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"Ringen um jeden Kubikmeter"

Deutsche Gasförderung und ihre Grenzen

Von Elmar Stephan und Jan Petermann

Die neu aufgeflammte Fracking-Debatte und die drohende Energielücke im Winter haben Deutschlands eigene Erdgas-Lagerstätten wieder zum Reizthema gemacht. Heimische Reserven können wohl nur einen geringen Beitrag leisten, um die Verwundbarkeit gegenüber Russland zu senken. An den Bohrlöchern in Niedersachsen will man dennoch nicht aufgeben.

Gas
Peter Thie von ExxonMobil geht über den Erdgasförderplatz Goldenstedt Z23. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Vechta/Hannover/Berlin - Das Rohr, durch welches der wertvolle Rohstoff an die Oberfläche strömt, sieht mit viel Phantasie aus wie die überdimensionale Spitze eines Weihnachtsbaumes. Im Englischen heißt der Übergabepunkt tatsächlich "Christmas Tree". Seine deutsche Fachbezeichnung ist technisch-nüchterner: Am Eruptionskreuz - oder E-Kreuz - kommt das Erdgas aus dem Boden.

Hier, nördlich der Stadt Vechta, erscheint der Krieg in der Ukraine unwirklich und fern. An der Förderstätte "Goldenstedt Z 23", umgeben von Maisäckern und Gemüsefeldern, deutet wenig darauf hin, wie angespannt die Lage auf den internationalen Energiemärkten ist - und wie groß die Sorge vieler um eine ausreichende Versorgung im Winter.

Doch die Diskussion über eine möglichst hohe Nutzung der verbliebenen heimischen Gasressourcen hat die Region in Westniedersachsen wieder stärker ins Bewusstsein von Wirtschaft und Politik gerückt. Die Gegend beheimatet einige der größten Förderanlagen Deutschlands.

Niedersachsen insgesamt ist das wichtigste Fördergebiet, laut Bundeswirtschaftsministerium mit einem Anteil von über 97 Prozent. Kleinere Teilmengen stammen aus Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und Bayern. 2021 wurden nach Angaben des Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Hannover 5,7 Milliarden Kubikmeter Rohgas gewonnen - 5,4 Milliarden zwischen Ems und Elbe.


Ein kleiner, aber wichtiger Teil

Das war im Vergleich zum Vorjahr zwar ein Plus von 0,8 Prozent. Allerdings sind die Fördervolumina und -vorhaben schon seit einiger Zeit tendenziell rückläufig. Eigene Gasbohrungen tragen 5 bis 6 Prozent zur Deckung des Bedarfs der Bundesrepublik bei - noch.

"Bisher waren das immer vermeintlich kleine Zahlen", sagt Klaus Torp vom US-Energie- und -Rohstoffriesen ExxonMobil, der "Goldenstedt Z 23" betreibt. "Aber angesichts der aktuellen Situation ringt nicht nur die Branche, sondern die ganze Gesellschaft um jeden Kubikmeter."

Für die Genehmigung neuer Projekte und die Aufsicht über laufende Bohrungen sind in erster Linie die Länder zuständig, der Bund setzt nur einen rechtlichen Rahmen. Dem LBEG ist klar, dass die energiepolitische Debatte seit Beginn des russischen Angriffs Erwartungen und Handlungsdruck erhöht.


Überschaubare Aussicht auf Erfolg

Eine Zunahme heimischer Bohrvorhaben gebe es trotz der drastischen Rohstoffpreis-Inflation bisher nicht, berichtet ein Behördensprecher. Jedoch beantragten manche Förderer die Ausweitung bestehender Flächen - zuletzt etwa das Unternehmen Neptune Energy für ein Feld bei Adorf an der niederländischen Grenze. Grundsätzlich ist der Plan bewilligt, dort bald auf 63 statt 24 Quadratkilometern arbeiten zu können. Eine Fördererlaubnis gibt es in diesem Fall indes noch nicht. Ähnlich wie bei einem neuen Bohrprojekt vor der Nordseeinsel Borkum, das zahlreiche Umweltschützer und -politiker kritisch sehen.

"Die Suche und Erschließung neuer Lagerstätten bietet in Deutschland nur noch eine überschaubare Aussicht auf Erfolg", glauben Experten aus dem Amt. Vielleicht könnte in der jetzigen Situation zusätzliche Produktion aus vorhandenen Lagerstätten etwas Entlastung schaffen. Ob dabei insgesamt bis zu 6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr realistisch wären, wie einige Firmen annehmen, lasse sich aber "schwer bemessen".

Auch in Goldenstedt sind sie mit konkreten Prognosen vorsichtig. Wie lange noch Gas aus der Sandsteinschicht zum Teil in rund vier Kilometern Tiefe geholt wird, kann keiner genau sagen. Womöglich 20 Jahre, womöglich länger - das hänge auch vom Preis ab, sagt der stellvertretende Betriebsleiter Peter Thie. "Oftmals fördern wir länger als theoretisch berechnet", ergänzt Torp. Zudem spiele der natürliche Lagerstättendruck eine Rolle, der mit steigender entnommener Menge in der Regel sinkt. "Wir werden im Moment gefragt, ob wir nicht einfach mehr fördern können. Das können wir nicht."

