Von Juan E. Alemann
In der Vorwoche hat die Regierung den Rindfleischexport erneut kontingentiert, aber nicht so streng wie es vor einem Monat verfügt worden war. Bis Ende 2021, wenn die Wahlen vorüber sind, soll der Rindfleischexport nur 50% des Durchschnittes von Januar bis August betragen. Doch außerdem wurde der Export von halben und Viertelrinderleiben, und auch von 7 billigen Teilen des Leibes, die den größten Teil des Volkskonsums ausmachen, bis Ende Jahr verboten. Doch auf der anderer Seite werden die Exporte nach der EU, die im Rahmen der Hilton-Quote und der Sonderquote für Qualitätsfleisch, und die Exporte im Rahmen der US-Quote, vom Verbot ausgeschlossen. In der Praxis ist diese komplexe Regulierung schwer zu verwalten.
Dieses System stellt an erster Stelle die Frage, was mit schon verpflichteten Exporten geschieht. Denn bei Rindfleisch ist der Fall anders als bei Getreide und Ölsaat, die einheitliche Commodities sind, die die Käufer dann an ihre Kunden verkaufen. Bei Rindfleisch ist der Preis je nach Art und Qualität unterschiedlich, und die Exporteure versuchen, den Grossisten zu übergehen und direkt an den Supermarkt zu gelangen. Der Export nach Israel ist noch komplizierter, weil das Fleisch koscher sein muss. Die Käufer in den Empfängerländern planen ihre Käufe auf Monate hinaus, und wenn Argentinien jetzt ausfällt, müssen sie die Lücke füllen, und das schafft gelegentlich Probleme. Aber auf alle Fälle wird Argentinien dabei als unzuverlässiger Lieferant eingestuft, und das erschwert zukünftige Exporte, umso mehr, als Argentinien auf diesem Markt vornehmlich mit Uruguay und Brasilien konkurriert.
Fachleute haben berechnet, dass die Exportkontingentierung dem Land dieses Jahr u$s 1,2 Mrd. kosten wird, die besonders jetzt bitter notwendig sind. Die Landwirte betrachten die als eine Aggression, und die Verbandsleiter haben schon protestiert. Es gibt im ganzen Land über 300.000 Viehzüchter, die weit verstreut sind. Sie werden voraussichtlich im November nicht für die Regierungspartei stimmen, und sie tragen auch zur miesen Stimmung bei, die gegenwärtige besteht und im Massenprotest zum Ausdruck kommt, wenn Präsident Alberto Fernández oder Gouverneur Axel Kicillof öffentlich erscheinen.
Die Vorstellung der Regierung über das Rindfleischproblem ist falsch und veraltet. In der Kolonialzeit, als die Rinder frei herumliefen und sozusagen gejagt wurden, ernährten sich die Gauchos u.a., die die damals dünn besiedelte Pampagegend bewohnen, praktisch nur von Rindfleisch. Doch auch in den städtischen Gegenden, besonders in Buenos Aires, war der Rinfleischkonsum anormal hoch, Bis vor drei Jahrzehnten verblieb er bei über 80 kg pro Kopf und Jahr, und gelegentlich, wie Ende der 70er Jahre, über 90 kg. Das wurde als normal angesehen, ist es aber nicht. Denn dieser hohe Rindfleischkonsum ist ungesund.
Die Medizin hat auf dem Gebiet der Ernährung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Dabei ist der Begriff einer ausgeglichenen Nahrung aufgetaucht, die die verschiedenen Elemente, die die Nahrungsmittel bilden, im notwendigen Ausmaß enthält. Nahrungsmittel beruhen auf sechs Komponenten: Kohlenhydrate, Fett, Protein, Mineralien, Vitamine und Ballaststoffe (auf spanisch “fibra”). Letztere sind besonders wichtig, weil sie das Volumen erhöhen und die Verdauung erleichtern. Bei der Ernährung in Argentinien weisen die Fachleute darauf hin, dass der Konsum von Gemüse und Obst viel zu gering ist, wobei Gemüse nicht nur reich an Ernährungsstoffen ist, sondern auch Ballast liefert. Das sollte nicht sein, da Gemüse und Obst im Überfluss erzeugt werden kann, und sofort mehr produziert würde, wenn Nachfrage vorhanden wäre.
