In dieser merkwürdigen Wahlkampagne, in der auch die Opposition keine konkreten Vorschläge macht, erhält diese eine ungewollte Unterstützung von Präsident Alberto Fernández. Es handelt sich dabei nicht nur um den Skandal um das Fest in der Residenz in Olivos, sondern um seine Ratlosigkeit, seine Widersprüche, und jetzt auch um seine Äußerungen zum Fall der Lehrerin Radetich, die gefilmt wurde, als sie einen Schüler anschrie, eine kirchneristische Brandrede vor ihren Schülern hielt, und einen Ton anschlug, der sie als Pädagogin disqualifiziert. Erziehungsminister Nicolás Trotta hat sich sofort von ihr distanziert und ihre Absetzung verfügt. Doch gleich danach hat Präsident Fernández seinem Minister widersprochen und ihr Vorgehen gerechtfertigt. Etwa gleichzeitig kam der Fall seines Anwalts Dalbón auf, mit antisemitischen Äußerungen und der Beschuldigung eines Staatsanwalts, Schmiergelder zu empfangen. In diesem Fall hat sich AF von Dalbón distanziert. Aber der politische Schaden ist geschehen.
Jetzt werden sie nervös. Sehr nervös. „Erbschleicherei“ wirft CSU-Chef Markus Söder dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz vor. Scholz hatte in einem Fotointerview mit den Händen die „Merkel-Raute“ geformt. Mensch Markus, das war ein Späßchen. Der Scholz darf das, schließlich ist er Merkels Vize in der Regierung. Spaß beiseite, Söder sollte sich überlegen, was er an Scholz kritisiert. Dass der SPD-Mann Merkel beerben will ist keine Erbschleicherei, sondern stinknormale Politik. Dass er Merkel spaßeshalber kopiert, ist nicht einmal respektlos. Es zeugt von Anerkennung. Dass der solide Finanzminister vom rechten Rand der SPD Deutschland in eine linke, ungewisse Zukunft führen wird, ist dagegen eine groteske Vorstellung. Inzwischen sollte man auch in Bayern begriffen haben, dass Rote-Socken-Kampagnen nichts bringen.
Laschet lächelt, Scholz schläft und Baerbock ist bockig. Die drei Anwärter*innen des Kanzleramtes fanden sich am Sonntagabend zu einem sogenannten Triell bei dem deutschen Privatsender RTL ein. Dabei griff das Moderatorenteam neben wichtigen hochpolitischen Fragen auch solche auf, die einer „BILD“-Schlagzeile gleichen könnten. Während Armin Laschet (CDU/CSU) und Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock mit viel Temperament diskutierten, blieb Olaf Scholz (SPD) stets vornehm und berief sich in aller Ruhe auf seine Tätigkeit als Bundesfinanzminister. Während Laschet sich mit seinem Grinsen und lautem Ton zurecht als Unsympath der Runde entpuppte, ist Baerbocks scharfes Diskussionsverhalten nachzuvollziehen. Es ist gar nicht auszudenken, wie oft sie sich schon in Männerrunden doppelt durchsetzen musste. Da ist ihre von Anfang an bissige Kampfhaltung verständlich - sozusagen ein natürlicher Reflex.
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