Von Juan E. Alemann
Seit einiger Zeit besteht in Argentinien die Diskussion, ob die gegenwärtige Wirtschaftskrise im Wesen wirtschaftlich oder politisch ist. Mit der Ernennung von Sergio Massa zum Wirtschaftsminister, der jetzt auch für die Bereiche Industrie, Bergbau und Landwirtschaft verantwortlich ist, hat Präsident Alberto Fernández eindeutig für die These Stellung bezogen, dass die Krise im Kern politisch ist. Dabei hat er jedoch das politische Kernproblem nicht gelöst, das darin besteht, dass Cristina faktisch eine große politische Macht hat, die sie für ihre eigenartigen und grundsätzlich falschen Auffassungen der Wirtschaft einsetzt und diese Macht auch mit Massa nicht aufgibt. Massa ist somit von Anfang an genau so gehemmt in seinem Vorgehen, wie es bisher Alberto Fernández war, und immer noch ist.
Gewiss erlebt Argentinien gegenwärtig eine Krise, die über die Wirtschaft hinausgeht: es ist eine Gesellschaftskrise, die auch die Armutsproblematik, die hohe Kriminalität, die persönliche Sicherheit, die Erziehung, und die Außenpolitik umfasst. Aber wenn es kein klares Konzept für die Wirtschaftspolitik gibt, ist es noch schwieriger, an die anderen Krisenerscheinungen heranzugehen.
Es besteht kein Zweifel, dass die Wirtschaft im Mittelpunkt der Gesellschaftskrise steht, und ein klares Konzept über die konkreten Maßnahmen erfordert, die unmittelbar getroffen werden müssen. Dass diese auch eine politische Unterstützung haben müssen ist selbstverständlich. Was man sich jetzt fragt, ist einmal, ob Massa sich über die unerlässlichen wirtschaftspolitischen Entscheidungen bewusst ist und ob er den Mut hat, den diese erfordern, und auch den notwendigen politischen Rückhalt erhält.
Sergio Massa hat bisher großes politisches Talent gezeigt. Er begann seine politische Karriere, indem es ihm gelang, sich mit Néstor Kirchner anzufreunden und sonntags in der Residenz von Olivos Fußball zu spielen. Dann stellte er sich als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von Tigre auf und wurde gewählt. Sein Vorgänger, Ricardo Ubieto, der eine Kommunalpartei leitete, war nach mehreren Amtsperioden gestorben, und Massa war so geschickt, ihn zu ehren und eine große Straße nach ihm zu benennen. Cristina machte ihn dann zum Kabinettschef, wo er nicht lange dauerte, und dann nach Tigre zurückkehrte. Er bildete später eine eigene politische Gruppe. Cristina nahm ihn schließlich 2019 in ihre Koalition auf, und so wurde er Deputierter und dann Präsident der Kammer. Er hatte dabei eine starke politische Position und mischte in der großen Politik mit, zusammen mit Alberto und Cristina.
In der gegenwärtigen Krise stellte sich Massa als Retter auf und strebte ganz offen das Amt des Wirtschaftsministers an, dem auch die Ministerien, die sich mit der realen Wirtschaft befassen, unterstellt sein sollten. Alberto Fernández war zunächst nicht damit einverstanden, doch schließlich gab er nach. Warum er seine Meinung von einem Tag zum anderen geändert hat, weiß man nicht. Offensichtlich stand Cristina dahinter, die mit dem Sparkurs, den Silvina Batakis eingeleitet hatte, nicht einverstanden war. Wie weit jetzt Massa von Cristina abhängt, wird sich noch zeigen.
Für Sergio Massa handelt es sich beim neuen Amt, das er jetzt bekleidet, um eine weitere Stufe seines politischen Aufstiegs. Es besteht kein Zweifel, dass er schließlich Präsident werden will. Doch dabei befindet er sich jetzt auf dem Holzweg. Denn er steht vor einer extrem kritischen wirtschaftlichen Lage, deren Überwindung unpopuläre Maßnahmen erfordert. Wenn er diese nicht ergreift, dann explodiert die Wirtschaft. So oder so ist dieses hohe Amt nicht der Weg, um dann eine Wahl zu gewinnen.
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