Überwiegend friedlicher Protest /
Zerreißprobe für die Grünen
Erkelenz (dpa) - Unter überwiegend friedlichem Protest hat die Polizei am Mittwoch begonnen, den von Klimaschützern besetzten Ort Lützerath im Nordwesten Deutschlands zu räumen. Bis zum Nachmittag zeigte sich ein Sprecher „sehr zufrieden“ mit dem Verlauf.
„Für die Polizei läuft bislang alles nach Plan“, sagte er. Im Vorfeld war mit massivem Widerstand gerechnet worden. Beobachter sprachen dagegen von einer zum Teil entspannten Atmosphäre. Früh am Morgen war es zum Auftakt der Räumung im zu Erkelenz zählenden Ortsteil Lützerath im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zu Rangeleien gekommen. Laut Polizei wurden ein Molotow-Cocktail, Steine und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen.
Deutschland steht derzeit unter besonderem Druck, neue Energiequellen zu erschließen. Der vor Jahren vereinbarte komplette Ausstieg aus der Atomenergie soll nach den Worten von Kanzler Olaf Scholz endgültig Mitte April diesen Jahres erfolgen. Und aus Russland kommt im Zuge von Moskaus Angriffskriegs auf die Ukraine kein Erdgas mehr - dieses war aber für den Übergang von fossilen Brennstoffen und Atomstrom zu Erneuerbaren Energien als wesentlicher Pfeiler der vielzitierten Energiewende eingeplant gewesen.
Die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien im Bund und in Nordrhein-Westfalen hatten mit dem Energiekonzern RWE einen um acht Jahre auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vereinbart. Außerdem sollen fünf bereits weitgehend leerstehende Dörfer am Tagebau Garzweiler in der Nachbarschaft von Lützerath erhalten bleiben. Im Gegenzug soll Lützerath weichen, um dort Kohle zu fördern.
Prominente und Wissenschaftler riefen in zwei voneinander unabhängigen offenen Briefen die Politik auf, die Räumung zu stoppen beziehungsweise ein Moratorium dafür zu verhängen. In ihrem Schreiben führen die Wissenschaftler der Gruppe „Scientists for Future“ mehrere Gutachten an, die zu dem Schluss kommen, dass ein Abbau der Braunkohle für eine Versorgungssicherheit nicht nötig, „sondern politisch bestimmt“ sei. „Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen“, hieß es weiter. Ein Räumungsmoratorium würde nach ihrer Ansicht die Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik international - aber auch bei der jungen Generation - stärken.
Ab Mittag hatte die Polizei damit begonnen, Aktivisten von Bäumen und Podesten zu holen. Dabei setzten die Beamten an verschiedenen Stellen Hebebühnen ein. Am Ortseingang von Lützerath begannen Bagger mit Abrissarbeiten. Auch eines der Ortsschilder von Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Später warfen Beamte selbstgebaute kleine Holzhäuser auf Stelzen um und setzten so die Räumung fort. Nach Angaben eines dpa-Reporters wurden die Beamten dabei in dem Hütten- und Baumhauscamp von Schmährufen der Aktivisten begleitet. Die Polizei entfernte dabei zum Beispiel auch Feuerlöscher, die von den Aktivisten in den Hütten aufbewahrt wurden.
Einige Klimaschützer folgten der Aufforderung der Polizei und gingen freiwillig. Sie wurden vom Gelände eskortiert. Viele wollen aber weiter Widerstand leisten. „Die Menschen sind fest entschlossen dazubleiben, auszuharren, die Bäume und die Gebäude zu schützen“, sagte Mara Sauer, eine Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.
Zu verletzten Polizisten lagen bis zum Nachmittag nach Auskunft eines Sprechers keine Informationen vor. Auch zu möglichen Festnahmen könne er noch nichts sagen. „Wir haben hier ganz überwiegend friedlichen Protest erlebt, in Sitzblockaden, auf Tripods - und das sind Protestformen, mit denen wir super parat kommen“, betonte er. Wenn die Aktivisten sich wegtragen ließen, sei das noch passiver Protest und damit ihm Rahmen dessen, was angemessen sei.
Die führende Klimaaktivistin Greta Thunberg will für Proteste nach Lützerath kommen. Die junge Schwedin wird nach dpa-Informationen am morgigen Samstag Mittag an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren - einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.
Auch in zahlreichen weiteren deutschen Städten wollten Klimaschützer in diesen Tagen gegen die Räumung protestieren. Nach Angaben der Klimaschutzbewegung Fridays for Future war am Donnerstag unter anderem ein Protest in München geplant, am Freitag in Hamburg. Am Samstag sollen demnach Menschen aus über 50 Orten gemeinsam nach Lützerath reisen.
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