Von Stefan Kuhn
Der „Tatort“ feiert diesen Sonntag seinen 50. Geburtstag - wie passend! Die Kriminalfilmreihe mit Ermittlerteams aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ist längst Kult und hält seit Ausstrahlung der ersten Folge am 29. November 1970 die Zuschauerquote wie keine andere deutsche Fernsehreihe hoch. Wir Redakteure haben uns dieses Jubiläum zum Anlass genommen, Ihnen unsere Lieblingsfolgen zu empfehlen.
Ich gebe es offen zu. Ich bin ein Tatort-Junkie. Ich habe alle 1145 Folgen gesehen, mir fehlen nur drei der 13 österreichischen Produktionen. An alle kann ich mich beileibe nicht erinnern, manche waren kaum erinnernswert, wobei die allerschlechtesten paradoxerweise im Gedächtnis blieben. Der Zollfahnder Kressin etwa, der zwischen 1971 und 1973 bundesweit sein Unwesen trieb. Kressin hüpfte von Bett zu Bett und war wenig mehr als ein müder Abklatsch von James Bond.
Bei der schieren Masse ist es fast unmöglich, einen absoluten Favoriten auszuwählen. Ich habe Lieblingsermittler, da kann fast kommen, was will. Ich finde es gut, auch wenn die Kritiken vernichtend sind. Batic und Leitmayr aus München oder Lannert und Bootz aus Stuttgart gehören dazu. Auch der Kieler Borowski, die Wiener Eisner und Fellner und Lena Odental, die in Ludwigshafen ermittelt und inzwischen dienst-
älteste Ermittlerin ist. Von den ehemaligen natürlich der ruppige und unorthodoxe Schimanski aus Duisburg, der den peniblen Beamten Thanner zur Seite hatte. Ernst Bienzle aus Stuttgart, der schon vor seinem Tatortdebüt bekannt war. Er ist Hauptfigur einer Reihe von Kriminalromanen des Schriftstellers Felix Huby, von dem auch die Drehbücher der Tatort-Folgen stammen. Eva Blum und ihr Kollege Perlmann aus Konstanz, Palu aus Saarbrücken, Ritter und Stark aus Berlin, Stoever und Brockmöller aus Hamburg, Ehrlicher und Kain aus Leipzig bzw. Dresden sowie die Frankfurter Dellwo und Sänger.
Bei den einzelnen Folgen wollte ich mich zwischen „Tod am Rothenbaum“ (Stoever/Brockmöller), „Wenn Frauen Austern essen“ (Batic/Leitmayr), „Rot-rot-tot“ (Lutz), „Zahn um Zahn“ (Schimanski) und „Die schöne Lau“ (Bienzle) entscheiden.
Am Ende habe ich keinen davon genommen. Mein Favorit ist: „Stuttgarter Blüten“ von 1973. Es war der erste, den ich sehen durfte. Fernsehen war damals noch keine Selbstverständlichkeit und für Kinder schon gar nicht, weil viele Erziehungsberechtigte davon ausgingen, dass es „blöd macht“. Nur kulturell wertvolle Sendungen waren erlaubt. „Stuttgarter Blüten“ hatte dieses Prädikat. Vermutlich weil die meisten Schauspieler*innen Schwäbisch sprachen und der Hauptdarsteller Willy Reichert damals als der größte schwäbische Volksschauspieler galt. Der zweitgrößte, Max Strecker, spielte den Polizeipräsidenten. Das dürfte meinen Eltern die Entscheidung erleichtert haben. Die Geschichte ist nicht sonderlich spannend, hat aber mehr Humor als mancher Münsteraner Tatort. Er wirkt nicht aufgesetzt, sondern natürlich. Das liegt an Willy Reichert, er spielt den schwäbischen Kauz, der in seinem Schrebergarten 100-Mark-Scheine fälscht, nicht. Er ist es. Er fälscht nicht aus Habgier, sondern aus beruflichem Ehrgeiz und Langeweile. Seine Blüten sind nicht von der Deutschen Bundesbank herausgegeben, sondern von der Deutschen Bundesbahn oder dem Deutschen Fußballbund. Er gibt den „Bruddler“ und scharfen Beobachter und hilft am Ende der Polizei.
Ach ja, der ermittelnde Kommissar heißt Lutz (Werner Schumacher), aber das ist eigentlich nebensächlich.
„Stuttgarter Blüten“ ist auf You Tube zu sehen:
Comments