Von Juan E. Alemann
Die Politik bietet gegenwärtig in Argentinien ein Bild, das den surrealistischen Gemälden von Picasso, Dali, Braque u.a. insofern ähnlich ist, als sie von der Wirklichkeit abweicht, alle Grundregeln der Politik missachtet und ein schwer verständliches Bild bietet, das von Politologen unterschiedlich und mit vielen Fragezeichen interpretiert wird. Man hat den Eindruck, dass die Regierenden, also an erster Stelle Präsident Alberto Fernández und Vizepräsidentin Cristina Kirchner, nicht wissen, was sie eigentlich wollen.
Cristina weiß nur, dass sie aus ideologischen Gründen, keine moderne Marktwirtschaft, will, die sich an die Spielregeln der zivilisierten Welt hält, aber sie ist sich sonst nicht im klaren, auf was sie eigentlich hinzielt, abgesehen davon, dass ein für sie positiver Ausgang der bösen Prozesse, die gegen sie laufen, wichtiger als alles andere ist. Dass die Wirtschaftspolitik dem Interesse einer hochkorrupten Spitzenpolitikerin unterstellt wird, ist gewiss surrealistisch. Und dass die Vizepräsidentin die telefonischen Anrufe des Präsidenten nicht annimmt und nicht mehr mit dem Präsidenten spricht, noch mehr. So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht.
Die Spaltung innerhalb der Regierungskoalition geht so weit, das Cristina und ihre Anhänger dem Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds nicht zugestimmt haben. Wollten sie effektiv einen Default mit dem Fonds provozieren? Das wäre eine Katastrophe für das Land und wohl das Ende dieser Regierung gewesen. Das Abkommen wurde sowohl in der Deputiertenkammer wie im Senat nur mit den Stimmen der Opposition genehmigt. Das ist gewiss nicht normal, umso mehr als der Präsident keine Gelegenheit verpasst, um die Macri-Regierung für alle bestehenden Übel verantwortlich zu machen. Er braucht eine zivilisierte Beziehung zur Opposition, um die schwierige Lage meistern zu können, umso mehr, als ein Teil der Regierungskoalition gegen ihn Stellung bezieht. Doch er bemüht sich, damit dies nicht zustande kommt.
Als der Preisindex für Februar mit einer Zunahme von 4,7% bekannt wurde, und Consulting-Firmen für März noch mehr vorwegnehmen, erklärte der Präsident, er werde am Freitag der Inflation den Krieg erklären. Statt dessen hielt er mit zweistündiger Verspätung (was auf Änderungen in letzter Minute deutet) eine Rede, die im Wesen eine Absage an diesen Krieg war. Der Präsident hat faktisch zugegeben, dass er nicht die geringste Ahnung hat, wie er die Inflation bekämpfen soll. Es war gewiss nicht notwendig, dass er dies so offen zugibt.
Der Surrealismus kommt auch in der Außenpolitik zum Ausdruck. Die zivilisierte Welt verurteilt einstimmig das Vorgehen von Präsident Putin in der Ukraine. Die Menschen in Argentinien sind mehrheitlich entsetzt über so viel Leid, das Putin durch seine Entscheidung herbeigeführt hat. Auch wenn sich Argentinien in der UNO gegen Putin ausgesprochen hat, gibt Cristina ihre Sympathie für diesen Diktator nicht auf, und Alberto geht dem Thema aus dem Weg. Steht Argentinien auf der Seite der zivilisierten Welt, die für Frieden, Freiheit und Achtung der Souveränität der einzelnen Länder eintritt, oder für einen Diktator, der einen absurden, aber sehr brutalen Krieg beginnt, einen Opponenten zunächst vergiftet und dann einsperrt, keine Meinungsfreiheit und noch weniger Pressefreiheit duldet und ein Nachbarland überfällt?
Wenn die Regierung ständig konfuse und widersprüchliche Signale gibt und den Eindruck vermittelt, dass sie selber nicht weiß, wie es jetzt weitergehen soll, kann man verstehen, dass die Gesellschaft vom Trauma der Ungewissheit belastet ist und einen tiefen Pessimismus über die Zukunft zum Ausdruck bringt.
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