zu verhindern, dass Werke präsentiert werden, die Jüdinnen und Juden nach der Vertreibung aus Nazi-Deutschland in der Not verkaufen mussten? Die Zweifel daran wachsen. „Jetzt reicht es mir!“ - mit diesen Worten verlangt nun die renommierte Schweizer Künstlerin Miriam Cahn ihre seit 40 Jahren im Kunsthaus befindlichen Werke zurück.
Es geht um die im neuen Anbau präsentierte Bührle-Sammlung. Emil Bührle, eingebürgerter Deutscher, war als Waffenfabrikant durch Geschäfte mit den Nazis reich geworden. Er beschenkte die Stadt als Kunstmäzen mit Millionen, im Eingang des Kunsthauses ehrt ihn eine Büste. Seine Sammlung dümpelte aber Jahrzehnte am Stadtrand in einem Privatmuseum vor sich hin. Seit Oktober 2021 sind nun gut 200 Werke daraus im neuen Anbau zu sehen, darunter solche von Auguste Renoir, Claude Monet und Paul Cézanne. Das Kunsthaus präsentiert in einem Nebenraum die problematische Geschichte des Unternehmers Bührle. Das reicht vielen nicht.
Die Empörung entzündet sich daran, dass das Kunsthaus sich bei der Klärung der Herkunft der Werke (Provenienzforschung) bislang auf die Bührle-Stiftung verlassen hat. Deren Fazit: Die Herkunft von 90 Werken sei zwar nicht lückenlos geklärt, aber sie seien trotzdem als Werke „ohne Hinweis auf problematische Zusammenhänge“ zu betrachten.
„Die Schweiz steht vor einem Scherbenhaufen“, schreibt das Online-Magazin „Die Republik“. Der als kultureller Meilenstein gedachte Bau sei zu einem „erinnerungspolitischen Desaster“ geworden. Die neutrale Schweiz war im Zweiten Weltkrieg eine Drehscheibe des Kunsthandels. Viele flüchtende Juden brachten dort Geld, Gold und Kunstwerke in Sicherheit oder verkauften sie oft in Not. Ende der 1990er Jahre kam ans Licht, wie schwer es Nachfahren von Opfern des Nazi-Regimes hatten, deponierte Vermögenswerte zurückzubekommen.
Museen weltweit erkennen neben Raubkunst - also Werken, die die Nazis jüdischen Besitzern entwendet haben - längst auch Fluchtgut als unrechtmäßig erworben an und geben es zurück. Als Fluchtgut werden Werke bezeichnet, zu deren Verkauf Jüdinnen und Juden gezwungen waren, um ihre Flucht oder das Leben danach zu finanzieren. Es gebe zwar Fluchtgut in der Sammlung, sagte der scheidende Stiftungsdirektor der Bührle-Stiftung Lukas Gloor im Schweizer Fernsehen. Aber Bührle habe immer über den Kunsthandel gekauft und nichts unter Wert.
Die Künsterlin Cahn war die erste, die nun Konsequenzen zog. „Das brauche ich nicht mehr, in diesem Bührle-Kunsthaus Zürich-Konglomerat vertreten zu sein“, sagte sie dem Schweizer Rundfunk SRF. „Zürich (...) schreckt vor Revisionismus, Leugnung, Verharmlosung, Manipulation, Geschichtsklitterung nicht zurück“, empörte sich der Chefredakteur Yves Kugelmann von JM Jüdische Medien AG in der jüdischen Wochenzeitung „Tacheles“.
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