Seit 2010 laufen die Anlagen. "Hier in dieser Region, auch auf diesem Feld, produzieren wir zwei Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs", rechnet Torp vor. "Wenn Sie das ins Verhältnis setzen zum Verbrauch der lokalen Haushalte, könnten Sie mit dem bislang hier geförderten Gas 30 Jahre lang alle Haushalte im Landkreis Vechta versorgen."


Hoher Druck in großer Tiefe

Aber der Strom- und Wärmemarkt ist global, und auch die mit Blick auf den Winter so wichtigen Speicher nehmen Erdgas aus allen möglichen Quellen auf. Branchendaten vom 2. September zeigen für Deutschland einen Füllstand von inzwischen rund 85 Prozent. Dennoch hält hier und da das Zittern vor einem Mangel in der kalten Jahreszeit an.

In Goldenstedt ist die Förderung automatisch und fernüberwacht. Nur für Kontrollen oder Wartungen kommen Menschen aufs Gelände. Ein wenig muss das Gas noch aufbereitet werden, ehe es ins überregionale Leitungssystem fließt. "Es kommt ja vom früheren Meeresgrund, und natürlich haben wir da auch Salzwasser", erklärt Thie.

Dass Erdgas auch in festem Gestein eingelagert ist und nicht nur in abgeschlossenen Reservoirs vorkommt, verwundere viele, sagt Thie. "Ich spreche auch immer wieder mit Nachbarn, mit der Bevölkerung, und viele nehmen an, dass es eine große Blase ist, wo das Gas rauskommt." Obwohl es hin und wieder Gasblasen in der Natur gibt: Mit der überwiegenden Gasproduktion hierzulande haben sie nichts zu tun. Das Gas kommt aus dem Gestein und wird vom immensen Druck nach oben befördert. Mehr als 400 Bar herrschen in der Tiefe. Autoreifen werden mit rund zwei Bar aufgepumpt.


Renaissance des Fracking-Streits?
Gas
Peter Thie von ExxonMobil bei der Arbeit. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Freilich gibt es auch solche Lagerstätten, in denen mit künstlichem Druck noch mehr Erdgas aus dem Untergrund gepresst werden könnte. Die umstrittene Fracking-Methode geht genau diesen Weg. In Deutschland wurde kommerzielles Fracking nach langem Streit verboten, nur wenige Forschungsbohrungen sind möglich. Kritiker stört vor allem, dass in der Vergangenheit dabei diverse Chemikalien zum Einsatz kamen. Und dass das Gestein teilweise so stark aufgelockert worden sei, dass in manchen Gegenden sogar Mikro-Erdbeben gedroht haben sollen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Kollege Stephan Weil (SPD) aus dem selbst ernannten "Energiewendeland" Niedersachsen lieferten sich Anfang August einen Schlagabtausch. Sollten neue, umweltverträglichere Fracking-Methoden genutzt werden, um mehr Ressourcen für die eigene Energiesicherheit anzapfen zu können? Söder warf die Frage auf. Weil lehnt dies ab. Doch auch in dieser Frage regt eine globale Betrachtung zum Nachdenken an. Denn große Mengen des Gases, das aus den USA in verflüssigter Form (LNG) bald nach Deutschland kommen soll, werden dort via Fracking gewonnen.

Das Bundeswirtschaftsministerium stellt mit Blick auf die Versorgung in den Wintermonaten klar: "Hier hilft Fracking nicht, da die Verfahren bereits bei den wissenschaftlichen Probebohrungen zeitlich aufwendig sind und es keine Anträge aus der Wirtschaft gibt." Im Übrigen bleibe die Fördertechnik an sich verboten. Das LBEG betont: "Der Gesetzgeber müsste das erst ändern, bevor sich die Industrie mit diesem Thema ernsthaft beschäftigen würde."


"Wir brauchen jedes Molekül"

Die Gasförderer geben sich zurückhaltend - sprechen sich jedoch dafür aus, zumindest eine Diskussion über das Mittelfrist-Potenzial nicht vorschnell zu begraben. "Wir regen dringend an, eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob Fracking mit neuer, schonenderer Technologie nicht auch eine relevante Option sein könnte", sagt Ludwig Möhring. Der Vorstand des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) sieht Deutschland noch auf Jahre hinaus in einer Gasversorgungs- und Gaspreiskrise, selbst wenn es gelingt, ab dem Winter erste eigene LNG-Importe über Wilhelmshaven und Brunsbüttel abzuwickeln. Die Fracking-Frage müsse eventuell neu bewertet werden.

"Die Lage ist zu ernst, als dass man dieses Thema auf dem Stand beendet, den wir vor fünf Jahren mal hatten", sagt er. Das viel gepriesene, kaum sauberere LNG dürfte nach seiner Einschätzung anfangs ebenso recht teuer sein. Zumal die Konkurrenz unter den Abnehmern auf dem Weltmarkt groß sei. Nun müsse alles auf den Tisch.

Das gelte umso mehr, weil eben die Möglichkeiten der Kollegen in Goldenstedt und anderen Orten begrenzt seien. "Was machbar ist aus Eigenförderung, sollten wir optimieren", so Möhring. "Auch wenn die Hebelwirkung deutschen Gases eher gering ist." Damit die Energiewende generell vorankomme, sei der Rohstoff für eine Übergangszeit nicht wegzudenken - der eigentliche Kern des Gas-Dilemmas. "Insofern sind auch kleine Mengen wichtig. Im Endeffekt brauchen wir jedes Molekül." (dpa)



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