Von Pastorin Karin Krug
Als ich vor vielen, vielen Jahren als junge Vikarin meine erste Konfirmandengruppe unterrichtete, fragte eine Konfirmandin: „Was ist der Heilige Geist?“ Darauf war ich nicht vorbereitet und wusste nicht, wie ich das am besten erklären könnte. So sagte ich: „Das ist kompliziert. Am nächsten Samstag erkläre ich es euch“. So blieb in dieser meiner ersten Gruppe der Eindruck zurück: das mit dem Heiligen Geist ist kompliziert.
Vielleicht geht es manchen von Ihnen auch so: Das mit dem Heiligen Geist ist kompliziert. Warum eigentlich? Wahrscheinlich deshalb, weil wir immer Definitionen brauchen. Wir wollen begreifen, was dieses oder jenes ist. Zum Beispiel, meine Brille. Da sagt das Wörterbuch: „Vor den Augen getragenes Gestell mit Bügeln und zwei geschliffenen oder gefärbten Gläsern, die als Sehhilfe oder dem Augenschutz dienen“. Das ist die Begriffserklärung, die Definition. Jetzt weiß ich‘s, jetzt kann ich meine Brille wieder aufsetzen und zu einem anderen Thema übergehen. Ich habe begriffen. Suchen wir im Wörterbuch unter „Heiliger Geist“, finden wir die Erklärung: „Dritte Person der heiligen Dreieinigkeit“. Gut. Also suchen wir unter dem Begriff „Dreieinigkeit.“ Und da steht: „Einheit von Vater Sohn und Heiliger Geist“. Tja. Nun bin ich auch nicht schlauer.
Aber eigentlich ist das ganz gut so. Im Wort 'Begreifen' steckt ja das Wort „greifen“; in 'Erfassen', „fassen“. Aber den Heiligen Geist, ja Gott und Jesus oder den Glauben überhaupt, HAT man nicht, BESITZT man nicht, wie eine Brille oder einen Bleistift. Man kann sie nicht be-greifen, er-fassen. Was von Gott kommt ist immer frei, niemals ein Besitz. Es ist ein Geschenk.
In der Erzählung vom Kommen des Heiligen Geistes (Apostelgeschichte 2) wird das mit zwei Bildern ausgedrückt: Wind und Feuerzungen. Beides kann man nicht in die Tasche stecken. Den Wind sieht man nicht, aber man sieht seine Wirkung, zum Beispiel wie er die Blätter bewegt. Den Geist Gottes sieht man nicht, aber man erfährt seine Wirkung.
Die erste Wirkung damals beim Pfingstfest war ganz überwältigend. Die Jünger und Jüngerinnen waren alle an einem Ort, bei geschlossenen Türen aus Angst. Ihr Herr und Meister war weg. Sie wussten nicht, wie es weitergehen soll. Draußen feierten tausende Menschen auf den Straßen - aber die Jünger sind isoliert und verängstigt. Und plötzlich gehen die Fenster auf, neuer Wind fegt hindurch, frische Luft kommt herein und die verängstigten Menschen vergessen ihre Angst und reden von den wunderbaren Taten Gottes. Sie merken: das ist Jesus, der bei uns ist. Unsichtbar, aber da. Eine größere Wendung kann man sich gar nicht vorstellen. In der ersten Christenheit waren bald auch andere Wirkungen sichtbar. Rückblickend können wir sehen, dass es vier große soziale Aspekte gibt, in denen die junge Christenheit das Leben verändert hat: Es hat das Leben der Frauen, der Schwachen und Kranken, der älteren Menschen und der Kinder verändert.
Diese Änderungen sind nicht auf einmal und leider auch nicht ein für allemal geschehen. Vieles musste man lernen, manches wieder verlernen und neu einüben. Zum Beispiel hat es noch 1800 Jahre gebraucht, bis Christen verstanden haben, dass es mit dem Heiligen Geist nicht vereinbar ist, dass ein Mensch einen anderen besitzt, und erst im 19. Jahrhundert wurde die Sklaverei abgeschafft. Es hat nach dem ersten Pfingstfest über 1900 Jahre gebraucht, bis Christen verstanden haben, dass Armut, Unterernährung und Leid keineswegs als ein gottgewolltes Schicksal hinzunehmen sind oder dass das seelische Heil wichtiger sei als ein menschenwürdiges Leben.
Also hat Heiliger Geist mit Gemeinschaft, Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit zu tun. Grenzen ziehen und Unterschiede betonen ist leichter als Grenzen zu überschreiten. Sprachbarrieren, Nationalitäten, soziale Klassen zu überwinden. Gottes Geist kann uns beistehen und zur Brücke zwischen Menschen werden, die einander fremd sind.
Wo Menschen den Mut finden, ihr Leben für Gott zu öffnen, wo sie nach einem Streit einander vergeben und für Versöhnung arbeiten, wo Mutlose sich getröstet fühlen, wo Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit einander annehmen, wo Vorurteile überwunden werden, wo Menschen ihre gewalttätige Sprache ablegen: da weht der Wind des Heiligen Geistes, da brennen die Feuerzungen.
Ohne Zweifel, unsere arme Welt hat ein neues Pfingsten bitter nötig. Vielleicht fangen wir schon mal an und bitten:
„Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.
Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.
Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.
Gib Frieden, Herr, gib Frieden: Denn trotzig und verzagt
hat sich das Herz geschieden von dem, was Liebe sagt!
Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt,
und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.“
(Nach einem Friedensgedicht von Ernst Moritz Arndt 1837, von Jan Nooter 1963 in ein Kirchenlied umgeschrieben: Geef vreede, Heer, geef vrede und1980 von Jürgen Henkys ins Deutsche übersetzt. Zur Zeit der Friedensbewegung in der ehem. DDR spielte das Lied eine nicht unwesentliche Rolle).
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