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Scholz: "Land winterfest machen"

Neue Maßnahmen angesichts explodierender Corona-Zahlen

Olaf Scholz
Olaf Scholz bei seiner Rede im Bundestag. (Foto: dpa)

Berlin (dpa/mc) - Angesichts drastisch steigender Infektionszahlen wollen Bund und Länder in der nächsten Woche den Kurs für einen stärkeren Corona-Schutz im Winter abstecken. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz mahnte für die möglichen künftigen Ampel-Regierungspartner zu weiter nötiger Vorsicht und kündigte Initiativen für mehr Impfungen und Tests an. Von den anderen Fraktionen kam harsche Kritik an den Ampel-Plänen.

Scholz betonte im Bundestag: "Das Virus ist noch unter uns und bedroht die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger." Deshalb sollten Vorgaben wie Maskenpflicht und Hygieneregeln weiter durchgesetzt werden können. "Wir müssen gewissermaßen unser Land winterfest machen", sagte er zur Einbringung eines Gesetzentwurfs von SPD, FDP und Grünen zu weiteren Corona-Regelungen. Der amtierende Vizekanzler sprach sich außerdem für eine "große gemeinsame Kampagne" für mehr Impfungen aus. Es müsse alles getan werden, damit Millionen Menschen Auffrischungsimpfungen bekommen. Zudem solle 3G am Arbeitsplatz kommen, also Zugang nur für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Es wird auch wieder ein Gespräch zwischen Bund und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten geben. Wie der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), mitteilte, soll die Runde mit der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am kommenden Donnerstag stattfinden. Merkel hatte zuletzt dringend eine solche Beratung angemahnt, nachdem tagelang darüber diskutiert worden war. Scholz sagte, es handele sich um ein klassisches Gespräch zwischen dem Bund und den Ministerpräsidenten. "Das ist das, was wir jetzt brauchen."

Die voraussichtlichen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP wollen derweil die vom Bundestag bereits mehrfach festgestellte "epidemische Lage von nationaler Tragweite" am 25. November auslaufen lassen. Diese Rechtsgrundlage für konkrete Corona-Beschränkungen in den Ländern soll aber durch eine Neuregelung ersetzt werden, die einen kleineren Katalog möglicher Maßnahmen umfasst. Unabhängig davon sollen unter anderem wieder Schnelltests kostenlos für alle zu bekommen sein. Das Gratis-Angebot war erst Mitte Oktober deutlich eingeschränkt worden.

Die Union attackierte die Pläne. Das Auslaufen der gesetzlichen Sonderlage sei "Realitätsverweigerung", sagte Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Dies sende "das völlig falsche Signal". Damit werde den Leuten gesagt, es sei nicht mehr so schlimm, obwohl man nun vorsichtiger sein müsse. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf Scholz vor: "Sie verlassen geradezu das Team "Vorsicht", und Sie gehen ins Team "Versuch mer's mal"." "Das Infektionsgeschehen explodiert, die dritte Impfung muss erst an Fahrt gewinnen, die Risiken steigen, und Sie schrauben den Instrumentenkasten herunter."

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verteidigte die Pläne. Notwendig seien Maßnahmen, die wirksam und rechtssicher seien. Es sei nicht sinnvoll, Regelungen zu beschließen, die von Gerichten gekippt würden. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann wies Kritik scharf zurück. "Wir können hart in der Sache diskutieren, über jedes einzelne Instrument, aber Lügen und Fake News gehören in den Instrumentenkasten von Diktatoren und Populisten." Bewusst werde das Missverständnis geschürt, dass irgendjemand behauptete, mit dem geplanten Auslaufen der gesetzlichen Sonderlage sei Corona vorbei.

Die AfD lehnte die geplanten Corona-Maßnahmen ab. Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier sprach von "Ideen der Unfreiheit und des Zwangs". Obwohl die Sonderlage auslaufen soll, könne Deutschland keinen "Freedom Day" feiern. Die Linke warnte vor "leeren Versprechungen" über ein baldiges Ende der Pandemie.

Die pro Tag erfassten Neuinfektionen überstiegen erstmals im Verlauf der Pandemie den Wert von 50.000. Die Gesundheitsämter meldeten nun den Höchstwert von 50.196 neuen Fällen binnen eines Tages, wie das Robert Koch-Institut (RKI) bekannt hab. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen liegt nun bei 249,1. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist somit am vierten Tag in Folge auf einen Höchstwert gestiegen. Am Mittwoch hatte sie bei 232,1 gelegen.


Koalitionsverhandlungen

Berlin (dpa) - Die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP zur Bildung einer neuen deutschen Regierung gehen am Montag in die nächste Runde. Dann soll die 21-köpfige Hauptverhandlungsgruppe der drei Parteien erneut zusammenkommen und über die Ergebnisse der thematischen Arbeitsgruppen sprechen.

Wie SPD und FDP gestern mitteilten, sind zuvor noch die Generalsekretäre am Zug. Lars Klingbeil (SPD), Michael Kellner (Grüne) und Volker Wissing (FDP) im Austausch, um die 22 Arbeitspapiere zusammenzuführen.

Über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe, die am Mittwochabend abgegeben wurden, ist bisher wenig bekannt. Mehrere Gruppen konnten sich nicht in allen Punkten einigen und reichten eine Reihe wichtiger offener Fragen an die Hauptverhandler weiter. Geplant ist, die Verhandlungen bis Ende des Monats zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz könnte dann in der Woche ab 6. Dezember im Bundestag von den drei Parteien der "Ampel"-Koalition zum Bundeskanzler gewählt werden.

 

Deutscher Schicksalstag

Berlin (dpa) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den 9. November "als Tag zum Nachdenken über unser Land" bezeichnet. Der 9. November 1918 und 1989 erinnere die Deutschen daran, dass Freiheit und Demokratie nicht vom Himmel gefallen und nicht auf ewig gesichert seien, sagte Steinmeier am Dienstag bei einer Gedenkveranstaltung im Schloss Bellevue in Berlin. Der 9. November 1938 erinnere an das Menschheitsverbrechen der Schoah und mahne zu Wachsamkeit und Zivilcourage.

Der Tag steht für verschiedene einschneidende Daten der deutschen Geschichte: Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstagsgebäudes die Republik aus, die Monarchie und das Kaiserreich waren Vergangenheit. Der 9. November 1938 ging als Tag der nationalsozialistischen Pogrome in die Geschichte ein und steht für die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Am 9. November 1989 leitete der Fall der Berliner Mauer die deutsche Wiedervereinigung ein.

Am 9. November 1923 führte NSDAP-Chef Adolf Hitler einen erfolglosen Putschversuch gegen die Weimarer Republik. Am 9. November 1848 wurde Robert Blum, einer der Anführer der gescheiterten 1848er Revolution in Deutschland, hingerichtet.

"Diese Ambivalenz auszuhalten, Licht und Schatten, Freude und Trauer im Herzen zu tragen, das gehört dazu, wenn man Deutscher ist", sagte Steinmeier. Beides anzunehmen, Scham und Trauer über die Opfer und Respekt und Wertschätzung für die Wegbereiter unserer Demokratie, darum müsse es gehen. "Das ist der Kern eines aufgeklärten Patriotismus. Statt Posaunen und Trompeten ein Patriotismus der leisen Töne. Statt Triumph und Selbstgewissheit ein Patriotismus mit gemischten Gefühlen."


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