Beim sozialen Nahrungsmittelprogramm, das in der staatlichen Lieferung von Nahrungsmitteln an die etwa 10.000 Essanstalten besteht, die es im Land gibt (Minister Arroyo dixit), ist der Anteil von Teigwaren überwiegend. Die Gerichte bestehen weitgehend aus Nudeln u.dgl. und auch Polenta (Maismehl). Der Anteil von Gemüse und Obst ist ungenügend, und das hat auch Daniel Arroyo zugegeben. Wir waren jedoch überrascht, als einer der Anführer der Massenveranstaltung sozialer Organisationen, die vor zwei Woche auf der “9 de Julio” aufgetreten sind, nicht den Gemüsemangel beanstandete, sondern den von Rindfleisch. In der Tat wird Rindfleisch gespart oder ganz beiseitegelassen, weil es zu teuer ist, was sich jedoch nicht ändert, wenn es 20% oder mehr billiger wird. Dabei fragt man sich auch, ob es nicht positiv ist, die Bevölkerung indirekt auf eine vegetarische Kost zu lenken. Man müsste sich nur überlegen, wie man dabei auch proteinhaltige Nahrungsmittel liefern kann. In vegetarischen Restaurants werden Schnitzel u.a. Fleischarten aus Sojabohne geboten, die gut schmecken und sehr nahrhaft sind. In letzter Zeit kommen noch weitere vegetarische Fleischersatzprodukte hinzu. Auch wird jetzt Milch angeboten, die aus Mandeln oder Erdnuss hergestellt wird.
Was Gemüse betrifft, so sollte sich die Regierung mit dem Problem der Preisbildung befassen. Allgemein erhält der Landwirt bestenfalls ein Fünftel des Preises, den der Konsument im Einzelhandel zahlt. Es sollte gewiss möglich sein, diese Marge zu verringern. Ob sich in der Regierung jemand mit dem Thema befasst, ist uns nicht bekannt.
Kehren wir jetzt zurück zum Rindfleischproblem. In den letzten Jahrzehnten sind Produktion und Konsum von tierischem Protein stark gestiegen. Wenn man zum Rindfleisch noch Geflügel und Schweinefleisch addiert (und in Paragonien auch Schaffleisch) dann gelangt man auf weit über 100 kg pro Kopf und Jahr. Hinzu kommt noch Fisch, der in Argentinien jedoch wenig konsumiert wird. Dass der Rindfleischkonsum abgenommen hat ist weitgehend eine Folge des hohen Angebotes der anderen Fleischarten. Bei Schweinefleisch hat in den letzten Jahrzehnten eine wahre Revolution stattgefunden. Es sind große Produzenten aufgetaucht, die ständig wachsen und eine technisch korrekte Schweinezucht betreiben, mit angemessener Ernährung und strenger sanitärer Aufsicht. Die frühere Schweinezucht, bei der die Tiere sich auch vom Müll ernährten, ist geschrumpft und spielt kaum noch eine Rolle. Das Schweinefleisch dieser primitiven Züchter war von sehr schlechter Qualität, weil diese von der Art der Nahrung abhängt. Das erklärt auch den niedrigen Konsum. Doch jetzt ist qualitativ gutes Schweinefleisch bei Metzgereien und im Supermarkt erhältlich, und die Preise weichen nicht stark von denen von Rindfleisch ab.
Beim Rindfleisch hat die Regierung auch eine andere strukturelle Änderung nicht begriffen. Früher wurden die Rinder auf offenem Feld gemästet und jetzt geschieht dies weitgehend im Feed-lot. Dabei werden die Rinder auch mit Mais und eventuell mit Sojamehl ernährt. Das bedeutet, dass der Preis von Mais und Sojabohne sich auf den Rindfleischpreis auswirkt, obwohl nicht so direkt wie bei Schweinen und Geflügel. Wenn jetzt versucht wird, den Rindfleischpreis zu drücken, dann ist die Mästung in Feed-lots nicht mehr rentabel. Und beim Land, das früher für Wiesen eingesetzt wurde, und jetzt mit Getreide und Ölsaaten gesät wird, gibt es kein zurück. Die Gleichung geht mit einer Verringerung des Bestandes auf.
Schon als der damalige Handelssekretär Guillermo Moreno unter der Regierung von Cristina Kirchner den Rindfleischexport stark kontingentierte, nahm der Bestand um ca. 20% auf 12 Mio. Rinder ab. Die Abnahme trat sehr schnell ein, und führte zunächst zu höherem Angebot auf dem Binnenmarkt und niedrigen Preisen. Doch danach ging das Angebot infolge des viel geringeren Bestandes stark zurück, und der Preis sprang in die Höhe. Erst die Macri-Regierung hob die Exportkontingentierung auf, und der Bestand erhöhte sich dann auf seinen früheren Stand und noch etwas mehr.
Präsident Alberto Fernández will angeblich den Fehler von damals nicht wiederholen. Er bemüht sich um einen Kompromiss, der im Wesen jedoch nicht möglich ist. Hoffen wir, dass er dies rechtzeitig begreift. In diesem Sinn wäre es wichtig, dass ihm die gesamte Nahrungsmittelproblematik erklärt wird, wie wir sie hier dargestellt haben.
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